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Digital In Arbeit

Renaissance alter Führungsstrukturen?

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Die Organisations- und Führungsstrukturen der Unternehmen haben sich in den sechziger und siebziger Jahren entscheidend verändert. Tiefgreifende und komplexe Ursachen hatten diesen Wandel bewirkt: Studentenbewegungen, Infragestellung des traditionellen Normen- und Wertesystems, Überbeschäftigung, Wohlstand, die Suche nach humanen Formen der Arbeit.

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Die Organisations- und Führungsstrukturen der Unternehmen haben sich in den sechziger und siebziger Jahren entscheidend verändert. Tiefgreifende und komplexe Ursachen hatten diesen Wandel bewirkt: Studentenbewegungen, Infragestellung des traditionellen Normen- und Wertesystems, Überbeschäftigung, Wohlstand, die Suche nach humanen Formen der Arbeit.

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Das Jahrhunderte hindurch gültige und funktionstüchtige System starrer hierarchischer Ordnungen war ins Wanken geraten und wurde - insbesondere in der Wirtschaft - durch neue Organisationsstrukturen ergänzt. Teamarbeit, hierarchiefreie Projektgruppen und Arbeitskollektive sorgten für Innovation und auch für erhöhte Identität der Mitarbeiter mit ihren Unternehmen.

Auch die Wissenschaft hat in den sechziger Jahren teilweise revolutionäre Befunde zum Thema Führung, Hierarchie und Gruppen erarbeitet und veröffentlicht.

Insbesondere wurde uns die Erkenntnis vermittelt, daß Logik und Sachzwänge in den Unternehmen zwar notwendig, aber keineswegs hinreichende Ordnungsprinzipien bzw. Entscheidungsgrundlagen für betriebliche, vor allem aber für mitarbeiterbezogene Problemlösungen bilden sollten. Die Anwendung gruppendynamischer Erkenntnisse in der Wirtschaft hat gleichsam einen emanzipatorischen Prozeß - der ohnehin latent vorhanden war - be- wußtgemacht und beschleunigt. Die Relativierung der „Amtsautorität“ und die Ablehnung rigider „Führerprinzipien“ waren Folgen dieser Entwicklung.

Die dadurch entstandene Aufweichung von überkommenen Organisationsstrukturen, die großteils vom militärischen Bereich auf die Wirtschaft übertragen wurden, hat zweifellos Unruhe und Unsicherheit in die Betriebe hineingetragen. Allerdings war diese Entwicklung auch von überaus positiven Erscheinungen begleitet: Mehr Kreativität in den Unternehmen, angstfreie Mitarbeiter, Einbeziehung der Mitarbeiter in Entschei- dungs- und Problemlösungsprozesse, Verteilung von Führungsverantwortung - und damit von Autorität - auf eine größere Zahl von Angestellten (Managern) im Unternehmen.

Die dynamische Entwicklung der Weltwirtschaft und vor allem die hohen Wachstumsraten in den westlichen Industrieländern hatten eine beachtliche Expansion einer Vielzahl von Unternehmen zur Folge. Geprägt wurde diese Phase von einem neuen Typ des Managers. So hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Beruf des Managers und Unternehmers weitgehend erlernbar ist und nicht ausschließlich auf angeborenen Führungseigenschaften beruht: Die Erfolgsgeneration der Manager der sechziger und siebziger Jahre war demzufolge auch an neuen Zielvorstellungen bezüglich Unternehmensführung orientiert.

Der Typ des Patriarchen wurde vom professionellen Manager abgelöst, der wie folgt zu charakterisieren ist: Begeisterungsfähig, ausgestattet mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, kreativ, politisch wirksam (im Sinne der Handhabung menschli- eher Strukturen), über die Grenzen der Sachzwänge hinausgehend.

Das Zusammentreffen von Eigentums- und Führungsinteresse trat zunehmend in den Hintergrund bei der Bestellung, Beurteilung und Beförderung der leitenden Angestellten zu „Quasi-Unternehmern“.

Das Potential an geeigneten Führungspersönlichkeiten wurde rasch ausgebaut und durch nationale und internationale Programme der Management-Entwicklung systematisch für die Wirtschaft zugänglich gemacht. Dadurch wurde es möglich, zentralistisch aufgebaute Unternehmen zu dezentralisieren und unternehmerisches Denken und Können auf mehrere Stufen der Hierarchie zu delegieren.

Profit-Centers, Tochtergesellschaften, autonome Betriebsabteilungen, aus Konzernen ausgegliederte Dienstleistungsgruppen waren die logische Folge dieser Entwicklung. Gleichzeitig wurde die Koordinierung der diversen Gruppen und Teams in den Unternehmen zur Erhaltung einer einheitlichen Willensbildung und Strategie notwendig. Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, das Teamwork, wurde in den innerund überbetrieblichen Bildungsaktivitäten auf breiter Basis gefördert.

Die Erfolge stellten sich alsbald ein: Positive Entwicklung in den Bilanzen der Unternehmen, mehr Innovation in den Betrieben, größere Identität der Mitarbeiter mit „ihren“ Unternehmen und ein Zuwachs an Motivation in der Belegschaft - um nur einige Faktoren zu nennen, die hier wirksam wurden.

Mitte der siebziger Jahre haben sich entscheidende wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedingungen geändert. Als Folge der Ölkrise und im Zusammenhang mit dem Rückgang des Wirtschaftswachstums und gleichzeitiger Zunahme der Inflationsraten wurde die Wirtschaft und damit das Unternehmen mit existentiellen Problemen konfrontiert. Die Erhöhung der Arbeitslosenzahl in den westlichen Industrieländern und die damit verbundene Angst vor drohenden Verlusten der Arbeitsplätze haben das bis dahin euphorische sozialpolitische Klima fast schlagartig verändert.

Der Ruf nach straffer Führung und zentralistisch strukturierten Organisationsformen wurde auch sofort hörbar. Besonders rasch reagierten auf diesen Ruf jene Unternehmer und Manager, die vordem nur halbherzig bis widerwillig kooperative Führungsformen akzeptiert bzw. selbst praktiziert haben. Bestärkt wurden die Anhänger autoritärpatriarchalischer Führung schließlich auch von der zunehmenden Unsicherheit in der Belegschaft über die künftige Entwicklung der Unternehmen und über die, zur Realisierung der Zielsetzung einzuschlagende Strategie.

Aber auch in der Belegschaft war da und dort der Wunsch spürbar, „von oben“ Antworten auf viele ungeklärte Fragen und Probleme des betrieblichen Geschehens zu erhalten, die bislang in Arbeitsgruppen im

Sinne des Teamworks beantwortet und gelöst wurden.

Dadurch wurde die Funktionsfähigkeit, die Effizienz und vor allem die Kreativität vorhandener Gruppenstrukturen in den Betrieben in Frage gestellt.

Logische Konsequenz wäre nun eine Rückkehr zu einfachen, klaren und deshalb überschaubaren Organisationsmustern im Sinne eines „aristokratisch-monarchischen“ Führungsmodells. Partizipation an Entscheidungsprozessen, die Sinn- haftigkeit von Teamarbeit, die Bearbeitung von Konflikten durch die Betroffenen, die Nutzung des kreativen Potentials der Mitarbeiter wurden dadurch allerdings in entscheidendem Maße behindert, wenn nicht ausgeschlossen.

Die Forderung nach einem Ausbau der Kompetenz der Führungskräfte in den Unternehmen sollte also nicht mit einem Ruf nach überholten autoritätsgläubigen Managementkonzepten beantwortet werden, die durch Hilfe ultrakonservativer „Führungsideologien“ in die Chefetagen der Betriebe Eingang finden würden. Wenn überhaupt - könnte dies allen-, falls kurzfristige Erfolge nach sich ziehen; etwa durch Rationalisierungsmaßnahmen, die von einer gut funktionierenden straffen Linienorganisation rasch erzielt werden können, oder die rasche Anpassung eines Betriebes an plötzlich eingetretene Veränderungen externer Bedingungen. Es sind also im allgemeinen vorwiegend Erfolge auf der Kostenseite, die durch eine Restaurierung strammer „Leadership“-Konzepte erzielbar sind.

Mehrere Gründe sprechen dafür, daß auf längere Sicht kooperative Formen der Unternehmensführung und nicht autoritär-patriarchalische Modelle in der Wirtschaft Erfolg haben werden:

• Das vielfältige Können und Wissen sowie die differenziert ausgeprägten Fähigkeiten der Mitarbeiter können nicht durch Befehl und bloße Anwendung formaler Autorität der Manager organisiert und nutzbar gemacht werden.

• Die kritische Einstellung vor allem der jung in die Unternehmen Eintretenden gegenüber der Befehlshierarchie und die zunehmend politische Haltung in fast allen betrieblichen Fragen verlangen nach offenen Organisationsformen, die auch Konfliktbereiche bewältigen helfen.

• Es gibt in der Wirtschaft immer mehr Sachbereiche und Entscheidungsprozesse, die widersprüchlich sind und mit althergebrachten betriebswirtschaftlichen Formeln nicht optimal lösbar sind. Lösungsansätze bieten hier etwa Projektgruppen, die in hierarchiefreien Räumen arbeiten.

• Die Identität der Mitarbeiter mit „ihren“ Unternehmen und die Motivation zur Arbeit sind durch Betonung der Hierarchie bei der Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation kaum zu fprdern.

• An der überall-auch in allen Verwaltungsbereichen (!) - stattfindenden Dezentralisierung (Motto: „Bürgernähe“) kann auch die Unternehmensstruktur nicht vorbeigehen. Die vermehrte Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter ist notwendigerweise verbunden mit mehr Kompetenz und Autorität für die „Basis“. Dezentralisierung widerspricht dem Sinn nach den zur Bürokratisierung neigenden zentralistisch aufgebauten Organisationsformen.

Längerfristig können autoritäre Führungsformen keine Alternative zu kooperativen Managementkonzepten sein; es sei denn, man akzeptiert eine Zunahme an Bürokratie und eine Einbuße an Kreativität und Innovationskraft. Wenn auch vorübergehend eine Tendenz zu mehr Zentralisierung und zu einer Stärkung der hierarchischen Struktur festzustellen ist, wird auf längere Sicht ein Festhalten daran zu inhumanen, ineffizienten und von der Mehrzahl der Menschen in den Unternehmen abgelehnten Organisationsformen führen.

(Dr. Maximilian Fink ist Vorstandsdirektor der Wiener Allianz Versiche- rungs AG und war bis vor kurzem Leiter des Instituts für Unternehmensführung in Hemstein)

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