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Renaissance der „Religion“, aher Evangelium tabu?

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Landauf, landab, ja weltweit geht heute die Kunde von der Renaissance der Religion bzw. der Religionen, und es fehlt nicht an vielerlei Fakten und Anzeichen dafür, daß dies in der Tat kein leeres Gerede ist. Dementsprechend herrscht bei vielen Gläubigen Genugtuung und Freude vor: geht es endlich wieder aufwärts und vorwärts mit der so arg zurückgedrängten, oder auch nur verdrängten, Religiosität? Und tatsächlich: wer sollte und wollte sich dieser „Wende“ nicht erfreuen?

Man möge mir verzeihen, wenn ich gerade jetzt es für angebracht halte, etwas Wasser in solchen Freudenwein zu gießen. Es gibt nämlich des Bedenklichen genug. Man registriert nicht nur Extremphänomene, etwa auf dem Boden der hektisch, brodelnden religiösen Szene in Amerika, besonders in Kalifornien, in denen sich Gewalt, perverse Sexualität und eine enthusiastische Religiosität mit synkretischem Kolorit erschreckend mischen.

Aber dort, wo alte Religionen neuerdings gesellschaftspolitische Machtpositionen (wieder) erworben haben, kommt es vermehrt zu unmenschlichen Sanktionen gegenüber Andersgläubigen, werden spärliche Ansätze der Verwirklichung von Menschenrechten vernichtet und vernünftige Grundsätze ökonomischer, gesellschaftlicher und kultureller Art für ein friedliches Zusammenleben von Menschen niedergewalzt.

Einige Beispiele mögen genügen: Die in Indien zur Herrschaft gelangten hindu-istischen Kräfte orientieren sich verstärkt an uralten religiösen Grundsätzen und Gegensätzen wie etwa an der

Unantastbarkeit der heiligen Kühe; im Iran ist eine in personeller wie institutioneller Hinsicht unkontrollierbare theokratische Diktatur errichtet worden, welche willkürlich jede, nicht näher definierbare, „Sünde gegen Allah“ mit dem Tode ahndet.

Selbst in dem grundsätzlich der westlichen Demokratie zugehörig bleibenden Israel versucht eine von Religionsfanatikern gestützte und abhängige Regierung den ohnehin erst sehr schwach vorhandenen Dialog mit anderen Religionen und Menschengruppen nach

Möglichkeit und in jeder Hinsicht zu bremsen ...

Es geht hier nicht-um jene uns noch fernen Ereignisse in anderen Ländern, wohl aber um den auch bei uns umgehenden unreflektierten Slogan, daß Intensivierung von Religion auch schon und automatisch Menschenrechte und Menschlichkeit garantiere.

Es geht um die Virulenz eines uralten und heute unter uns wieder propagierten Irrtums, als sei in jeder Religiosität automatisch auch schon die Religion Jesu und das

Von ihm zeugende Evangelium mitenthalten und letzteres könnte als solches schon wie selbstverständlich Nutznießer jedweden religiösen Comebacks sein.

Die Bibel, Altes und Neues Testament, sehen dies wohl ganz anders - oder ist man heute christlicherseits nicht mehr an ihr interessiert? Der Eindruck verstärkt sich, wenn man auch in evangelischer wie katholischer Theologie einen gewissen Trend spürt, mit anderen Religionen möglichst „neutral“ umzugehen. Sollte dies der Sinn - oder gar der Rest - des vor kurzem noch so hochgelobten „Dialogismus“ sein?

Die Gefahr, das Evangelium selbst in der Hülle allgemeiner Religion und Religiosität einmotten zu lassen und so zu tabuisieren, daß es seine kritische Kraft verliert und damit auch seine Rettungskraft für die Menschlichkeit des Menschen geschwächt und mundtot gemacht wird, steht — wieder einmal in der christlichen Geschichte - nahe vor unserer Tür...

Werden wir wieder aus dieser Verblendung aufwachen?

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