6981503-1986_12_10.jpg
Digital In Arbeit

Rendezvous mit Halley

19451960198020002020

Alle 76 Jahre nähert sich der Komet Halley der Erde. Heuer nützte die Wissenschaft den Besuch des Weltraumvagabunden. Die Sonde Giotto kam bis auf 550 km an den Kern heran.

19451960198020002020

Alle 76 Jahre nähert sich der Komet Halley der Erde. Heuer nützte die Wissenschaft den Besuch des Weltraumvagabunden. Die Sonde Giotto kam bis auf 550 km an den Kern heran.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Weltraumelite der Wissenschaftler, die sich mit einer großen Schar von Journalisten von Moskau nach Darmstadt begeben hatte, um auch dem letzten großen Spektakel, dem Rendezvous der europäischen Sonde Giotto mit dem Halley-Koirtetenkern, beizuwohnen, ist in Hochstim-

Von HERMANN HAUPT

mung. Der alte Professor Fred Whipple, Erfinder des Modells vom „Schmutzigen Schneeball“, scheint um zehn Jahre jünger geworden zu sein. Die von ihm seit 40 Jahren vertretene Vorstellung, daß die Kometenkerne aus dunklem meteoritischem Material bestehen, vermengt und durchdrungen von Eispartikeln, die in der Sonnennähe verdampfen, hat sich bewahrheitet.

Die Bedeutung des Hal-ley'schen Kometen für die Kometenforschung kann kurz so zusammengefaßt werden: Er ist der hellste der periodisch wiederkehrenden Kometen; seine Bahn war so genau berechenbar, daß er bei seiner 30. Wiederkehr schon am 16. Oktober 1982 jenseits des Saturn am vorausgesagten Ort gefunden werden konnte. So war genügend Zeit für die sorgfältige Planung aller irdischen und Raumbeobachtungen, was bei plötzlich und unvermutet aus den Tiefen des Sonnensystems auftauchenden Kometen nicht möglich ist.

Der Komet Halley ist deshalb besonders interessant, weil er noch recht unverbraucht, also .jugendlich“ ist. Zwar sind vermutlich die meisten Kometen von ungefähr gleichem Alter, das heißt, sie sind gemeinsam in der Frühphase des Sonnensystems entstanden; aber Halley verbringt von den rund 76 Jahren seiner Umlaufzeit den größten Teil in nahezu ungestörter weiter Sonnenferne.

Diese Überlegungen waren der Anlaß für eine große internationale Kooperation, „International Halley Watch“. Es wird behauptet, daß die wissenschaftliche Beteiligung von über 50 Staaten mit insgesamt mehr als 800 Astronomen größer war als der seinerzeitige Aufwand bei den Mondflügen der Amerikaner. Darüber hinaus hatten sich über 1000 Amateurastronomen aus 55 Ländern zur Mitarbeit gemeldet. Desgleichen war genügend Zeit, um die Raumfahrtmissionen langfristig zu planen.

Es ist nun ganz unmöglich, über alle Programme, die in ihrer Vielfalt sogar für den Fachmann kaum mehr überschaubar sind, hier in adäquater Form und Würdigung zu berichten. Sie reichen von Positionsbestimmungen (zum Dirigieren der Raumschiffe) über Helligkeits-, Färb-, Pola-risations- und Spektralmessungen sowie Beobachtungen von Kopf und Schweif bis hin zu Untersuchungen der Wechselwirkung zwischen Komet und Sonnenstrahlung.

Der Öffentlichkeit kann keine wirklich entsprechende Vorstellung von der Wichtigkeit und Vielfalt der wissenschaftlichen Programme vermittelt werden. Viele hatten sich eine prachtvolle oder furchterregende Erscheinung des Kometen am Himmel erwartet, nicht nur diejenigen, denen er schon 1910 als auffallendes Phänomen von den Eltern gezeigt worden war. Aber die Enttäuschung war groß: Von der Nordhalbkugel der Erde und besonders von den städtischen Wohngebieten aus war der Komet nur als verwaschenes Fleckchen im Fernrohr zu sehen. Man muß sich schon nach Ostern auf die Oster-insel, auf die Südhangkugel oder zumindest auf die Kanarischen Inseln begeben, um einen besseren Blick zu erhaschen.

Die erdgebundenen Aktivitäten haben bereits zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt: Fotografien haben Aufschluß gegeben über Ausbrüche aus dem Kern und die Bildung mehrerer Schweife. Noch vor der größten Aktivität wurde ein Materialausstoß von 400 kg Staub pro Sekunde durch Infrarotmessungen festgestellt. Ein internationales Netz, „der heiße Draht, eine elektronische Anschlagtafel“, wie es auch genannt wird, erlaubt, alle Halley betreffenden Fragen und Daten über Telefon oder Fernschreiber weltweit abzurufen.

Gewaltige technische Leistungen wurden vollbracht in der Zielgenauigkeit der Raumflüge: Uber 3000 Messungen der Positionen dienten der Verbesserung der Flugbahn der zuerst gestarteten sowjetischen Sonderi VEGA1 und VEGA 2; diese wiederum dienten als „Pfadfinder“ für die europäische Sonde Giotto, welche am vergangenen Freitag ihr Treffen mit dem Kometen hatte. Man muß sich nur richtig vorstellen, was das planmäßige Erreichen einer Entfernung von 9000 oder gar nur 550 km vom Kometenkern bedeutet. Bei einer Fluggeschwindigkeit der Raumsonde von knapp 70 Kilometer pro Sekunde und einer gegenläufigen Bahngeschwindigkeit des Halley von rund 40 Kilometer pro Sekunde!

Die Frage nach spektakulären Ergebnissen ist natürlich zu früh gestellt. Erst nach ausführlichen Analysen wird man Genaues sagen können, denn die amtliche Auswertung braucht lange: Bis 1989 soll sie abgeschlossen sein. Manche Tatsachen zeichnen sich aber doch schon ab: Der Kometenkern ist keine Kugel, sondern ein ganz dunkler, unförmig gestalteter Körper von 3-4 km Durchmesser entlang der kurzen Achse und etwa 10-12 km längsseitig. Auf der der Sonne zugewandten Seite schießen derzeit ständig kleine, jets“ heraus, Gasausbrüche des verdampfenden Eises, die Teilchen aus dem meteoritischen Gerüst mit herausreißen und so zur Ursache von Staub im Coma und Schweif werden.

Wenn im Gespräch von Magnetfeldmessungen die Rede ist, verlassen viele Journalisten die Pressekonferenz; aber gerade das sind zum Beispiel die wichtigsten Ergebnisse der mit den russischen VEGA-Sonden geflogenen Meßgeräte, die vom Institut für Weltraumforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz beigestellt wurden. So ist Osterreich nicht nur bei den erdgebundenen Beobachtungen.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Astronomie der Karl-Franzens-Urüversität Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung