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Renner sagte: „Später!“

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Der Zeitzeuge Viktor Ma-tejka nimmt zum Beitrag „österreichische Katholiken und der Anschluß“ von Theodor Veiter in FURCHE 1/1988, Dossier über 1938, Stellung.

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Der Zeitzeuge Viktor Ma-tejka nimmt zum Beitrag „österreichische Katholiken und der Anschluß“ von Theodor Veiter in FURCHE 1/1988, Dossier über 1938, Stellung.

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Theodor Veiter ist in der Zweiten Republik nicht nur Universitätsprofessor in Innsbruck geworden. Er hat sich auah zu einem Spezialisten in europäischen Minderheitenfragen entwickelt. Der geborene Vorarlberger kam früh nach Wien, um von hier aus, wie er glaubt, österreichische und, wie er glaubt, christliche Politik zu machen. Mit vielen österreichischen Katholiken machte er indessen antiösterreichische und pseudochristliche Politik. Er fing 1929 als Sekretär im Klub der

Christlichsozialen Bundesräte an. Bevor Hitler Österreich als erstes Beutestück des Zweiten Weltkrieges auslöschte, war Veiter ein besonderer Schützling Schusch-niggs, der ihm einige einflußreiche Positionen zuteilte, so in der Amtlichen Nachrichtenstelle und in der Ravag.

Veiter, also kein Mann im Hintergrund, sondern immer deutlich offen am Zug der Fäden sowie auf seiten der anschlüßlerisch gesinnten Herrschaften, war mir nicht unbekannt. Als Zeitgenosse konnte ich seine Totengräberarbeit gegen Österreich wahrnehmen. Zum erstenmal aber gesehen habe ich ihn händeringend und auf sich deutlich aufmerksam machend bei einem Hofgang im Wiener Polizeigefangenenhaus auf der Elisabethpromenade wenige Tage nach dem „Anschluß“.

Auf der „Lisi“ hatte die SA viel Prominenz aus verschiedenen österreichischen Gruppierungen versammelt. Aus deren Reihen wurde der denkwürdige erste Österreicher-Transport zusammengestellt, der am 1. April 1938 im KZ Dachau eintraf. Theodor Veiter war nicht dabei.

Nach 1945 ist seinem Aufstieg offenbar nichts im Weg gestanden, auch nicht die Anschuldigung, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. Doch siehe da, in dem jetzigen „Furche“-Artikel schreibt er von sich in der dritten Person: „Er hat sich im Zeitpunkt des Anschlusses sogar, um den ihm angedeuteten Verfolgungen (Dachau) zu entgehen, auch um Aufnahme in die NSDAP bemüht.“ Die Ausdrucksweise ist nicht ganz klar, der Inhalt seiner jetzigen Erklärung, die einem (Zu-)Geständnis gleichkommt, wenn auch sehr, sehr spät, ist für mich ein Kuriosum. Wenn nämlich jene Österreicher, denen nicht nur „Verfolgungen angedroht“ wurden, sondern die von diesen Androhungen schon lang vor dem „Anschluß“ wußten, weil sie sich um Programm und Praxis der NSDAP rechtzeitig gekümmert haben, auch so wie Veiter gehandelt hätten, wäre gleichsam ein Wunder geschehen. Dachau und andere Konzentrationslager wären wahrscheinlich leer geblieben.

Unter der Uberschrift „Durchaus deutsch“, ohne sich auf einen irgendwie wissenschaftlich fundierten Beweis einzulassen, behauptet Veiter: „Alles in allem waren die österreichischen Katholiken bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung durchaus für den Anschluß und .deutsch“ gesinnt“ und fügt den ominösen Nebensatz hinzu: „was immer das auch gewesen sein mag“. In jener Zeit war „deutsch“ eindeutig ein direktes oder indirektes Aufgeben der Selbständigkeit Österreichs. Wer heute „alles in allem waren die österreichischen Katholiken“ schreibt, betreibt keine „Bewältigung der Vergangenheit“, sondern unselige Vergewaltigung.

Als absoluter Anschlußgegner von allem Anfang an habe ich wie viele meiner Freunde und Bekannten oft darauf hingewiesen, daß es vor allem Akademiker und Intellektuelle waren, die die Republik Österreich frühzeitig ins Deutsche Reich führen wollten. Der ganze Aufsatz Veiters bestätigt das, denn er führt Dutzende anschlußfreudige Katholiken an, die sich sehr von der breiten Masse der einfachen Leute abheben.

Es war bei den Sozialdemokraten nicht viel anders. Man denke an Anschlüßler von Anfang an wie Otto Bauer und Karl Renner. Der letztere hat vor fünfzig Jahren sein Meisterstück geliefert, das ihm leider viele nachmachten. Er hat seinen Genossen das schlechteste Beispiel gegeben, er hat viele von ihnen ins menschliche und poütische Unglück gestürzt. Er hat mit Begeisterung den gewaltsam vollzogenen Anschluß als Erfüllung seines alten politischen Herzenswunsches begrüßt. Daß bei den Katholiken Kardinal Theodor Innitzer sich nicht anders verhalten hat, weiß praktisch jedermann. Leider glaubt Veiter, daß heutiger Forschung eine Erklärung dafür gelungen sei. Doch diese „sehr gediegenen“ Studien verharmlosen nur.

Wer seinen Gegner, der ihn liquidieren will, nicht von Grund auf kennt beziehungsweise studiert, macht eine aussichtslose Politik. Ab 1925 hätten auch die katholischen Anschlußfreunde gründlich Kenntnis vom größten drohenden Übel der Zeit nehmen können. Sofort kaufte ich mir das damals überraschend erschienene Buch „Mein

Kampf“, studierte es gründlich und empfahl die zeitgerechte Lektüre. Da ist, egal wie es formuliert und stilisiert war, zu lesen, was der Nationalsozialismus zu verbrechen angekündigt hat. Noch dazu authentisch durch seinen Führer. Alles Wesentliche steht drin, was ein Regime, das durch die Schwäche seiner Gegner und die Brutalität seiner Methoden zu Macht kommen sollte, alles plante: Vom extremen Rassismus im allgemeinen bis zur besonderen Vernichtung der Juden, von „Deutschland über alles“ zur Welteroberung und noch viele andere Perversitäten.

Seither hießen viele meiner Vorträge in der Volksbü-dung und später erst recht im Ausland: „Hitler ist der Krieg“. (Mein Freund Karl Lugmayer hat ein matriziertes Exemplar eines solchen Vortrages im Garten seines Hauses vergraben. Nach dem Krieg gruben wir es aus.) Meine durchaus ernst gemeinte Empfehlung für das genannte Buch hatte keinen Erfolg. Eher erntete ich Spott und Hohn. Ich frage die vielen von Veiter in eigentlich recht verdienstvoller Weise aufgezählten Anschluß-Katholiken, sofern sie noch leben, und ihn selber, ob sie „Mein Kampf“ rechtzeitig beachtet haben. Ich halte eine negative Antwort für selbstverständlich: Sie waren durch Deutschnationalismus und christlichen Antibol-schewismus blind. Sie waren genauso blind wie später, als die Installateure eines „Christlichen Ständestaates“ zuerst die großen Organisationen der linksgerichteten Arbeiterschaft zerschlugen, um so, wie sie glaubten, mit der „Vaterländischen Front“ und anderen untauglichen Mitteln den Nationalsozialismus zu bekämpfen.

Die gleiche Frage richtete ich auch an Karl Renner bei einem ersten Gespräch 1945. Kurz angebunden sagte er: „Später!“ Da ich zu jenen gehöre, die ihn seit seiner Erklärung für den Anschluß aufs schärfste verurteilten, fragte ich ihn auch, ob man ihm die Pistole an die Brust gesetzt hätte. Mit frischem Brustton antwortete er: „Sie wissen doch, das gehörte zu meinem Lebensprogramm.“ Welche Folgen Renners Bejahung des Anschlusses für die Arbeiterschaft hatte, ist zeitgeschichtlich noch lange nicht richtig einsehbar gemacht.

Daß Renner mit Hilfe Stalins in der Zweiten Republik zu seiner letzten Karriere starten konnte, hat wesentlich dazu beigetragen, daß Kardinal Innitzer 1945 vollkommen unberührt blieb durch die Veränderungen. Ich hatte noch im Dezember 1937 ein längeres Gespräch mit dem Pariser Kardinal Verdier, einem scharfen Gegner des Nationalsozialismus auch von der Kanzel aus. Bei einem letzten Besuch bat ich ihn um eine schriftliche Botschaft an Innitzer. Ich war mit ihm seit längerem gut bekannt (zum Thema Ju-gendstrafrechtsreform). Er sagte mir damals: „Matejka, geben Sie es auf, der Kardinal ist längst auf unserer Seite.“ Das war für mich keine Überraschung, eher eine Bestätigimg alter Ansichten. 1930 hatte ich eine Dokumentation zusammengestellt: „Der Bolschewismus ist nicht vom Himmel gefallen“, worin ich gegen die Ver-teufelung des Bolschewismus aufklären wollte. In einem war der Vatikan mit Hitler einer Meinung: Es war die Ausrottung des Bolschewismus, das Verschwindenmachen der Oktoberrevolution und ihrer Folgen.

Die von Veiter angeführten Personen, die Hitler nicht durchschauten, glaubten: Was dem Papst nicht gelingt, wird Hitler gelingen. Der kam ja sogar bis Moskau.

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