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Digital In Arbeit

Repolitisierung statt Imagepflege

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Werständig unter dem Diktat steht, in der Öffentlichkeit präsent zu sein, wird zwangsläufig ein „Medienartikel". Aber Medienwettstreit allein kann heute nicht genügen.

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Werständig unter dem Diktat steht, in der Öffentlichkeit präsent zu sein, wird zwangsläufig ein „Medienartikel". Aber Medienwettstreit allein kann heute nicht genügen.

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Was drängt viele Politiker, sich in die Öffentlichkeit der Medien zurückzuziehen — und das oft so sehr, daß sie diese zweite Wirklichkeit für das eigentliche Leben halten?...

Man glaubt, in der Öffentlichkeit „präsent" sein zu müssen — womit ist nahezu gleichgültig -, um „anzukommen". Das zu verkaufende Produkt ist in zunehmendem Maße „der Politiker", der sich dementsprechend wie ein Markenartikel gebärden zu müssen glaubt...

Es gibt so etwas wie einen Säkularisationsprozeß von den amtskirchlichen Ideologien der Parteien. Die großen Ideologien haben ihre einstige, alles durchdringende Kärungskraft verloren, die Zahl der „unbedingt" Gläubigen ist geringer geworden.

Wenn auch der beruhigende Glaube an Ideologien tendenziell abgenommen hat, so blieb dennoch die Sehnsucht bestehen, etwas oder jemand zu haben, von dem man glauben können will, daß er einem die Welt erklären kann bzw. einen sicheren Weg durch sie zu führen weiß.

Das verstärkte Gewicht, das Persönlichkeiten in der Wahlent-scheidung haben, korreliert somit vermutlich mit dem ideologischen Glaubensverlust.

Was sollen Politiker heute nicht alles sein: sachkundig, am neuesten Stand des Wissens, straffe Lenker der Partei, die aber nicht reine Parteimänner oder -frauen sein dürfen, volksverbunden, ehrlich und vertrauenserweckend, aber doch auch schlau und trickreich, klar in der Aussage, aber nicht zu direkt; sie müssen medienwirksam sein, aber auch den small-talk beherrschen; grundsatztreu sein und doch flexibel; die Macht nutzen, aber bescheiden bleiben; über den Dingen stehen und Menschen bleiben wie Du und ich...

Da man all dies kaum sein kann, muß man Zuflucht suchen zum Schein. Nicht primär auf die eige-;

ne Persönlichkeit kommt es für-derhin an, sondern auf das Image, das man aus ihrem Substrat entwickelt bzw. entwickeln läßt.

Die wahre Sucht, sich in den Medien aufzubauen und einzupflanzen, ist aus zwei weiteren Gründen verständlich:

Erstens nehmen die Medien für sich in Anspruch, das Wichtige zu berichten; wenn daher etwas in der Öffentlichkeit der Medien ist, so ist es schon wichtig, weil es dort ist. Die Medien nehmen solcherart fast automatisch eine Art von Wirklichkeitsgewichtung vor.

Meldungen über die eigene Person haben aber auch eine Art psychologische Verstärkerfunktion. Da spektakuläre Erfolgserlebnisse in der Politik bestenfalls alle heiligen Wahlzeiten zu erwarten sind, ist man auf kurzfristige „Bestätigungen" angewiesen. Und je weniger man davon aus dem direkten persönlichen Kontakt bezieht, desto mehr bedarf man der öffentlich-medialen Anerkennung.

Die Gefahr in dieser Sucht nach der Öffentlichkeit, die als Endprodukt tatsächlich „Imagepolitiker" erzeugt, liegt einerseits in der Verwechslung von Mittel und Zweck. Korrekter: im Vergessen des Zwecks über den medialen Ego-Trip. Und—quasi in Parallelführung dazu — im ungeheuren Verschleiß an kostbarer Zeit und Energie, die für einen ernst zu nehmenden Politiker ohnehin knappe Güter sind.

Viel Zeit und Energie benötigt der Politiker, um die Flut der ihm verfügbaren Informationen kritisch zu sichten und zu analysieren, Chancen und Gefahren zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten rechtzeitig zu erkennen, um seine Steuerungsfunktion wahrzunehmen; er benötigt beträchtliche Kräfte, um die notwendigen Entscheidungen in den exekutierenden Institutionen durchzusetzen, die zwangsläufigen Konflikte fruchtbar zu machen.

Und er benötigt sie, um die Bevölkerung auf die notwendigen Schritte vorzubereiten; auf die Schritte, die er für notwendig hält.

Gemeint ist, daß die politische Öffentlichkeit (und dazu gehört mehr als ein Politiker und mehr als die Politiker) für einen vernünftigen Diskurs der wichtigen Fragen vor einer breiten Öffentlichkeit zu sorgen hat.

Dazu gehört, daß man unbequemen Fragen nicht — wie dies heute oft üblich ist — ausweicht, weil die Antworten unpopulär sein könnten und die Verschweigung ima-ge-schonender ist. Dazu gehört auch, daß man der Versuchung widersteht (dies gilt für Politiker und Medien), Probleme vorschnell zu personalisieren.

Dazu bedarf es auch des Muts, auf gefährliche Entwicklungen auch dann hinzuweisen und nach Alternativen zu suchen, wenn man mit seinen Überlegungen noch auf keine Mehrheiten in der Bevölkerung rechnen kann und die Alternativen sogar Befremden auslösen.

Solche öffentlichen Diskussionsbeziehungen setzen freilich, sollen sie gedeihen, ein Minimum an Konfliktverständnis voraus, in dem Disput nicht als persönlicher Streit und Beleidigung aufgefaßt wird.

Was wir brauchen, ist weniger Public Relations für Personen (seinesgleichen geschieht ohnedies in überreichem Maße und nicht immer zum Nutzen der Politik), sondern mehr öffentliche, wenn es sein muß, fundamentale Diskussionen der politischen Inhalte. Und es gibt Anzeichen dafür, daß dieses Ziel sogar eine Chance hat.

Nicht nur lehrt die Sozialforschung, daß es quasi „nach" den „Persönlichkeitswählern" auch die sogenannten „single-issue-Wähler" gibt, das sind solche, die ihre Entscheidung nicht von den Spitzenkandidaten (als Gesamtprodukt) oder gar alten Lagerbindungen abhängig machen, sondern einen Kandidaten oder eine. Partei nach deren Standpunkt in einer bestimmten — dem Wähler sehr wichtigen — Frage bewerten.

Das bringt für alle Beteiligten viele neue Probleme, aber auch Chancen. Sie merken diese Grundhaltung heute vielfach bei jungen Menschen, die a priori weniger lagergebunden oder autoritätsgläubig sind; man spürt sie aber auch bei kritischen Erwachsenen, die skeptisch geworden sind — skeptisch auch gegenüber der „personality-show" der Politik.

Die Tatsache, daß gewisse Probleme (Energie, Umwelt, Steuer, soziale Einrichtungen des Staates) jenseits von Politikerpersönlichkeiten diskutiert werden — und das oft sehr engagiert und oft abseits der alten ideologischen Klischees —, bedeutet eine Art Repolitisierung der Politik.

Denn ein Medienwettstreit zwischen Imagepolitikern, letztlich zwischen Politikerimages, wird als Theater erlebt: mit mehr oder weniger guten Schauspielern auf der politischen Bühne oben und mit einem Publikum, das sich ärgert, klatscht oder sich belustigt unten.

Eine repolitisierte Politik, in der die Staatsbürger verstärkt um ihre Betroffenheit durch die politischen Entscheidungen wissen und daher mehr aufs Stück als auf die Interpreten und ihre Tricks achten, bringt eine stärkere Identifikation mit der „res publica", bedeutet weniger Entfremdung vom politischen Geschehen, seinen Entscheidungen und Folgen.

Der Autor ist Vizebürgermeister in Wien und stellvertretender Bundesparteiobmann der OVP. Der Beitrag ist ein Auszug eines Referates vor dem 4. österreichischen Public Relations-Tag zum Thema „Politikerimage — Imagepolitiker".

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