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Reservatdenken reicht nicht mehr

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Hält die Gesetzgebung mit der Bewußtseinsbildung im Bereich des Natur- und Umweltschutzes eigentlich Schritt? Oder verharrt sie noch im früheren Reservatdenken?

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Hält die Gesetzgebung mit der Bewußtseinsbildung im Bereich des Natur- und Umweltschutzes eigentlich Schritt? Oder verharrt sie noch im früheren Reservatdenken?

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Was ist Naturschutz? Eigentlich eine öffentliche Aufgabe, zu deren Wahrnehmung Staat und Bürger nach Maßgabe der Gesetze verpflichtet sind. Danach sind die gesamte Natur und Landschaft so zu bewahren, zu pflegen und zu entwickeln, daß die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, die Pflanzen- und

Tierwelt sowie ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit nachhaltig gesichert sind.

Es geht weltweit um die Erhaltung wichtiger ökologischer Prozesse und Lebenssysteme, die Bewahrung der genetischen Vielfalt von Tier- und Pflanzenpopulationen, die dauerhafte Sicherung der Nutzung von Arten und Ökosystemen, von naturnahen Landschaften und Landschaftsteilen für die Zukunft.

Ein Naturschutzrecht sollte vor allem auf Erkenntnissen der Ökologie und daraus abgeleiteten Maximen gründen: etwa das Prinzip des Gesamtzusammenhanges, der Erhaltung der Materie, des Vorranges der Natur und daraus abgeleitet das Prinzip Verantwortung, das Sorge- und Vorsorgeprinzip, das Vorsichtsprinzip gegenüber Innovationen, das Prinzip der Rücksichtnahme im Gesamtverhalten, das Denken in Zusammenhängen und an Folgen.

Naturschutz mit Einschluß der Landschaftspflege ist auch Langzeitökonomie: Die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme und ihrer Teile und die Nutzungsfähigkeit von Boden, Wasser, Luft, Klima, Flora, Fauna sind für zukünftige Generationen zu erhalten, zu pflegen und wiederherzustellen.

In der Tradition des Naturschutzes wird das Natürliche auch als Erscheinungsform des Schönen angesehen. Aber das Schöne ist eine gesellschaftliche Kategorie. Daher ist davon nicht nur die ursprüngliche Natur (-Landschaft), sondern auch die Kulturlandschaft betroffen.

Während im früheren Naturschutzrecht bestimmte Einzelschöpfungen der Natur, Pflanzen- und Tierarten und Flächen unter Schutz gestellt und zu konservieren waren, haben sich seit etwa 25 Jahren normative Vorstellungen durchgesetzt, die über das Erhalten und Bewahren hinausgehen. Naturschutz verlangt mehr und mehr ein aktives Eingreifen, um die zusammenhängende komplexe ökologische und gesellschaftliche Funktion von Natur und Landschaft wiederherzustellen und zu verbessern.

Neben den konservierenden Naturdenkmal-, Arten- und Flächenschutz ist der pflegende, regenerierende und kreative Naturschutz getreten.

Die jüngeren Regelungen betreffen auch die Pflege und Entwicklung eines leistungsfähigen Naturhaushaltes, die Erhaltung und/oder Wiederherstellung der Lebensfähigkeit von Umweltbereichen wie Boden, Wasser,

Pflanzen und Tierwelt und die Neugestaltung von Gebieten und Biotopen.

Notwendig würden Interessenabwägungen zwischen Naturschutz und anderen öffentlichen Interessen und Regelungen über die Landschaftsplanung. Nur so können konkurrierende Ansprüche an den Raum aufeinander abgestimmt werden.

Mehr und mehr wird von Naturschützern die Anerkennung eines Eigenwertes von Natur und Landschaft verlangt. Sie seien um ihrer selbst willen zu schützen wie dies bei Naturdenkmalen, beim Artenschutz und bei Naturschutzgebieten schon der Fall ist. Ansonsten wird Naturschutz zu sehr „ressourcen-ökonomischer Interessenschutz".

Je mehr menschliche Bedürfnisse als Legitimation des Naturschutzes wirken, desto mehr muß Naturschutz mit anderen Interessen konkurrieren, verliert an Eigenständigkeit und wird in den Dienst utilitaristischer Interessen gestellt.

Wie stellt sich die Naturschutzgesetzgebung am Beispiel der Bundeshauptstadt dar?

In dieser Entwicklung steht auch die österreichische Gesetzgebung. Die Länder haben ihr laufend durch neue Gesetze Rechnung getragen. Dabei hat sich ein bestimmter Standard durchgesetzt, andererseits besteht ein laufender Wettbewerb.

Naturschutzrecht ist eine flüssige Rechtsmaterie geworden. Von jedem neuen Naturschutzgesetz und von jeder Novelle erwartet man daher Neues: Und zwar für die Natur Besseres nicht nur im Verhältnis zum Vorgänger, sondern auch im Verhältnis zu den anderen Naturschutzgesetzen.

Mit dieser Erwartung steht man auch vor dem Entwurf des Wiener Naturschutzgesetzes 1984, das seinen rund 30jährigen Vorgänger ablösen soll. Diese Erwartung wurde bisher enttäuscht. Obwohl Wien gerade jetzt im Bereich der Naturschutzgesetzgebung an die Spitze der Länder treten könnte, ist der Entwurf kein Vorreiter des Naturschutzes.

Man kann kaum von einem Progressivcharakter sprechen, da er weitgehend einem Defensiv- und Reservatdenken entspricht. Danach beschränkt sich das Instrumentarium des Schutzes im wesentlichen nur auf besondere Objekte und Gebiete.

Obwohl nach Maßgabe des Gesetzes .jedermann" die gesamte Natur zu schützen und zu pflegen hat — eine Forderung, die übernommen wurde —, ist daher das (Aus-)Maß beschränkt.

Es gibt keinen landesweiten Schutz. In allen neueren Naturschutzgesetzen der Bundesländer ist ein landesweiter Landschaftsschutz vorgesehen. Bestimmte Maßnahmen sind auch außerhalb von besonderen Schutzgebieten einem naturschutzbehördlichen Verfahren unterworfen, nicht etwa nur Reklamen. Obwohl gerade in Wien Pflegemaßnahmen notwendig sind, fehlen Regelungen dafür. Es geht vor allem um Kosten-, Planungs- und Duldungsbestimmungen. Alle neueren Gesetze sehen Maßnahmen der Natur- und Landschaftspflege vor.

Es fehlen ein Naturschutzfonds, Planungs- und Managementregelungen und ein Naturschutzanwalt. Wien hätte jetzt die Chance, eine echte Naturschutzanwaltschaft zu schaffen, als weisungsfreie Institution, die von den Naturschutzorganisationen mitzu-bestellen ist, volle Parteistellung hat und auch die Höchstgeriche anrufen kann.

Dezentralisation unter Berücksichtigung der Bezirke und Partizipation im Naturschutz kommen zu kurz. Die Zusammensetzung eines vorgesehenen Naturschutzbeirates entspricht zu wenig den Interessen des Naturschutzes. Ihn einfach „Naturschutzanwaltschaft" zu nennen, wenn er als Beschwerdebriefkasten fungiert, ist Potemkinsche Gesetzestechnik.

In den Entwurf kam endlich der Naturschutzbericht an den Landtag. Aber wird er auch die Lage der Natur in Wien darstellen?

Die besondere Lage von Natur-und Landschaft in Wien bedarf besonderer gesetzgeberischer Maßnahmen. Das Engagement und das immer größer werdende Interesse der Wienerinnen und Wiener sollten im Gesetz durch Mitwirkungs- und Informationsregelungen Berücksichtigung finden.

Der Verfasser ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und Wiener OVP-Gemeinderat.

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