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Reserven im Norden

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FURCHE: Sind Großstädte überhaupt noch planbar? ARCHITEKT WILHELM HOLZBAUER: Im Vergleich mit den megalomanischen Städten in den prittweltländern fragt sich, wie weit man Wien überhaupt noch als Großstadt bezeichnen kann. Mexico City nähert sich den 20 Millionen, diese Städte sind nicht mehr planbar. In Wien mit einem nach 50 oder 70 Jahren erst jetzt wieder beginnenden Wachstum gibt es keinen Grund, zu sagen, diese Stadt sei nicht planbar. Die Entwicklung Wiens ist in Bahnen zu bringen, die eine sinnvolle Weiterentwicklung des Stadtkörpers gewährleisten.

FURCHE: Läuft die Entwicklung in die Richtung, die Sie sich als Architekt wünschen?

HOLZBAUER: Es gibt nicht die eine Planung, sondern Ansätze, die teilweise mit großem Impetus beginnen und versanden. In der Gürtelfrage gab es einen Wettbewerb, eine Gürtelkommission, jahrelang sind Berichte geschrieben worden, zum Schluß ist nichts herausgekommen. Vielleicht ist das als Zeichen zu werten, daß nicht überall Entwicklungen sein müssen, die Radikalschnitte bedeuten wie im 19. Jahrhundert. Das waren visionäre Entwicklungen, an denen fehlt es uns ein bißchen. Das hängt wohl auch damit zusammen, daß die städtebauliche Theorie nicht mehr in eine Richtung geht, sondern es verschiedene Schulen gibt.

FURCHE: In welche Richtung wird in Wien derzeit geplant?

HOLZBAUER: In den fünfziger Jahren hat Professor Roland Rainer die Bandstadt Richtung Süden propagiert. Nach der Bandstadt-Theorie soll die Stadt entlang

mehreren Verkehrsbändern, Schiene/Straße und so weiter, entwik-kelt werden. Ich habe damals mit Kurrent und Spalt zusammengearbeitet und wir haben das Gegenteil behauptet: Die Stadt wird sich in der Gegenrichtung, über die Donau, ausdehnen.

FURCHE: Wie weit?

HOLZBAUER: Es gibt jetzt das Band Praterstraße-Lassallestraße, sicher ein Schlüsselpunkt der Erweiterung. Andererseits ist das bevölkerungsmäßige und potentielle wirtschaftliche Wachstum noch nicht so groß, daß man wie London mit den Docklands oder Paris mit La Defense planen kann. In Paris wurde sehr weise zuerst das Schnellverkehrssystem errichtet, dann erst begann man mit der Bebauung. Bei uns macht man es leider umgekehrt.

FURCHE: Sollte man mit der U-Bahn beginnen?

HOLZBAUER: Man müßte immer mit einer öffentlichen Verkehrslinie anfangen. Nehmen wir Kagran. Die Verlängerung der U-Bahn um drei, vier weitere Stationen in die künftigen Siedlungsgebiete wäre noch mit vergleichsweise geringen Kosten möglich, dann siedelt sich dort alles an. Wie in Paris hat man auch in Singapur zuerst das System des öffentlichen Verkehrs gebaut und Schwerpunkte gesetzt.

FURCHE: Paris hatte halt schon das Basis-U-Bahnnetz.

HOLZBAUER: In Singapur hat man in wenigen Jahren ein ganzes Netz gebaut, das ist jetzt fast fertig; Es handelt sich immer auch um ein Zeitgeistproblem.

FURCHE: Stehen Sie zur Stadtentwicklung nach Norden?

HOLZBAUER: Selbstverständlich. Ob die Expo kommt oder nicht, dort wird das neue Siedlungsgebiet entstehen und entlang dieser Achse wird man weiter bauen.

FURCHE: Wo sollen die Bauzonen sein?

HOLZBAUER: Von der UNO-City die Wagramer Straße entlang hinaus. Dort werden die Schwerpunkte für die 200.000 Wohnungen sein, die man in nächster Zeit bauen will und bauen wird müssen.

FURCHE: Was soll dort entstehen? Wohnungen? Firmenansied-lungen?

HOLZBAUER: IBM hat mit meinem Haus (am Anfang der Lassallestraße, Anm. d. Red.) einen Startschuß gegeben, danach ist sofort die Z gekommen, die Immorent will hin, es gibt noch einige Interessenten. Auch hier ist ja der zündende Funken nicht nur die Weltausstellung, sondern die Nachnutzung. Kommt die Expo nicht, wird es dort trotzdem eine Entwicklung geben.

FURCHE: In welchen Formen soll sich der neue Wohnbau abspielen?

HOLZBAUER: Die Frage Hochbau oder Flachbau ist uralt. Ich glaube, daß es beides geben soll. Für das Wohnen selbst ist zweifellos die niedrige Bebauung weitaus richtiger. Der Hochbau ist denkbar für bestimmte Schichten auf der Luxusebene, etwa den „young executive on the way up" („Juppie", Aufsteiger, Anm. d. Red.), der bewußt kurz so wohnen und in dieser Zeit das Hochhaus mit Aussicht und schickem Flair schätzen wird. Daß Hochhäuser im Sozialbau einfach nicht funktionieren, ist belegt. Dafür rede ich das Wort dem verdichteten Flachbau ä la Puchenau. Früher hat man Teppichsiedlungen gesagt und ebenfalls die aneinandergestellten Atriumhäuser gemeint. Daß diese schon aus dem alten Griechenland und Rom bekannte Wohnform ideal ist, ist gar keine Frage. Die Frage ist nur, ob man das ausschließlich machen kann. Der drei- bis viergeschossige Wohnbau, der große Freiräume offenläßt, ist eine Alternative. Man soll nicht ins Ideologische verfallen und sagen: Das ist es, anderes gibt es nicht.

FURCHE: Welches Zahlenverhältnis wäre richtig?

HOLZBAUER: Aus dem Stand: In Hochbauten mit mehr als acht bis zehn Geschossen nicht mehr als zehn bis 15 Prozent der Wohnein-

heiten. Wieviel drei- bis viergeschossiger Wohnbau oder verdichteter Flachbau, hängt, auch vom Gelände und der städtebaulichen Situation ab.

FURCHE: Und wieviele im verdichteten Flachbau?

HOLZBAUER: Sicher um die 40 Prozent. Der Rest, könnte ich mir vorstellen, in dreigeschossigen Bauten.

FURCHE: Schicksalsfrage: Wie denken die Maßgeblichen darüber? Hat ein Umdenkprozeß begonnen?

HOLZBAUER: Ich weiß nicht, ob er begonnen hat. Tatsache ist, daß Rainer jetzt in diesem Gebiet eine größere Siedlung im verdichteten Flachbau baut und sicher in Wien Tendenzen bestehen, dies verstärkt zu machen.

FURCHE: In einer früheren Publikation von Ihnen gibt es das nicht ausgeführte Projekt einer Teppichsiedlung aus vorfabrizierten Teilen für die USA. Ließe sich das heute für Wien modifizieren?

HOLZBAUER: Es ist fast 3 0 Jahre alt und ich könnte es fast unverändert mit wirklicher Überzeugung bauen. Vielleicht sollte ich die Idee verfolgen. Es ist ein sehr flexibles System.

FURCHE: Welche Verbilligung brächte die Fertigteilbauweise heute im Flachbau in Wien?

HOLZBAUER: Könnte ich 2.000 Einheiten bauen, meiner Schätzung 15 bis 20 Prozent. Man müßte es ausprobieren. Aber es hat sich noch niemand gefunden.

Architekt Wilhelm Holzbauer baut derzeit unter anderem das IBM-Gebäude an der Wiener LassallestraGe und lehrt Architektur an der Hochschule für Angewandte Kunst, mit ihm sprach Hellmut Butterweck.

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