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Rest-Kroatien droht der Kollaps

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Jugoslawien wird in seiner früheren Form nicht mehr weiterexistieren können. Geht man von dieser Prämisse aus, so stellt sich die Frage, wie das Leben nach dem Bürgerkrieg weitergehen soll und kann. Haben die einzelnen Regionen überhaupt die wirtschaftliche Basis für einen Fortbestand?

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Jugoslawien wird in seiner früheren Form nicht mehr weiterexistieren können. Geht man von dieser Prämisse aus, so stellt sich die Frage, wie das Leben nach dem Bürgerkrieg weitergehen soll und kann. Haben die einzelnen Regionen überhaupt die wirtschaftliche Basis für einen Fortbestand?

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Gegenwärtig ist das ökonomische System des ehemaligen Jugoslawien ruiniert und zerrissen, die Handelswege sind unterbrochen. Fabriken stehen still, die Ernte verrottet auf den Feldern, die Hotels stehen leer. Grundnahrungsmittel werden knapp, die Ausgabe von Lebensmittelkarten steht bevor. Gegenseitige Enteignungen sind an der Tagesordnung. Züge fahren auch nicht mehr, die von Serben dominierte staatliche Fluggesellschaft fliegt Slowenien und Kroatien nicht an. Notwendige industrielle Zulieferungen errreichen nicht mehr ihr Ziel.

Die Industrieproduktion war im bisherigen Jahresverlauf schon um die Hälfte geringer als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Arbeitslosigkeit erreichte unter diesen Umständen noch gering erscheinende 20 Prozent, in Fremdenverkehrsgebieten allerdings bis zu 80 Prozent. Denn die Touristen, die in anderen Jahren fünf Milliarden Dollar gebracht und wirtschaftliche Aktivitäten im Ausmaß von zehn Milliarden Dollar in Gang gesetzt hatten, blieben aus.

In Belgrad läuft die Banknotenpresse auf Hochtouren. Angesichts der Steuerausfälle als Folge der kaputten Wirtschaft und des Ausfalls der Deviseneinnahmen bleibt die ungedeckte Ausgabe frischen Papiergelds die einzige Möglichkeit für Serbien, Krieg und Armee weiter zu finanzieren. Den ganzen Sommer über soll das bereits praktiziert worden sein. Die desaströ-sen Auswirkungen auf den Geldwert interessieren aber im Augenblick niemanden. Wahrscheinlich zu Recht, denn das Währungswesen wird nach dem Bürgerkrieg gleichfalls neu geordnet werden müssen.

Die Devisenreserven des Bundesstaats belaufen sich derzeit wahrscheinlich nur noch auf etwa drei Milliarden Dollar. Demgegenüber stehen Auslandsschulden von 14,5 Milliarden Dollar (gegenüber Österreich etwas über zehn Milliarden Schilling). Die Zahlungsunfähigkeit wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Daß dieser wirtschaftliche Zusammenbruch und der Bankrott nicht den Sjurz der verantwortlichen Politiker bewirken wird, ist inzwischen klar geworden. Was kann daher von „außen" getan werden, um diesem grauenhaften Morden ein rasches Ende zu bereiten und einen politischen und wirtschaftlichen Neubeginn zu suchen? Allzu große Hoffnungen sollte man sich wohl nicht machen. Am wirksamsten wäre vielleicht eine absolute Blockade des Waffenhandels. Aber man weiß ja, daß die Versorgung mit Kriegsgerät über viele Kanäle doch immer wieder sichergestellt werden kann. Internationale Kredite sind großteils bereits blok-kiert, was aber erst auf längere Sicht Wirkung zeigen kann.

Den Stein der Weisen aber sucht derzeit wieder die EG-Kommission, die prüfen läßt, in welchem Umfang „eine Kombination aus Sanktionen und wirtschaftlichen Hilfen" möglich sei. Die Exporte der EG nach Jugoslawien hatten 1990 rund 17,5 Milliarden DM erreicht, in umgekehrter Richtung flössen Waren für 15,7 Milliarden DM. Eine Unterbindung dieses Handels bedeutete zwar eine wesentliche wirtschaftliche Schwächung, Leidtragende eines solchen Embargos ist aber letztlich die Zivilbevölkerung wie das Beispiel des Irak zuletzt eindrücklich zeigte. Aus der Wirtschaftsgeschichte ist kaum ein lückenlos durchgeführter Wirtschaftsboykott eines Landes bekannt. So ist zwar der Handel Europas mit Serbien ohnehin bereits weitgehend zum Erliegen gekommen; die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern, wie vor allem mit Erdöl nach der Unterbrechung der Pipelines durch Kroatien funktioniert aber immer noch über Rumänien und Griechenland.

So bleibt letztlich nur die Hoffnung auf ein rasches Ende des Bürgerkrieges und einen Neubeginn unter geänderten Vorzeichen. Wie ist dann die ökonomische Situation der einzelnen Regionen einzuschätzen?

Es ist bekannt, daß Slowenien -obwohl gleichfalls viele Jahre von einer echten internationalen Wettbewerbsfähigkeit entfernt - die besten Voraussetzungen füreine ökonomisch einigermaßen akzeptable Position mitbrächte. Die Ausbildung der Arbeitskräfte ist gut, die Industrie hat in den Bereichen Elektrogeräte, Stahl und Textilien brauchbares aufzuweisen. Von den wenigen verfügbaren regionalen Vergleichsdaten schneidet Slowenien in allen Punkten besser ab als die anderen Republiken. Sollte es zu einer Aufteilung der Auslandsschuld des bisherigen Bundes auf die Republiken kommen, so könnte Slowenien die auf sein Land entfallenden zwei bis drei Milliarden Dollar wohl relativ problemlos bedienen.

Enge Wirtschaftsbindung

Bosnien, Montenegro, Kosovo und Mazedonien wurden bisher von den kriegerischen Auseinandersetzungen weniger betroffen, ihre ökonomische Potenz ist aber als recht bescheiden einzustufen. Was nun Serbien und Kroatien betrifft, so erscheint ein weiteres Nebeneinanderleben in den bisherigen Grenzen bei versuchter gegenseitiger wirtschaftlicher Unabhängigkeit nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch kaum möglich: zu eng verzahnt sind die Wirtschafts- und Produktionsstrukturen der beiden Länder. Das bessere Ende selbst in diesem Fall hätte aber zweifellos Kroatien für sich, das in Friedenszeiten 25 Prozent des jugoslawischen Brutto-Sozialprodukts erwirtschaftete, eine gute Industriestruktur hat und vor allem 90 Prozent der jugoslawischen Deviseneinnahmen aus dem Reiseverkehr verdiente. Schuldendienst für zu übernehmende Auslandsschulden wären demnach gleichfalls kein Problem. Serbien hat von dem allem nichts vorzuweisen. Die Industriestruktur ist, außer vielleicht um Belgrad, schwachentwickelt. Serbien müßte mit Arbeitslosigkeit, Inflation und Zahlungsunfähigkeit kämpfen.

Ganz anders wäre die Situation allerdings, realisiert sich die serbische Vorstellung von Gebietserweiterungen um bisher kroatische Gebiete. Dann fielen die Kornkammer Ostslawonien, Teile der kroatischen Industrie und Teile der dalmatinischen Küste mit ihrem Fremdenverkehrspotential an Serbien. Rest-Kroatien, all dieser Gebiete beraubt, wäre dann seinerseits ökonomisch ruiniert.

Am schlimmsten aber wäre ein lang andauernder Bürgerkrieg mit weiteren Zerstörungen der Infrastruktur.

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