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Retortenbaby: Klare Rechtslage

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Angesichts der rasanten Entwicklung auf dem Gebiet der sogenannten In-Vitro-Fertilisation hieße es, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn man das Problem in rechtlicher Hinsicht ignorierte. Zusätzlich zu den religiösen und moralischen Aspekten wirft das Retortenbaby als Problem betrachtet auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Rechtsfragen auf, die in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung mit dem Instrumentarium des geltenden Rechtes bewältigt werden müssen.

Es ist dies eine Situation, die sich immer wieder ereignet. Die fortschreitende Entwicklung auf den verschiedensten Gebieten von Wissenschaft und Technik führt zwangsläufig dazu, daß die Rechtsordnung zunächst die auftretenden Probleme ohne spezielle, eigens hiefür geschaffene Sonderregelungen bewältigen muß.

Nicht zuletzt ist es eine Frage gerade der Güte einer bestehenden Rechtsordnung, inwieweit sie allein und ohne sofort den Gesetzgeber auf den Plan treten zu lassen in der Lage ist, auch Probleme, für die sie seinerzeit nicht speziell geschaffen wurde, zu meistern.

Unsere Rechtsordnung ist nun — und dies muß mit Befriedigung ausgedrückt werden — durchaus fähig, mit dem Problem des Retortenbabys interessengerecht fertig zu werden, und zwar weitgehend auch ohne erst zu schaffende Spezialnormen.

Zentraler Ausgangspunkt aller juristischen Überlegungen zum Retortenbaby ist die Frage, worum es sich bei dem außerhalb des Mutterleibes gezüchteten Zellgebilde eigentlich handelt. Zur Auswahl stehen dabei zwei Bereiche: Entweder sieht man in dem Zellgebilde außerhalb der Mutter einen sogenannten Nasciturus, ein ungeborenes Kind im Sinne des Paragraph 22 ABGB oder man ordnet es gemäß Paragraph 285 ABGB dem Bereich der Sachen zu.

Auszugehen ist bei der Lösung dieser Frage davon, daß der wesentliche Unterschied zwischen der Erzeugung menschlicher Nachkommenschaft im herkömmlichen Sinn und einem Re-tortenbaby darin liegt, daß im letzteren Fall die Befruchtung, das ist die Vereinigung von Ei- und Samenzelle, außerhalb des Mutterleibes stattfindet.

Der oben erwähnte Paragraph 22 ABGB stellt auf den Zeitpunkt der Empfängnis ab und läßt einem Ungeborenen ab diesem Moment den Schutz der Gesetze angedeihen. Daher und weil sowohl in der medizinischen Fachsprache als auch in der neueren juristischen Fachliteratur unter Empfängnis die Vereinigung von Ei- und Samenzelle verstanden wird, besteht meines Erachtens überhaupt kein Grund dafür, das Zellgebilde in der Retorte anders zu behandeln als einen auf vollkommen natürlichem Weg erzeugten Nasciturus.

Auch das Gebilde in der Retorte steht somit im Sinn des Paragraph 22 ABGB als ungeborenes Kind, als sogenannter Nasciturus unter dem Schutz unserer Rechtsordnung.

Der andere Weg, nämlich die Betrachtung des Zellgebildes als Sache, würde dazu führen, daß man sich zunächst fragen müßte, wer denn Eigentümer dieser Sache ist. Konsequenterweise müßte man dabei wohl annehmen, daß das Gebilde in Anwendung des Paragraph 415 ABGB im Miteigentum von Ei- und Samenspender aber auch des Arztes steht, der die „Verarbeitung“ durchgeführt hat.

In weiterer Folge führte das dann zu dem Ergebnis, daß das Zellgebilde außerhalb des Mutterleibes vollkommen frei jeglicher Disposition seiner Eigentümer unterläge. Dieser Umstand müßte — jedenfalls meiner Ansicht nach — raschest den Gesetzgeber mobilisieren, damit diese besondere Sache zur res extra commercium (zum nicht handelsfähigen Gut) erklärt und verhindert wird, daß das Retortenbaby zum Spielball der — sicherlich oft auch überwiegend kommerziell motivierten — Interessen seiner Eigentümer wird.

All dies ist aber dann nicht nötig, wenn man den Embryo außerhalb des Mutterleibes auf dem Boden unserer Rechtsordnung bereits als Nasciturus im Sinne des Paragraph 22 ABGB ansieht.

Der besondere Schutz des Gesetzes im Sinne des Paragraph 22 ABGB liegt nun darin, daß der • Nasciturus keineswegs „Eigentum“ seiner Erzeuger ist, sondern, insoweit es um seine Interessen geht, bereits als Träger von Rechten angesehen wird, allerdings aufschiebend bedingt durch seine spätere Lebendgeburt.

Zur Wahrung seiner Rechte ist dem Nasciturus gemäß Paragraph 274 ABGB ein Kurator (ab 1.7.1984 ein Sachwalter) zu bestellen, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, dafür zu sorgen.

daß das Wohl des Nasciturus, insbesondere sein Recht, ohne körperlichen Schaden geboren zu werden, gewahrt bleibt.

Jede Disposition über den Embryo in der Retorte hat unter dieser Maxime zu stehen. Dies ist insbesondere für die Frage wichtig, was mit sogenannten ;,spare- embryos“ geschieht, das sind überzählige befruchtete Eier, die nicht der Eispenderin implantiert werden.

Unter allen derzeit diskutierten Varianten (medizinische Versuche am Embryo, „embryo-donati- on“, Tieffrieren) ist im Sinne des oben Gesagten dabei unbedingt immer der Lösung der Vorzug zu geben, die dem Embryo die Chance gibt, lebend geboren und damit Mensch zu werden.

Damit bietet sich unter optimaler Wahrung des Wohles des Nasciturus für sogenannte „spare embryos“ nur die Lösung an, sie entweder sogleich einer anderen Frau zur Vornahme einer Implantation zur Verfügung zu stellen (sogenannte „embryo-donation“) oder sie zunächst tiefzufrieren, damit sie später bei Bedarf entweder der seinerzeitigen Eispenderin, die wieder ein Kind möchte, oder aber einer anderen Frau implantiert werden können.

Die Vernichtung überzähliger Embryos bzw. wissenschaftliche Experimente sind als Varianten, die nicht dem Wohle des Nasciturus entsprechen, abzulehnen.

Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Schicksal der „spare-embryos“ wurde schon mehrfach das Argument laut, daß im Hinblick auf die Entscheidungsbefugnis der Frau im Rah-men der Fristenlösung gemäß Paragraph 97 StGB die Eispenderin allein dispositionsbefugt sei.

Dem ist entgegenzuhalten, daß im Hinblick auf ein Retortenbaby, das sich ja nicht im Mutterleib befindet, keinesfalls von der besonderen Konfliktsituation einer schwangeren Frau die Rede sein kann, die den Gesetzgeber des StGB veranlaßte, der Frau unter bestimmten Voraussetzungen die Entscheidungsgewalt über das Schicksal des Ungeborenen zu überlassen.

Nicht zuletzt ist jener Meinung, die die Entscheidungsgewalt allein der Eispenderin überlassen will, auch mit dem Hinweis auf die Interessen des Samenspenders entgegenzutreten, weil eine Alleinentscheidung der Eispenderin gleichheitswidrig wäre.

Da aber die Sorge um das Wohl des Nasciturus, verantwortungsvoll von einem Kurator (bzw. Sachwalter) unter der Aufsicht des Pflegschaftsgerichtes wahrgenommen wird, erübrigt sich jede Diskussion um ein Alleinentscheidungsrecht der Eispenderin. Jede andere Lösung ist überdies schon deshalb abzulehnen, weil sie die Gefahr mit sich bringt, daß der Embryo zum Spielball allenfalls sogar rein kommerzieller Interessen wird.

Besonderes Augenmerk verdient schließlich noch die Frage nach den Konsequenzen einer „embryo-donation“. Dabei entsteht eine Situation, in der man unter Umständen davon wird sprechen können, daß ein Kind zur Welt kommt, das zwei Mütter hat, nämlich einerseits die Eispenderin und andererseits jene Frau, die das Kind austrägt und' zur Welt bringt.

Vom Standpunkt des geltenden Rechtes aus wird ein derartiger Fall befriedigend wohl nur dahin gelöst werden können, daß die Frau, der ein fremder Embryo implantiert wird und die dann das Kind zur Welt bringt, dieses Kind adoptiert.

Die entsprechenden zustimmenden Willenserklärungen der Eispenderin könnten unschwer auch pränatal abgegeben und in besonderen Konfliktfällen auch im Wege einer sogenannten Kon- senssupplierung durch Gerichtsbeschluß ersetzt werden.

Hat man die Interessen das Nasciturus im Auge, dann bietet auch die gegebene Rechtslage beruhigende Garantien dafür, daß einem Embryo allein aus der Tatsache, daß er sich außerhalb des Mutterleibes befindet keine schlechtere Position zukommt als einem Embryo im Mutterleib im Stadium vor der Nidation.

Der Autor ist Richter und Disziplinaranwalt der österreichischen Ärztekammer. Beiträge, die sich mit der Retortenzeugung befaßten, findet man auch in FURCHE Nr. 27/83 und 35/83.

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