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Rette sich wer kann?
Solidarität! Alljährlich wird sie am 1. Mai besonders hochgehalten: auf Transparenten. Und in Reden wird sie beschworen: national wie international.
Doch nicht auf die Parole, auf die Gesinnung kommt es an. Geht die solidarische Verbundenheit wirklich über die eigenen Interessensphären hinaus?
Der Einkommensabstand zwischen bäuerlichen Familienarbeitskräften und unselbständig Erwerbstätigen hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt fast verdreifacht. Ist das kein Verstoß gegen die Solidarität?
Männliche Arbeiter und Angestellte verdienen im Schnitt 40 Prozent mehr als weibliche, ebenso beziehen Akademiker ein um die Hälfte höheres Gehalt als Akademikerinnen. Wird da nicht augenscheinlich der Grundsatz der Solidarität verletzt?
Die Bereitschaft zu einem dem Gemeinwohl verpflichteten Denken und Handeln wird gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf die Probe gestellt. Die Neigung, eigene Interessen hintanzustellen, nimmt ab. Zu nimmt die Zahl jener, die einer egoistischen Devise zusprechen: Jeder ist sich selbst der Nächste.
Sorge und Angst um die Arbeitsplätze paart sich plötzlich mit chauvinistischen Tendenzen. „Jagts die Gastarbeiter harn", charakterisiert Josef Kerschbaum, Zentralbetriebsratsobmann einer großen Baufirma und Wortführer des Vereins „Sichere Zukunft - sichere Energie", Stimmung und Forderung in der Kollegenschaft.
Und nicht nur einfache Arbeitnehmer denken so. Auch Norbert Neururer, Landesarbeitsamtsleiter in Bregenz, meinte kürzlich, Gastarbeiter nähmen österreichischen Arbeitern Arbeitsplätze weg.
Aber nicht jeder Politiker bringt in dieser Situation wie AK-Präsident Bertram Jäger im konkreten Fall den Mut auf, für die Gastarbeiter Partei zu ergreifen.
Wenn es keine Gastarbeiter gäbe, antwortete der Vorarlberger Arbeiterkammerpräsident dem Arbeitsamtleiter, würden auch viele Österreicher ihre parallel-und nachgeschalteten Arbeitsplätze verlieren. Abgesehen davon, daß die Vorarlberger Industrie ohne die ausländischen Arbeitskräfte nie ihren derzeitigen Leistungsstandard erreicht hätte, widerlegte Jäger Neururer auch in der Sache:
„Dort, wo hohe Arbeitslosigkeit herrscht, also etwa in den Problemgebieten in der Steiermark oder in Niederösterreich, gibt es so gut wie keine Gastarbeiter. In Gebieten mit geringer Arbeitslosigkeit dagegen sind Gastarbeiter verhältnismäßig zahlreich."
Tatsache ist: Seit 1973 wurde die Zahl der in Österreich beschäftigten Gastarbeiter um rund 60.000 verringert — damit die eigenen Beschäftigungsprobleme gelöst würden. Doch sollte man fairerweise die Augen nicht davor verschließen, daß damit Beschäftigungsprobleme in den Heimatstaaten verbunden sind.
Die Angst um Arbeitsplatz und Wohlstand bekommen aber nicht nur die Gastarbeiter zu spüren. Schmierparolen „Polen raus!" werden beschämend häufiger.
Und hier zeigt sich: Einfach ist es, sich in Protestresolutionen mit der unterdrückten polnischen Gewerkschaftsbewegung solidarisch zu erklären. Ungleich schwieriger ist es, tatkräftige Solidarität zu üben.
Teilen fällt uns schwer — nicht nur mit Polenflüchtlingen. Was haben die Bekenntnisse zur internationalen Solidarität mit den Arbeitnehmern in den Entwicklungsländern und zur Ausweitung der österreichischen Entwicklungshilfe gefruchtet?
Bundeskanzler Bruno Kreisky ist ehrlich genug, einzugestehen, „daß Österreich in dieser Frage keine sehr hervorragende Rolle spielt... Materiell ist unsere Leistung unter jeder Kritik".
Auch in wirtschaftlich günstigeren Zeiten war es nicht möglich, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen: „Das ist leider politisch nicht durchzusetzen" (Kreisky).
In wirtschaftlichen und budge-tären Krisenzeiten ist noch weniger durchsetzbar. Noch dazu spürt gerade jetzt auch die österreichische Volkswirtschaft die wachsende Konkurrenz der Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Frage, inwieweit Arbeitsplätze in den Industrieländern durch die verstärkte Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft bedroht sind, ist längst keine theoretische mehr.
Zwar sind die Zeiten des offenen Protektionismus vorbei, und wir halten uns zugute, Handelshemmnisse gegenüber Staaten der Dritten Welt abgebaut zu haben, trotzdem wehren wir uns (wie andere Industriestaaten auch): eine Exportförderung, wie sie im Interesse der heimischen Arbeitsplätze in den Wirtschaftskampf forciert wird, können sich freilich nur reichere Staaten leisten. Eigene Exportsteigerungen werden, das wohlverstandene Eigeninteresse in Ehren, mit Exportrückschlägen für andere (schwächere) Welthandelspartner erkauft.
Vereinzelt melden sich kritische Stimmen, die vor einer „Rette-sich-wer-Kann"-Poütik warnen, SPÖ-Wirtschaftssprecher Eugen Veselsky zum Beispiel.
Da klingt jene Verantwortung an, auf die es gerade heute ankäme: Einer trage des anderen Last...
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