6810447-1972_31_04.jpg
Digital In Arbeit

„Retten, was noch zu retten ist?“

Werbung
Werbung
Werbung

Kommt das Gespräch auf das ! Thema Altstadterhaltung, wird der | „gelernte Wiener“ entweder nach- j denklich-schweigsam oder aggressiv. \ Und trägt der Wind die Melodie der j Preßlufthämmer und den metalle- i nen Klang der Spitzhacke an sein j Ohr, dann ist das für ihn wie das Läuten der Totenglocke, denn: 1 Irgendwo stirbt wieder ein Stück 1 Wiens.

Nicht, daß man etwa in Wien, das ] heißt an kompetenter Stelle, die i Bedeutung der Altstadterhaltung zu spät erkannt hätte, man hat einfach ' verabsäumt, etwas Entscheidendes 1 zu tun. Daß historisch wertvolle und i baulich interessante Altstadtteile in I ihrer Gesamtheit zu schützen sind, darüber gibt es im Bundesdenkmal- 1 amt eine Anweisung aus dem Jahr 1 1883. Sie ist selbst schon ein Denk- ! mal. Was seit damals nicht geschah, i könnte man einmal in einer „Chronologie der Versäumnisse“ festhal- i ten. i

Der zweite Weltkrieg hatte durch die vielen Bombentreffer das Stadt- j bild stark verändert. Die Altstadt und die vielen ehemaligen Vororte I waren jedoch — im Vergleich zu vielen Städten in Deutschland — relativ gut erhalten geblieben. Ja, es i eröffneten sich sogar da und dort ] Möglichkeiten, Plätze und Straßen ] im ästhetischen und verkehrstechni- i sehen Sinn positiv umzugestalten. Der enge Stephansplatz beispiels- i weise war an seiner Westfront nur ] noch von Ruinen flankiert und trotz ] des Wiederaufbaueifers nahm man : sich die Zeit, eine Platzerweiterung ! zu diskutieren. Das Stadtbauamt ! schrieb einen Architektenwett- : bewerb aus. Die gestellte Aufgabe bestand darin, eine architektonische : Lösung für die Häusergruppen in der beginnenden Rotenturmstraße ! und die an den Platz anschließenden : Häuser in der Kärntnerstraße, der i

Singerstraße und am Graben zu finden, für die eine Abänderung der gegenwärtigen Baulinie zulässig war. Der Komplex zwischen Goldschmiedgasse und Brandstätte wurde allerdings nicht in die Baufluchtänderung einbezogen.

Es kam aber anders: Es entstand weder ein kleiner Platz an der heutigen Kreuzungsecke Brandstätte— Rotenturmstraße, noch wurde die Baulinie an der Westseite des Stephansplatzes zurückgeschoben. Es entstanden im Gegenteil noch viel wuchtigere Gebäude. Klingende Münze für teuren Boden hatte die idealen Vorstellungen zunichte gemacht.

Auch eine ästhetische Rettung des Opernringes fand nicht statt, man knallte dafür — damals der letzte Schrei — einen „Opernringhof“ neben die Oper, obwohl es nach dem Krieg interessante Pläne für die Ausgestaltung der inneren Bezirke gab, so etwa für den Opernplatz, den Karlsplatz, den Schwarzenbergplatz, die Wienzeile und die meisten Vororte, die ihren Charakter erhalten sollten.

Natürlich hatte der Wiederaufbau Vorrang, und vor allerri die Sanierung der schlimm hergenommenen Häuserreihen entlang des Donaukanals und im zweiten Bezirk schritt schnell voran. Früh setzte aber in den fünfziger Jahren völlig unnötiger Weise und aus zumeist rein spekulativen Gründen eine Zerstörungswelle alles Alten ein. Zudem stellte sich die darauffolgende Bau-lückenverbauung recht teuer. Die Proteste der Bevölkerung verhallten meist ungehört.

Das Kulturamt der Stadt Wien schüttete gelegentlich Zuschüsse für Fassadenaktionen aus, so daß die Hausherren lediglich für die Innenrenovierung zu sorgen hatten. War das betreffende Althaus aber einsturzreif oder lockte ein gutes Kaufangebot bei Abbruch des Hauses, so gab es rechtlich keine Möglichkeiten, das zu verhindern. Das Bundesdenk-malamt konnte lediglich bei denkmalgeschützten Häusern Einspruch erheben, hob diesen aber nicht selten auf, wenn der Besitzer auf finanzielle Unterstützungen zu sprechen kam, denn Geld gab es fast nie in den Kassen des Denkmalamtes.

Man könnte ein ganzes Register von wertvollen und unersetzlichen Gebäuden anführen, denen der Kompetenzdschungel und die fehlenden Gesetze zum Verhängnis wurden: Piaristengasse 48, Barnabi-tengasse 4, Wollzeile 7, Landstraße 55 und 57, Wiedner Hauptstraße 84 bis 86, Erdbergerstraße 9, Ebendorf erstraße 4... Nur einige wenige. Dann kommen noch die Zerstörungen durch Fehlplanungen: die Rauchfangkehrerkirche in der Wiedner Hauptstraße oder die zahlreichen die Silhouette des Stadtbildes zerstörenden vielgeschossigen

Wohnsilos, die vielleicht amerikanischen Viehtreiberstädten den Anstrich der Prosperität geben, aber den kulturtragenden Teil der Wiener zutiefst kränken.

Anregungen aus Warschau

Erst sehr spät stellten bei einer Studienreise nach Warschau und Krakau sozialistische Wiener Stadtväter erstaunt fest, daß aber eine zentral gelenkte Erhaltung der Altstadt wesentlich günstiger ist, als Einzelunternehmungen. Man mußte auch erstaunt feststellen, daß man es sich dort einiges kosten ließ, die Städte nicht an den falschen Stellen zu modernisieren.

Um zu retten, was noch zu retten ist, brachten ÖVP-Gemeinderäte am 16. Juni 1967 einen Antrag im Gemeinderat ein, in dem sie ein Altstadterhaltungsgesetz forderten. Von der Rathausmehrheit wurde die Vorlage eines entsprechenden Gesetzes damals zwar wiederholt angekündigt, aber nicht fertiggestellt. Erst jetzt, 1972, ist im Landtag ein Gesetz einstimmig beschlossen worden. Zunächst einmal schafft dieses Gesetz die finanziellen Voraussetzungen zur Altstadtsanierung. Aus einem eigenen Altstadterhaltungsfonds werden die durch die Eigenheiten des Althauses entstehenden Mehrkosten einer Sanierung gespeist, wenn der Hausbesitzer bedürftig ist oder die Kosten aus den Erträgnissen der neuen Nutzbarmachung des Objektes nicht gedeckt werden können.

In Schutzzonen, die im Flächenwidmungsplan der Stadt aufscheinen, werden umfassende Schutzmaßnahmen gültig: Abänderungsverbote und Abtragungs verböte; auch „Ziergegenstände“ dürfen jetzt nicht beseitigt werden. Die Baubehörde ist berechtigt, bei mangelnder Instandhaltung, die das äußerer Erscheinungsbild beeinträchtigt, die Behebung von Schäden aufzutragen. In dem Gesetz wird sogar legistisches Neuland betreten. Es ist nämlich möglich, daß die Behörde bei Instandsetzungsarbeiten einen stilgerechten Fassadenausbau verlangen kann. So könnte iri der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder ein „Barockhaus“ entstehen, das sich harmonisch in eine Gruppe benachbarter Original-Barockhäuser einfügen würde. Das Gesetz enthält auch verschiedene Maßnahmen, die eine Revitalisierung der historischen Stadtteile, vor allem der Innenstadt, erleichtem. Der Umwidmung in Büroräume sollen in Schutzzonen nun Grenzen gezogen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung