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Retter für ein „Piratenschiff"

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Millionen Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende vom Hungertod bedroht, Zehntausende sind tot. Daran ist nicht Serbien, sondern die Welt schuld, sagen Serbiens Slobodan Milosevic und seine Regierung. Die Tatsachen an sich können diesen Politiker und jene Serben, die ihm wie hypnotisiert folgen, nicht erschüttern. Tatsachen, Realität - das sind Kategorien, die sie nicht zu kennen scheinen.

Von Christine von Kohl

Nur vor diesem Hintergrund läßt sich die seltsame Wahl von zwei „Rettern in der Not" erklären, den neuen Präsidenten des „Neuen Jugoslawien", Dobrica Cosic\ und Milan Panic, den neuen Ministerpräsidenten, den weder das Parlament, geschweige denn die Bevölkerung kennt.

Beide stammen aus einfachen Verhältnissen und haben es zu großbürgerlichem Wohlstand gebracht. Milan Panic als self-made-man in Amerika, Cosic zuerst als ZK-Mitglied und Partisanen-Veteran, dann als „Barde des Serbentums" mit einer großen literarischen Produktion. Daß er Mitte der sechziger Jahre aus der Partei ausgeschlossen wurde, daß seine Bücher zwar nicht verboten, aber entweder verschwiegen oder verrissen wurden, hatte ebenso zu ihrem Erfolg beigetragen, wie ihr Blut- und Boden-Patriotismus.

Seit mehr als zehn Jahren bewohnt er eine stilvolle Villa gegenüber der Residenz des britischen Botschafters, gleich neben der Straße, in der damals noch die Potentaten des Tito-Staates ihre nicht für eigenes Geld erworbenen Prachtvillen hatten. Milan Panic hingegen baute sich eine erfolgreiche Existenz als Geschäftsmann auf. Er berichtet, daß er 1952 mit nur 20 Dollar in der Tasche nach Amerika kam, heute ist der gelernte Chemiker Herr der „Inc. Pharmaceuticals" in Kalifornien.

Milan Panic ist zwar gewissermaßen ein „Mann von Welt" geworden, der Posten des Ministerpräsidenten aber umfaßt - im Sinne der neuen Verfassung - zugleich die Verantwortung für die Verteidigung, die Innere Sicherheit und die Außenpolitik. Mit anderen Worten, es leuchtet nicht ein, wie ein Emigrant, der seit Jahrzehnten nicht mehr im eigenen Land gelebt hat, mit dem „Apparat", der für Innen- und Verteidigungspolitik zuständig ist, zu Rande kommen könnte.

Daß er ein persönlicher Freund sowohl von Milosevic als auch von Cosic sein soll, hat zweifellos zu seiner Wahl als „Retter" beigetragen, daß das serbische Volk hingegen ihn gar nicht kennt, dürfte in dieser Situation schwerer wiegen. Warum sollten die Menschen einem Freund von Milosevic vertrauen, wenn er selbst ihr Vertrauen verloren hat? Die besten Absichten eines Milan Panic", vielleicht auch ein Naturtalent für Politik, können in dieser Situation Erfahrung noch Professionalität ersetzen.

Schon tauchte in der jugoslawischen Öffentlichkeit die (gelenkte?) Vermutung auf, Milan Paniö könnte „ein Mann der Amerikaner" sein, da er die politische Stütze Washingtons hätte, und verhindert damit eine wage Hoffnung. In politischen Kreisen Europas hingegen sieht man keinerlei Anzeichen für eine wie immer geartete politische Beteiligung der US-Regierung an diesem Abenteuer, von dem Panic selbst vor seiner Abreise nach Belgrad sagte: „Ich begebe mich auf ein Piratenschiff..."

Noch eine Fehlleistung

Daß Außenminister Baker den unerwarteten, weil ungeladenen Gast in Helsinki kurz empfing, muß wohl als eine protokollarische Fehlleistung eingestuft werden, denn die Suspendierung der jugoslawischen KSZE-Mitgliedschaft bis Mitte Oktober war ja bereits beschlossene Sache. Aufhorchen läßt hingegen die Bemerkung von Lord Carrington während seines Amerika-Aufenthaltes in Sachen Friedenskonferenz: „Vielleicht kann Milan Panic etwas ausrichten..." - womit der ebenso unermüdliche wie glücklose Brite noch einmal bewies, daß er die inneren Zusammenhänge der Krise zu deren Lösung er beitragen sollte, nicht versteht.

Cosid hingegen spricht keine Fremdsprache, besitzt aber eine Popularität wie kein professioneller Politiker in Serbien sonst. Von ihm wird in dieser Situation offenbar erwartet, daß er das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik der serbischen Führung zurückgewinnt. Aber - in welche Politik?

Die bisherige, die in keinem Punkt einen Erfolg verbuchen konnte - gemessen an der Realität - ist der Vollzug eines großserbischen Konzeptes, dessen Autor eben Dobrica Cosic ist. Er ist dabei nicht nur verantwortlich im Bereich der Politik, sondern er hat durch seine Schriften wesentlich dazu beigetragen, daß die Emotionen der serbischen Bevölkerung, die die Voraussetzung für das Gelingen dieser Politik schufen, geweckt waren und manipulierbar wurden. Diese Politik aber führte statt zum Erfolg, in die internationale Isolation und in eine noch größere Wirtschaftskatastrophe. Soll diese erwiesenermaßen politisch unreife, serbische Bevölkerung nun ihr Vertrauen noch einmal dem „Vater" der Idee geben, wenn schon der „Sohn" verloren hat?

Wann ist Schluß mit den Lügen?

Da wird es auf die Dauer auch nicht helfen, daß die gleichgeschalteten Massenmedien in Serbien - mit wenigen Ausnahmen, von denen nur wiederum wenige Intellektuelle Gebrauch machen - jede Schuld von Serbien weisen, und stattdessen die Weltöffentlichkeit für Serbiens Unglück verantwortlich machen, allen voran Österreich und Deutschland, die als böse Kriegshetzer dargestellt werden, gegen die e's zu kämpfen gelte, denn die Kriegsmüdigkeit der serbischen Bevölkerung ist unverkennbar.

Umso wichtiger ist, daß sich die beiden „Retter" Cosiö und Panic in einem Punkt bereits endgültig disqualifiziert haben: Keiner von ihnen ist zu den Massenmedien, an erster Stelle das Belgrader Fernsehen, gegangen und hat gesagt „Schluß mit den Lügen, von jetzt an wird saubere journalistische Arbeit geleistet und über Tatsachen berichtet!"

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