6849788-1976_41_16.jpg
Digital In Arbeit

Rettung mit Hindernissen

19451960198020002020

Erst jetzt, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, konnte die Renovierung der Prunkstiege im Liechtenstein-Palais in der Wiener Bankgasse abgeschlossen werden. Da sie einst zu den schönsten barocken Palaisstiegenhäusern Wiens gezählt.wurde, macht die späte Wiederherstellung einmal mehr den Umfang des Substanzverlustes an Kunstwerten bewußt, den Wien durch den Zweiten Weltkrieg erlitten hat. An die Prunkstiege des Liechtensteinschen Majoratspalais hat man kaum mehr gedacht — sie war vergessen, und erst ihre Wiederherstellung erinnerte wenigstens die Nichtfachleute daran, daß hier noch immer ein Kunstdenkmal vorhanden war, dessen Renovierung noch nicht durchgeführt worden war.

19451960198020002020

Erst jetzt, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, konnte die Renovierung der Prunkstiege im Liechtenstein-Palais in der Wiener Bankgasse abgeschlossen werden. Da sie einst zu den schönsten barocken Palaisstiegenhäusern Wiens gezählt.wurde, macht die späte Wiederherstellung einmal mehr den Umfang des Substanzverlustes an Kunstwerten bewußt, den Wien durch den Zweiten Weltkrieg erlitten hat. An die Prunkstiege des Liechtensteinschen Majoratspalais hat man kaum mehr gedacht — sie war vergessen, und erst ihre Wiederherstellung erinnerte wenigstens die Nichtfachleute daran, daß hier noch immer ein Kunstdenkmal vorhanden war, dessen Renovierung noch nicht durchgeführt worden war.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Verzögerung der Bauarbeiten hatte vor allem zwei Gründe. Der wichtigere davon war der Zustand der Liechtensteinschen Betriebe in Österreich bei Kriegsende. Er machte so große Investitionen notwendig, und die Sicherung von Produktionseinrichtungen stand so sehr im Vordergrund, daß die für die Reparatur der Bausubstanz vorhandenen Mittel gerade ausreichten, die beschädigten Prunkräume im ersten Stock und das Stiegenhaus, ebenfalls bis zum ersten Stock, wiederherzustellen.

Dazu kamen schwerwiegende denk-malpflegerische Probleme, die geklärt werden mußten, bevor die Arbeit in Angriff genommen werden konnte. Es gab von vornherein verschiedene Möglichkeiten, die Prunkstiege wiederherzustellen, doch bestand eine gewisse Unschlüssigkeit darüber, welcher Variante der Vorzug gegeben werden sollte.

Die Wiederherstellung des Zustan-des, wie er bestanden hatte, bevor eine 2000-Kilogramm-Bombe sowie ein abgeschossenes Flugzeug auf das Palais stürzten, wäre vielleicht die konsequenteste Lösung gewesen. Sie hätte aber nicht nur die höchsten Kosten verursacht, sondern die Rekonstruktion der überlieferten Erscheinung wäre auch denkmalpflege-risch problematisch gewesen, da in diesem Falle alle Zutaten aus dem vorigen Jahrhundert hätten erneuert werden müssen. Die von Dr. Devigne im vorigen Jahrhundert hergestellten schweren Ornamente in den Deckenspiegeln hatten aber stets eine etwas willkürliche Bereicherung bedeutet und mit der ursprünglich brarocken Erscheinung des Stiegenhauses, vor allem mit der freien Stuckierung von Santino Bussi, nicht harmoniert.

Während die übrigen Arbeiten von Devigne im Palais hohe künstlerische Qualität besitzen, ließ sein Dekor im Stiegenhaus dieses gedrückt erscheinen. Die alten, vor der Inangriffnahme der Arbeiten durch Devigne entfernten Gemälde von Lan-zani in den Deckenspiegeln hatten eine typisch barocke Öffnung des Stiegenhauses nach oben vorgetäuscht. Der Dekor von Devigne bedeutete einen viel zu massiven, wuchtigen Abschluß. Auch der Hausherr, Franz Josef II. Fürst von Liechtenstein, zu dessen 70. Geburtstag die Renovierung der Prunkstiege fertiggestellt werden sollte, erinnerte sich noch an diesen ungünstigen Raumeindruck und gab daher einer Kompromißlösung im Sinne des Barock den Vorzug.

Zu Beginn der Planungsphase im Jahre 1973 bestand überdies die Hoffnung, auf die im frühen 19. Jahrhundert abgenommenen Deckenbilder von Lanzani zurückgreifen zu können. Überlieferten Auskünften zufolge sollten diese Deckenbilder nämlich seit der Entfernung im Liechtensteinschen Gartenpalais in der Rossau lagern, was eine Wiederherstellung des ursprünglichen barocken Zustandes verlockend erschei-nea ließ. Eingehendere Recherchen führten aber leider zu dem Ergebnis, daß die Gemälde bei der Entfernung von ihrem angestammten Platz zerstört worden waren. Daher entschloß man sich zu einer Lösung im Sinne des Barock, aber ohne Deckengemälde. Sie kam nicht nur der Eleganz des alten barocken Stiegenhauses am nächsten und versprach den harmonischesten Gesamteindruck, sondern war mit einem Aufwand von rund drei Millionen Schilling auch wirtschaftlich gerade noch vertretbar. Vorübergehend wurde erwogen, Deckengemälde aus dem Rossauer Gartenpalais in die Bankgasse zu übertragen — diese Idee wurde aber fallen gelassen, vor allem, weil sie die überlieferte Erscheinung eines anderen Baudenkmals zerstört hätte.

Leider standen nicht mehr als drei brauchbare Photos des zerstörten Stiegenhauses zur Verfügung. Bombentreffer und Flugzeugabsturz hatten den dritten Stock des an der Löwelstraße gelegenen Traktes vollkommen zerstört, die Decke der Prunkstiege war eingestürzt, die Wandgliederung wie durch ein Wunder ohne größere Beschädigungen erhalten geblieben (nur am letzten Treppenlauf und an der Balustrade entstanden umfangreiche Schäden). Kleinere Teile der Decke, die erhalten geblieben waren, mußten nach Kriegsende aus Sicherheitsgründen abgetragen werden. Das Stiegenhaus wurde bis zum ersten Stock restauriert und erhielt eine provisorische Decke aus Ziegelbalken zwischen Stahlträgern, die bis 1974 ihre Aufgabe erfüllte.

Die Photos ließen die Zone entlang der Mittelmauer deutlich erkennen, gaben aber keine Aufschlüsse über die Fensterzone der Decke. Daher wurden mit Hilfe der Methode der perspektivischen Rückführung zunächst die photographisch gesicherten Deckenzonen rekonstruiert und anschließend die fehlenden Teile symmetrisch, aber mit der bei barocken Stuckierungen üblichen Freiheit, in Anlehnung an barocke Vorbilder, ergänzt. Als Beispiele dienten Decken von Santino Bussi aus anderen Palais. Große Schwierigkeiten ergaben sich durch die Verschiebung der beiden Raumachsen, jener der Wandgliederung und der tatsächlichen Mittelachse des Stiegenhauses (in einem erhalten gebliebenen Brief ist von einem „grande errore della scala“ die Rede).

Im Jänner 1974 konnte mit den Arbeiten begonnen werden. Architekt Professor Machatschek standen dabei vor allem in Hilde und Ernst Werner und Josef Souschill Kenner der notwendigen handwerklichen Techniken zur Verfügung. Als Restauratoren der Stuckarbeiten modellierten sie alle Ranken und Figuren direkt aus dem feuchten Stuckmörtel. Sie hatten sich die barocken Arbeitstechniken bei der Wiederherstellung kriegsbeschädigter Bauwerke nach dem Zweiten Weltkrieg erworben. Man kann sagen, daß der Wiederaufbau zerstörter österreichischer Baudenkmäler eine Fülle halbvergessenen Könnens und Wissens reaktiviert hat, das heute — wenigstens zum Teil — neuerlich in Vergessenheit zu geraten droht.

Die Wiederherstellung der Prunkstiege im Liechtensteinschen Majoratspalais dürfte wohl das letzte kriegsbedingte Wiederaufbauprojekt solcher Bedeutung und Größenordnung sein. Wobei ein großer Teil der ursprünglichen barocken Substanz des Palais nicht dem Zweiten Weltkrieg, sondern den Umbauten im vorigen Jahrhundert zum Opfer gefallen ist — allerdings im Austausch ein eindrucksvolles Zeugnis des „zweiten Rokoko“. Und es war ausgerechnet das Stiegenhaus, das zu einem Konflikt zwischen dem Bauherrn und dem Künstler seines Vertrauens, Domenico Martineiii, führte; das Stadtpalais Liechtenstein ist nicht nur ein erstrangiges Kunstdenkmal, sondern es verkörpert auch ein wichtiges Stück barocker Baugeschichte in Wien.

Johann Adam Andreas Fürst von Liechtenstein erwarb das Palais 1694 im angefangenen Zustand von Dominik Andreas Graf Kaunitz. Der Bau war erst bis zum Erdgeschoß gediehen. Domenico Martineiii hat mit größter Wahrscheinlichkeit zwar nicht das Grundkonzept des Bauwerkes ausgearbeitet, ihm aber die Klarheit, die Proportionen, die Durcharbeitung im Detail, die Individualität gegeben. Martineiii, geboren 1650 in Lucca, war ursprünglich Priester, hat aber als Baukünstler erheblichen Anteil an der Verbreitung des römischen Palasttypus in Europa. Er hat in Rom, in Prag, in Holland, wahrscheinlich sogar in Warschau gebaut, aber sein wichtigstes Tätigkeitsfeld war Wien, wo er 1690 das Palais Harrach in Angriff nahm. Für Johann Adam Andreas Liechtenstein errichtete er nicht nur das Stadtpalais in der Bankgasse, sondern auch das Gartenpalais in der Roßau mit dem bedeutenden Marmorsaal.

Während einer längeren Abwesenheit Martineiiis von Wien wurde das Stiegenhaus nicht genau nach den Plänen Martineiiis, sondern, unter der Leitung V4>n Gabrieli, in geänderter Form ausgeführt. Vor allem der reiche plastische Schmuck, die Heiterkeit und Lebendigkeit des Stiegenhauses widersprachen Martineiiis Kunstgesinnung und mißfielen ihm so sehr, daß er sich veranlaßt sah, von einer Verunstaltung zu sprechen und Wien verärgert zu verlassen. Er kehrte ein Jahr später zurück und hat die Bauleitung sehr wahrscheinlich wieder übernommen — mit Sicherheit allerdings erst 1705, bis zur Vollendung des Baues. Das den Bau „verunstaltende“ Stiegenhaus wurde nicht mehr geändert, und es blieb einer jener Punkte, welche die tiefgreifende Wandlung innerhalb der barocken Bauperiode in Wien, nämlich den Übergang von der italienischen Vorherrschaft zum Wirken ihnen ebenbürtiger, einheimischer Baukünstler, dokumentieren.

Was Martineiii damals nicht verstehen konnte und wohl auch nicht verstehen wollte, war das Heraufziehen einer neuen Baugesinnung, und das Stiegenhaus blieb sozusagen eine Enklave der Baugesinnung eines Lukas von Hildebrandt innerhalb des „italienischen Barock in Wien“. Hildebrandt hat nachweislich 1698 für Johann Adam Liechtenstein gearbeitet — W. G. Rizzi registriert in seiner Festschrift anläßlich der Wiederherstellung der Prunkstiege Verwandtschaften zum eineinhalb Jahrzehnte jüngeren, Hildebrandtschen Treppenhaus im Daun-Kinsky-Pa-lais auf der Freyung, aber nachzuweisen ist Hildebrandts Urheberschaft oder Mitwirkung an der zerstörten Prunkstiege wohl nicht — oder noch nicht.

Fast ein Treppenwitz der Baugeschichte, im wahrsten Sinn des Wortes: Von Martinellis Ausstattung der Innehräume blieben nur sehr geringe Reste. Seine Stuckierung wich zwischen 1836 und 1837 einer vielbewunderten Neuausstattung, deren Details, vor allem im Ballsaal mit seinen verschiebbaren Türen, drehbaren Glaswänden und sonstigen technischen Vorrichtungen, kaum weniger bewundert wurden als Martineiiis Werk ein Jahrhundert zuvor.

Hingegen wurde das von Devigne ebenfalls veränderte Treppenhaus wieder seinem barocken Erscheinungsbild angenähert, und vielleicht nicht nur eine Kriegszerstörung behoben, sondern, soweit es noch möglich war, auch ein Fehler des vergangenen Jahrhunderts.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung