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Revitalisieren — Trend von unten!

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In einer Zeit, in der Neues fast immer Unangenehmes bedeutet, mag der Hinweis auf einen seit Jahren anhaltenden positiven Trend geradezu unglaublich klingen. Aber am erfreulichen Faktum ist nicht mehr zu rütteln: Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich das Erscheinungsbild einer großen Zahl von niederösterreichischen Ortschaften in den letzten Jahren sely zu deren Vorteil verändert hat.

Uns allen klingen noch die Klagen im Ohr, daß die Spitzhacke in den Dörfern wütet, daß ein schöner alter Bauernhof nach dem anderen einem Neubau und damit einem zweifelhaften Rationalisierungseffekt geopfert wird, daß eine noch größere Anzahl von al-

ten Bauwerken unbeachtet verlottert und auf diese Weise dem gleichen Schicksal, nämlich dem Abbruch, entgegenbröckelt.

In diesem Fall kam die Trendwende so unmerklich, daß mancher sie zunächst verschlief. Aber heute kann nicht einmal mehr ein Gelegenheits-Ausflügler, der aus der Großstadt in die Dörfer kommt, über die wachsende Anzahl renovierter Fassaden, liebevoll neu bemalter Gehöfte, junger Anpflanzungen auf Hauptplätzen und so weiter hinwegsehen.

Hölzerne Tore, die man noch vor zehn Jahren mit größter Wahrscheinlichkeit achtlos zerstört hätte, obwohl sie seit Jahrhunderten klaglos ihren Dienst versehen, werden heute sorgfältig renoviert.

Wirtschaftsgebäude, die man einfach niedergerissen und durch meist häßliche Neubauten ersetzt hätte, werden immer öfter wieder auf Glanz gebracht.

Zeichen wurden schon Mitte der siebziger Jahre gesetzt. Dąmals erspürte die Raiffeisen-Ęauspar- kasse die aus der Bevölkerung kommenden Wünsche und startete — schon damals gemeinsam mit der Niederösterreichischen Landesregierung - Aktionen, die einerseits auf die Berücksichtigung ästhetischer Gesichtspunkte bei der Neubautätigkeit und andererseits auf die Erhaltung gewachsener, wertvoller Bausubstanz abzielten.

Eine kürzlich von der Landesregierung ins Leben gerufene neue Aktion unter dem Motto „Niederösterreich schön erhalten — schöner gestalten“ setzt das damals Begonnene nun konsequent fort. Auch hier wird eine „Doppelstrategie“ angewendet und auf der einen Seite Erhaltung des Erhaltenswerten, auf der andern Seite aber eine landschaftsgerechtere Neubautätigkeit angepeilt.

Das Rezept lautet: Animation und Beratung. Es gibt eine Folge von Broschüren, auf deren Titelblatt das erwähnte Motto prangt und die von der Landesbaudirektion, von den Raiffeisenkassen und von einem Netz von bereits 1600 ehrenamtlichen Mitarbeitern kostenlos unter die Leut’ gebracht werden — bisher sind fünf Hefte erschienen.

Es gibt ferner Wettbewerbe mit

Prämiierungen — da werden für mustergültig befundene Neubauten vorgestellt, aber da können auch Kinder Preise gewinnen, wenn sie sich an Zeichen- und Malwettbewerben beteiligen.

Besonders wichtig sind die von der Landesbaudirektion veranstalteten Ortsbildseminare, Vorträge, Dorfbegehungen und so weiter. Bei allen diesen Anlässen zeigt sich immer wieder, worauf der Erfolg der Aktion vor allem zurückzuführen ist: Sie entspricht einem „von unten“ kommenden Bedürfnis, das mit dem Modewort Nostalgie weit unter seinem Wert verkauft würde.

Der tradierten bäuerlichen

Mentalität war das in den letzten Jahrzehnten eingerissene Abreißen um jeden Preis eigentlich fremd. Vorsichtige Bewertung neuer Ideen paßt viel besser zu ihr und hat sich ja wohl auch lange Zeit bewährt. Andererseits aber wurden „auf dem Lande“ immer schon, und in den letzten Jahrzehnten mit immer geringerem zeitlichen Abstand, städtische Entwicklungen nachvollzogen.

Auch das Revitalisieren alter Häuser und die Ernüchterung ob dessen, worauf man noch vor wenigen Jahren stolz war, ist ja ein städtischer Trend. Diesmal zog „das Land“ nahezu ohne Verzögerung mit, und was verstärkend „von oben“ kam, Animation und

Beratung, wurde bereitwillig akzeptiert.

Selbstverständlich kann nicht alles erhalten werden, was alt ist, nur weil es das ist. Vieles wird auch deshalb nun auf einmal geschätzt, weil es Seltenheitswert gewonnen hat. Unfunktionell gewordene Anlagen schwanden zum Teil so schnell dahin, daß es fast unmöglich war, den Vernichtungsprozeß vor dem Abriß des allerletzten Exemplares einer Gattung zu stoppen und wenigstens den einen oder anderen Beleg für eine Bauform zu retten.

Besonders traurig ist zum Beispiel die Zerstörung ungezählter Holzbauwerke, vor allem von der auf den ersten Blick unscheinbaren Art — was gestern noch eine „wertlose Pawlatschen“ war, kann heute schon ein unersetzliches kulturhistorisches Dokument darstellen.

Aus diesem Grund ist die Aktion der Landesbaudirektion, die Landeshauptmannstellvertreter Erwin Pröll besonders am Herzen liegt, ganz besonders wichtig. Sie verstärkt, was als Trend da ist, sie hilft, zwischen Wertvollem und weniger Wertvollem zu unterscheiden und Prioritäten zu setzen, und durch ihren Multiplikationseffekt gelangt die Kunde, ein abbruchreifer Holzstadel sei erhaltenswert, mitunter gerade noch rechtzeitig in das eine oder andere Dorf.

übrigens, die Erhaltung alter Bausubstanz ist nicht zuletzt auch wegen der Wirkung wichtig, die sie auf die gegenwärtige Bautätigkeit ausübt. Das Neue ist ja nicht deshalb häßlich, weil es neu ist, und stört oft auch keineswegs nur durch seine pure Größe.

Was viele Neubauten, ob nun in den Ortskernen oder in der zersie- delten Landschaft, so schrecklich störend erscheinen läßt, ist oft, wenn nicht meistens oder fast immer — ihre Proportionslosigkeit. Wer öfter durch die Lande fährt, weiß, was gemeint ist.

Der Vorwurf, an der Häßlichkeit vieler Neubauten — und ungezählter Eigenheime— sei das Bauen ohne Architekten schuld, stimmt nur zum Teil. Schließlich wurde ja auch früher auf dem Land meist ohne Architekten gebaut — bloß viel schöner als heute. Aber mit dem Übergang zu neuen Bautechniken ist auch der traditionelle Formenkanon und vor allem das einst vorhandene Proportionsgefühl über Bord gegangen.

Die Revitalisierungswelle hat den „Neben“-Effekt, daß sich die Menschen viel mehr als früher mit alten Bauten beschäftigen und ihre alten Häuser nicht nur schätzen — sondern auch viel besser kennenlernen, weil sie sie bewußter sehen.

Im Idealfall könnte dies auch zu einer stilistischen Regionalisierung des Bauens zurückführen und damit weg von jenem ländlichen Allerwelts-Einheitsstil, der Architekten wie Kunsthistorikern ein Greuel ist und völlig zu Unrecht für „landschaftsgerecht“ ausgegeben wird.

Auch in den Städten hat man schon erkannt, daß sich der künstlerische Innovationseffekt der neuen Bautechniken erschöpft. Das Repertoire von Anregungen, das uns die Vergangenheit zur Verfügung stellt, wird wieder geschätzt und aufgegriffen.

Auf dem Land ist das noch wichtiger. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß hier gutes neues Bauen ohne Erhaltung alter Bausubstanz und Lernen von ihr kaum möglich ist.

Die Broschüren der Landesbaudirektion enthalten nicht nur Bildmaterial, das den Blick für die Vielgestaltigkeit des Bauens in diesem Lande schärft, sondern auch eindrucksvolle Beispiele für ein neues Bauen, das sich am Alten orientiert, ohne Technik und Ästhetik unserer Zeit zu verleugnen.

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