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Revolte gegen Moderne

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Schon die historischen Vorläufer des aktuellen europäischen Rechtsradikalismus — der Hitlerismus und andere extreme Na-tionalismen — begründeten ihre Propaganda nicht ausschließlich auf ein rassistisches Element: Ihre Strategie(n) war(en) komplexer - obwohl einiges darauf hinzudeuten scheint, daß hinter den einzelnen Ideologiekomponenten ein einziger „Faktor” steht, der die verschiedenen programmatischen Punkte zur Weltanschauung zusammenhielt.

Jedes der betreffenden europäischen Länder hat heute seine spezifischen Ausgangsbedingungen für einen rechtsradikalen Nährboden:

So zum Beispiel ist dies in Großbritannien der Ausländerhaß, in Belgien der Sprachkonflikt, in Frankreich die elitären Nationaldünkel, in Italien die faschistische, in der Bundesrepu-blik Deutschland und in Osterreich die nationalsozialistische Vergangenheit.

Gemeinsam sind ihnen allen die Taktik — der Versuch, Krisen zu schüren und für sich zu nutzen — sowie die meisten prinzipiellen Ideologieelemente: Uber letztere geben—insgesamt gesehen—Strategie und Propaganda „gemäßigterer” Organisationen am besten Aufschluß.

Das Wesen des aktuellen Rassismus — seine innere „Logik” — läßt sich hingegen am deutlichsten aus Material und Aktivitäten der radikalsten — in der BRD, in Osterreich wie in Italien illegal operierenden — Gruppierungen erkennen:

Der Rassismus ist — insbesondere in der Form des Antisemitismus — mit Abstand das gefährlichste, menschenverachtendste Prinzip des alten wie des neuen Rechtsradikalismus.

Hand in Hand mit ihm gehen jedoch Ausländerhaß, Autoritaris-mus, (der sich — unter ständiger Berufung auf eine „höhere Ordnung” — auch als radikaler Anti-humanismus erweist) sowie eine bestimmte Spielart des Elitaris-mus, der — als einzig verbindliches Gesetz - ein aggressives „Recht des Stärkeren” für sich beansprucht.

Ein etwaiger gemeinsamer „Faktor” verschiedener rechtsradikaler Strategieelemente — und verschiedener Spielarten des Rechtsextremismus — könnte durch diese aggressiv-elitaristi-sche Grundeinstellung gegeben sein.

Der italienische Alt- und Neofaschismus unterscheidet sich von den Rechtsextremismen aller anderen Länder durch ein ihm eigenes „Kuriosum”:

Während sich zum Beispiel Mussolinis größte Nachfolgepartei — der „Movimento Sociale Ita-liano” (MSI) Giorgio Almirantes - einer relativ großen Anhängerschaft in Italien erfreut, ist der Rassismus - gemessen an den Rechtsradikalismen anderer Länder - kein sehr charakteristisches Element des italienischen Faschismus.

Laut neuerer Untersuchungsergebnisse eines italienischen Meinungsforschungsinstituts hegen 29 Prozent der Italiener rassistische Vorurteüe (mit unterschiedlicher Intensität), wobei eine entsprechende Tendenz beinahe ausschließlich auf den industrialisierten Norden des Landes entfällt.

Bedenkt man, daß andererseits die Neofaschisten gerade in Süditalien die (mit Abstand) größte Wählerbasis besitzen, so gibt dies Anlaß zu folgenden Erwägungen:

# Der Rassismus ist —relativ gesehen — kein hervorragendes Element des (italienischen) Neofaschismus und

• Rassismusdrücktsichnichtje-derzeit in Wahlresultaten und Mitgliederzahlen aus.

Schon bei Mussolinis „Hofphilosophen” dürfte — gemessen an Hitlers Ideologieschmieden - der Rassismus zumeist keine sehr dominante RoUe gespielt haben — umso mehr jedoch ein allgemeiner Antimodernismus, der vor allem in einem elitaristisch bestimmten „Zurück zur Natur” Ausdruck fand.

So hatte beispielsweise der ka-labresische Baron Giulio Evola — ein Anhänger Friedrich Nietzsches - 1934 seine „Revolte gegen die moderne Welt” ausgerufen: Auf ihn vor allem berufen sich gerade heute wieder zivilisationsmüde — von West wie Ost angeekelte — Neofaschisten, die eine „Rückkehr” zur elitären „Ordnung” der „Natur” propagieren.

Das „Recht des Stärkeren”, die grundlegend negative Einstellung zur Zivilisation und eine damit verbundene Sehnsucht nach Wiederbelebung streng elitär strukturierter „natürlicher” Systeme sind Ziele, die gerade heute wieder Aufschwung erfahren.

Vor allem in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland verhalfen moderne „Grün”-Be-wegungen — in gewissen Randbezirken - auch den alten ,3hit-und-Boden”-Mythen nationalsozialistischer und faschistischer Prägung zu neuem Leben.

Noch eine ernsthafte Gefahr muß im Zusammenhang mit neonazistischen (und neofaschistischen) Polittaktiken genannt werden:

Die größte Chance aller Rechtsextremisten liegt — wie eingangs angesprochen — nach wie vor in der Krise.

Nach diesem Prinzip hatten schon Hitlers Propagandafachleute ihren Antisemitismus zunächst ökonomisch lanciert — etwa durch Begriffsschöpfungen wie .jüdische Plutokratie”, .jüdischer Kapitalismus” und .jüdische Blutsauger”.

Und so erweisen sich auch aktuelle rassistische (oder fremdenfeindliche) Propagandaküschees immer dann als besonders publikumswirksam, wenn sie Sündenböcke für ökonomische Krisensituationen präsentieren.

Das sensationelle Wahlresultat des französischen Rechtsaußen Jean-Marie Le Pen im Juni 1984 dürfte genauso auf dieses Prinzip zurückgehen wie die aktuelle Tendenz zu — ökonomisch argumentierter — Ausländerf eindlich-keit in breiteren Bevölkerungsschichten der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs.

Die Autorin ist Mitarbeiterin im Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes von Simon Wiesenthal.

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