6849007-1976_37_13.jpg
Digital In Arbeit

Revolutionär im Dienst Christi

Werbung
Werbung
Werbung

Der Engländer Ernle Bradford analysiert Gestalt und Wirken des Paulus vor dem Hintergrund der heidnischen Umwelt, in der er aufwuchs. Er macht damit häufig unbeachtete Voraussetzungen sichtbar, die den späteren Apostel zu seiner Mission unter den Heiden befähigten.

Saulus, von seiner strenggläubigen jüdischen Familie nach dem ersten König der Juden benannt, kam in Tarsus zur Welt, der Begegnungsstätte der Völker und Kulturen Kleinasiens, deren Religionen, Philosophien und Weltanschauungen der

hochgebildete junge Jude kannte: Er sprach Griechisch und Lateinisch und war ein römischer Bürger, ein unschätzbares, seltenes Privileg. Tarsus war auch bekannt durch die lockeren Sitten und die moralische Verworfenheit seiner Einwohner.

In diesem heidnischen Sündenbabel wird, der Autor erzählt es uns, Saulus als Mitglied der kleinen, auf strenge Abgrenzung bedachten jüdischen Gemeinde, zum puritanischen Pharisäer erzogen. Als er fünfzehn war, schickte ihn sein Vater nach Jerusalem, wo er vom berühmten Rabbi Gamaliel in die religiösen Traditionen seines Volkes eingeführt wurde. Dort erlebte der Jüngling auch ganz unmittelbar den Zusammenprall der jüdischen und römischen Welt; eine Erfahrung, die ihn in seinem Glauben festigte, ja ra-dikalisierte. Sicher darf man hier eine Wurzel seiner späteren Christenverfolgungen vermuten. Auf Grund seiner bisherigen Entwicklung mußte er in der neuen „Sekte“ Feinde des jüdischen Glaubens sehen, gefährlicher als die Römer, die in ihrer weltbürgerlichen Toleranz unbequemen Juden einen nicht un-

beträchtlichen religiösen Freiraum gewährten, so unverständlich ihnen deren Glaubensgrundlagen waren.

Später gab es das Bekehrungserlebnis des Saulus in Damaskus, das ihn von Grund auf verwandelte, ihn, genau so radikal, aus einem Gegner des Jesus von Nazareth, zu dessen treuem Gefolgsmann machte. Paulus sah seine Hauptaufgabe in der Verkündigung der Frohen Botschaft unter den Heiden, deren Mentalität er aus persönlicher Berührung so gut kannte. „Er formulierte“, schreibt Bradford, „die Geschichte vom jüdischen Heiland dergestalt, daß Menschen, die mit Dionysos, Demeter und Orpheus vertraut waren, sie annehmen und in das große Gedankengebäude von Wiederauferstehung und Wiedergeburt einordnen konnten.“

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Missionsreisen des Apostels, die mit vielen Gefahren verbunden waren.

Die größte Bedrohung aber ging von den orthodoxen Juden aus, die — verständlicherweise — den Glauben ihrer Väter durch ihn gefährdet sahen, ohne erkennen zu können, daß er diesen Glauben zur Vollendung führen wollte, ausgehend vom Erscheinen des Messias, den sie nicht als solchen anerkannten. So legten sie dem Wirken des Paulus Hindernisse in den Weg, wo immer sie konnten. Sie steinigten ihn — ein Wunder, daß er mit dem Leben davonkam —, schwärzten ihn wiederholt bei den Römern als Feind ihres Gesetzes an. Aber gerade diese schützten ihn, den römischen Bürger, vor den Nachstellungen. Vor seiner letzten Reise nach Rom, als Gefangener, verweigerte Paulus, sich einem Prozeß vor dem Hohen Rat in Jerusalem zu stellen: „Ich berufe mich auf den Kaiser“, sagte er. Als römischer Bürger mußte ihm Festus, der Standortkommandant von Judäa, das zugestehen. Er wurde nach Rom gebracht.

Es war eine abenteuerliche Reise, unterbrochen von dem berühmten Schiffbruch bei Malta, Paulus legte sie als privilegierter Gefangener zu-

rück, bewacht von der Macht Roms in Gestalt des Hauptmanns Julius. Auf Malta konnte er, während des unfreiwilligen Aufenthalts, eine christliche Gemeinde gründen. In Rom, wo Paulus zwei volle Jahre in einer eigenen Wohnung leben darf, stärkt er die nach der Ausweisung der Christen aus Rom durch Claudius zusammengeschrumpfte Gemeinde, erfüllt sie mit neuem Mut.

In Rom schrieb er auch einige seiner herrlichen Briefe an die Philip-per, die Epheser und Kolosser, an Philemon, Titus und Timotheus. Bradford rühmt ihn nicht nur als religiöses Genie. Er schildert mitreißend einen Menschen Paulus, der seine Qualitäten, seine Bildung, Beredsamkeit und Überzeugungskraft für seinen Glauben einsetzt. Er nennt ihn „einen der größten Dichter der Weltliteratur“, schreibt, daß sein Geist gewisse Züge besaß, „die an die seltsame Helligkeit und Klarheit Griechenlands erinnern.“

Seine Wirksamkeit wurde nach seinem Märtyrertod unter Nero nur noch stärker. Im Grunde schildert Bradford nur Ereignisse, die in der Apostelgeschichte des Lukas und in den Evangelien dokumentiert sind. Aber, wie viele Menschen lesen diese Quellen noch? Bradford scheint mir ein Mittelsmann zu sein, sie uns wieder nahezubringen, weil er sie in allgemeine Zusammenhänge der Zeitgeschichte stellt, womit er auch Fernstehende zur Auseinandersetzung mit entscheidenden religiösen Phänomenen zu veranlassen vermag. Seine Studie ist prall von innerer und äußerer Spannung, ohne je ins Reißerische abzugleiten. Bei aller unbefangenen Herausstellung der irdischen Gaben des Paulus verliert der Autor nie aus dem Auge, daß sie dem Apostel nur wichtig waren im Dienste des Herrn.

DIE REISEN DES APOSTEL PAULUS. Von Ernle Bradford, aus dem Englischen von Götz Pommer. Universitas-Verlag, Berlin, 278 Seiten, öS 215,60.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung