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Revolutionäre Ikonen?

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Arme Susan Sontag. Schuld an dem Dilemma ist unter anderen^ der Mar-cuse, nicht der Ludwig, der Herbert. Seit seiner Entdeckung der repressiven Toleranz hört immer mehr auf, es selbst zu sein, sind antagonistische Widersprüche (rekapituliere: Marx verstand darunter, schlampig referiert, aus dem Grundwiderspruch einer Situation resultierende, nidit aus der Welt zu redende Konflikte) nicht nur in der Basis, sondern zunehmend audi im Überbau zu entdedien, und Susan Sontag stieß hart auf einen solchen. Sie schrieb einen langen Esisay für einen großen Band mit kubanischen Plakaten, nicht ohne zu erkennen, daß sie damit einen verderblidien Einfluß geltend madit, weil im Kapitalismxis eben alles verderblich ist: „Bs gibt naitürlich keinen Auswieg aus dieser Falle…"

Denn in „gegenrevolutionären Gesellschaften, … die mit Vorliebe jedes Ding aus seinem Kontext herausreißen und in einen Konsumartikel verwandeln", wird audi ein Buch mit kubanisdien Plakaten, noch dazu wenn es so kulinarisch gedruckt ist, trotz Susan Sontags einleitendem Essay, ja dank ihm um so mehr, zu einem weiteren Beispiel dafür, „wie alle Dinge in dieser Gesellschaft in Waren verwandelt werden".

Selbst, so Susan Sontag ta dem von ihr kommentierten Buch über dieses, „Kubas ausländische Freunde und auch jene, die dazu neigen, die kubanische Revolution in einem günstigen Lidit zu sehen, sollten sich in ihrer Haut nidit ganz wohlfühlen, wenn sie es durdiblättern." Warum in aller Welt? Weil sich, dies die scholastisch anmutende Logik, in ihren Händen alles revolutionäre Gold in kapitalisitischen Dreck verwandeln muß, somit „die Vorstellung, daß die kubanischen Plakate den Inhalt dieses Buches ausmachen, falsch ist. Wie sehr diejenigen, die das Buch gemacht haben, auch gern glauben möchten, daß es einfach die kubanische Plakatkunst einem größeren Publikum als je zuvor nahebringt, die Tatsache bleibt bestehen, daß die in diesem Buch abgebildeten Plakate dadurch in etwas anderes als das verwandelt worden sind, was sie sind — oder sein sollten. Jetzt sind sie Kulturgegenstände, die uns dargeboten werden, damit wir uns an ihnen delektieren…" Das Plakat ist heute in der bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft eine Ikone, sagt sie anderswo — „wie in Kuba, wo praktisch in jedem Wohnhaus und in jedem Bürogebäude zumindest ein Plakat von Che hängt." Aber diese Parallele führt nicht zu weiterreichenden Schlüssen, die den eschatologischen Purismus gefährden könnten.

Handfest, sachlich, erfrischend und außerordentlich informativ ist der Essay über „Revolutionskunst" von Dugald Stermer. Er stellt die junge kubanische Plakatkunst als eine Kunst ohne Tradition dar, als eine Kunst, die Anregungen aufnimmt, wo sie sie findet, unci sich Pop-art ebenso aneignet wie Elemente der slawischen Volkskunst; diese Generation kennt ihren Lissitzky offenbar ebenso wie die amerikanische Psychedelic Art. Befreit von ökonomischen Zielsetzungen, und offenbar auch weitgehend frei von jeglicher Gängelung, zumindest in formaler Hinsicht, werden in der kubanischen Plakatkunst von heute große künstlerische Energien entbunden.

Der Augenschein an Hand von 100 großformatig gedruckten Plakaten bestätigt diesen Befund. Es überwiegen Plakate mit dem Thema der Solidarisierung mit den afroamerikanischen, afrikanischen, asiatischen Völkern, Plakate zur Erzeugung revolutionären Elans, Theater-, Ballett- und Filmplakate. Audi letztere mehr mit informativer als mit werblicher Information, die Kinos sind ohnehin voll.

Stermer zufolge hat die Kunst in Kuba jenen Punkt erreicht, an dem der Übergang von der Übernahme zur fundierten eigenen Aussage sichtbar ist: „Wenn man bedenkt, daß vor elf Jahren die Volkskultur in Kuba aus dem bestand, was den gröbsten Geschmack amerikanischer Touristen und Geschäftsleute ansprach, und sie keine einheitliche nationale Tradition hatte, dann verleiht die Entstehung einer so lebendigen und anregenden bildenden Kunst wie diese dem Begriff ,Kul-turrevolution’ einen Sinn."

KUNST DER REVOLUTION. Hundert Plakate aus Kuba. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin. 34 Textseiten, Großformat, DM 28.—.

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