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Revolutionen sind vorhersehbar

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In Wien gewinkt oder verliert man Nationalratswahlen — pflegt man an den Kommandostellen der Parteizentralen zu sagen. In der Bundeshauptstadt holte sich Bruno Kreisky 1970 die entscheidenden Stimmen für den relativen und 1971 den Surplus für die absolute Mehrheit bei Nationalratswahlen. Seinen Wahlsieg im Jahre 1974 verdankt Bundespräsident Rudolf Kirchschläger in erster Linie der Disziplin der Wiener Sozialisten und bei den Gemeinderatswahlen 1973 vermittelte Leopold Gratz seinem Parteichef und Bundeskanzler die Überzeugung, daß die Mehrheit der SPÖ auf Bundesebene noch nicht verloren sei. Denn hier mehrte die SPÖ ihre Stimmen und das war eine Ausnahme in den letzten Jahren.

In der ÖVP mag man an Erfolge in der Bundeshauptstadt nicht so recht glauben. 1973 zog man siegessicher in die Landtagswahl, gewann auch ein Mandat und ein paar tausend Stimmen, zugleich aber auch die Überzeugung, daß Wien fest in der Hand der SPÖ sei und bleibe; trotz allerlei veröffentlichter Skandale, trotz des Abtritts einer halben Politikergarnitur, trotz (oder wegen?) eines Kandidaten, Leopold Gratz, der unerfahren in die Kommunalpolitik zog und diese Unerfah-renheit bis heute noch kultiviert.

In der Volkspartei glaubt man allen Grund zu haben, an den politischen Verhältnissen in Wien zu verzweifeln. Dabei hat man gerade in diese Stadt viel politisches Kapital investiert. Teils wird seine Rendite der Bundes- und nicht der Wiener ÖVP zugeordnet — etwa die grö-tenteils hochqualifizierten Nationalratsabgeordneten vom Schlage eines Rudolf Sallinger, Walter Hausner, Fritz König, Franz Karasek, Kurt Neuner usw. — teils vermag die Wiener VP-Garnitur im Wiener Landtag nicht über den Schatten einer übermächtigen SPÖ-Organisa-tion zu springen. Und nur der ehemalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel ließ, 1965, die Wiener ÖVP ahnen, wie es außerhalb des politisehen Ghettos in einer Großstadt aussehen kann.

Mitte 1969 wurde Franz Josef Bauer zum Landesparteiobmann der Wiener Volkspartei gekürt. Er trat dieses Mandat als Reformer an, versuchte sich auch in dieser Kunst, erzielte Teilerfolge, moderierte aus dem Hintergrund Spitzenkandidaten für den Landtagswahlkampf, kam nicht durch, schlug einen neuen Kandidaten vor, legte sich mit den Honoratioren der VP-Stadtsenats-riege an, führte seine Partei schließlich gegen alle Widerstände jener, die auf gutdotierte Posten großen Wert legten (und noch immer legen), in die Opposition. Da und dort trat er auch ins Fettnäpfchen — wem das in der Wiener ÖVP nicht passiert, kennt die schmalen Ausweichstellen aus der Enge politischer Ghettos in Großstädten nicht. Mag sein, daß er die Mittel der Macht nicht immer nur subtil einsetzte — wer das aber an Spitzenfunktionären in der Wiener ÖVP kritisiert, ahnt nichts vom Interessen- und Eitelkeitswirrwarr gerade in Parteien, die am Rande politischer Entscheidungen darben müssen.

Franz Josef Bauer stellt sich am 6. April 1975 der Wiederwahl zum Landesparteiobmann der Wiener Volkspartei. Er ist nicht unumstritten, doch jenen, die seine Qualitäten als Parteiführer in Frage stellen, mangelt es entweder am politischen Gspür (etwa dem ehemaligen Stadtrat Hans Krasser, dessen Oppositionsgeist sich heute viel stärker gegen Gruppierungen in der Wiener Volkspartei als gegen den politischen Gegner richtet) oder an nötiger Einsicht in die eigene politische Strahlkraft.

Zwischen diesem Entweder-Oder gibt es eine dritte Gruppe, die es mit Franz Josef Bauer hält, weil ihre Vertreter glauben, daß der Aufstieg an die Spitze der Wiener Volkspartei nicht gegen,Bauer, sondern nur mit ihm machbar ist. Der ÖVP-Gesund-heitssprecher im Nationalrat, Günther Wiesinger, hat es versucht und ist nicht durchgekommen. Der Generalsekretär des Wirtschaftsbundes., Erhard Busek, hält sich bei allen Versuchen zurück und wird eben deswegen als möglicher Nachfolgekandidat von Franz Josef Bauer genannt.

Wenige Wochen vor dem Parteitag am 6. April veröffentlichte die ÖVP-Bundesparteileitung eine ohne Wissen der Wiener Volkspartei in Auftrag gegebene Umfrage, die die Schwachstellen der Wiener ÖVP bloßlegt: den öffentlichen Zweifel an ihrer Wirksamkeit, unzureichende Präsentation bei potentiellen Wählern, eine — unterstellte — Wien-Feindlichkeit. Es ist nicht anzunehmen, daß hinter derlei Untersuchungsaufträgen keine Absicht steckt. Vielleicht wollte und will es die Kärnterstraße dem SPÖ-Vorsitzenden Bruno Kreisky gleichmachen und wenige Monate vor einer entscheidenden Wahl in Wien personelle Weichen stellen? Das bloß parteifreundschaftliche Verhältnis zu Franz Josef Bauer würde eine solche Absicht jedenfalls nicht behindern. Wie dem auch immer sei: Franz Josef Bauer hält seine Partei fest in der Hand, aus seinem Blickwinkel sind Palastrevolutionen vorhersehbar und deshalb auch verhinderbar. Auf dem Parteitag der Wiener Volkspartei am 6. April ist er für jedes gute Wahlergebnis gut; an ihm vorbei kann man keinen neuen Landesparteiobmann küren.

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