7045473-1990_31_03.jpg
Digital In Arbeit

Revolutionsmüdigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

„Die Revolution entläßt ihre Kinder." Das Buch von Wolf gang Leonhard findet keinen Absatz. Es ist mit 20 D-Mark einfach zu teuer. In aller Eile noch in einem SED- treuen Verlag herausgebracht, wirkt das aktualisierte Vorwort des Autors „an die DDR-Bürger" anti- quiert. Leonhard, dieser erste gro- ße Dissident, der 1948 anläßlich des Bruchs Titos mit Stalin selbst mit seiner eigenen kommunistischen Vergangenheit brach und mit sei- ner Autobiografie einen Welterfolg landete, dieser greise Herr hat nichts mehr mitzureden.

Zumindest nicht mehr im zusam- meneilenden Deutschland. Schon lange nicht mehr „links" und kein Akteur der November-Revolution, da hätte man denken können, ihn müßte doch ein anderes Schicksal ereilen als die Biermanns und Krawczyks, eine Bärbel Bohley oder einen Ibrahim „Findelkind" Böh- me.

Die alte Herren-Riege in Bonn hat so gut lachen, daß sie auch ohne „Mitstreiter" den Umzug nach Berlin schafft. Wie Böhme im Früh- jahr einen Aufschrei seiner DDR- SPD gegen die westliche Bruder- partei wagte, so scheint DDR-Re- gierungschef Lothar de Maiziere mit seiner noch eigenen Ost-CDU aus Böhmes Fehler nichts gelernt zu haben.

Mitten im Hochsommer und mit- ten in einer Zeit, in der die Ostdeut- schen nur an ein Problem denken - wie fülle ich meinen Geldbeutel mit dem nötigsten Kleingeld und werde dabei nicht arbeitslos -, brach der Berliner Regierungschef eine De* batte vom Zaun, die er schon von Anfang an verloren hatte: Den Bei- tritt „seines" Landes erst nach den deutsch-deutschen Wahlen, also nicht am 1. Dezember, sondern nach dem 2. Dezember. Bessere Wahl- chancen rechnete er sich aus. Be- merkt er nicht, daß in diesen wirren Zeiten jeder Ost-Politiker verheizt wird? Wer redet heute noch von Imre Poszgay in Ungarn? Selbst das Denkmal Lech Walesa zeigt Risse.

Lothar de Maiziere wird sich doch nicht am 1. Dezember hinstellen und sagen: Nein, wir treten der Bun- desrepublik nicht bei, erst regeln wir noch unsere Wahlen nach unse- ren Vorstellungen, dann kommen wir zu „euch". So die allgemeine

Meinung von Rostock bis Ex-Karl- Marx-Stadt Chemnitz. So hört man die Menschen in diesen Tagen re- den die selbst zugeben, politikmü- de zu sein und sich nicht um eine gesamtdeutsche oder nur teildeut- sche Fünf-Prozent-Klausel den Kopf zerbrechen wollen - wie es abends Tag für Tag über den Fern- seher flimmert, direkt aus der „de- mokratischen Volkskammer".

Letzte Woche rollte der letzte Zweitakt-Motor Trabi vom Band in Zwickau. Mit dem Trabi, mit dem alles anfing, von Ungarn her, vor nicht einmal einem Jahr, möch- te kein DDR-Bürger mehr geknipst werden. Seine Devise: Keine Erin- nerung mehr an das was einst jen- seits des Brandenburger Tores vor- sieh ging. Es wird zwar geflucht, daß alles „überhöht" teuer gewor- den sei, die Milch, das Fleisch, selbst die Brause und der Broiler in der Imbißbude. Und sie drehen jeden West-Pfennig dreimal um, aber hät- ten sie auch das Geld, Leonhard würden sie (noch) nicht kaufen.

So entläßt die DDR-Revolution ihre Kinder. Die augenblicklichen Volkskammer-Streitereien werden nicht einmal ins Museum eingehen, dort steht schon der „Runde Tisch" staubüberdeckt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung