6808013-1972_18_15.jpg
Digital In Arbeit

Revue der großen Namen

Werbung
Werbung
Werbung

Es war besonders sinnvoll, daß die Wiener Philharmoniker, die unter der Leitung von Leonard Bernstein sämtliche Mahler-Symphonien als Tonfilme aufzeichnen wollen, gerade die Dritte als Huldigung für den vor zehn Jahren verstorbenen und auf dem Friedhof San Abbondio bei Lugano beigesetzten Bruno Walter ausgewählt haben. Denn die in drei Sommern am Attersee komponierte und 1896 vollendete 3. Symphonie hat Mahler den ihm befreundeten Bruno Walter während eines Besuches in Steinach als erstem vorgespielt, und Bruno Walter war es auch, der die treffendste Charakterisierung dieses Werkes gegeben hat, als er schrieb, daß sich darin der „symphonische Weltentraum Mahlers“ widerspiegle, der Allzusammenklang, die heiter-harmonische Verbindung von Irdischem und Himmlischem.

Das sechsteilige Riesenwerk hat eine Spieldauer von mehr als eineinhalb Stunden und ist somit die längste aller uns bekannten Symphonien. Zwischen den beiden gewaltigen Ecksätzen stehen vier leichtere Teile, Intermezzi gewissermaßen, die durchzogen sind von volksliedhafter Melodik und von Mahlers „ Wunder -horn“-Liedern. Man kennt die Mah-lerschen Hinweise, die er dann später in den Partituren tilgen ließ.

Die Symphonie beginnt mit dem Erwachen Pans und dem Einzug des Sommers, der freilich oft mehr nach einem der langsamen und beschwerlichen Wüstenmärsche Mahlers klingt. Der erste „Vokalsatz“ bringt das „Trunkene Lied“ aus Nietzsches „Zarathustra“ (übrigens arbeitete zur gleichen Zeit Richard Strauss an seiner symphonischen Dichtung „Also sprach Zarathustra“, es war die Zeit der großen Nietzsche-Entdeckung und -Mode). Das Solo trug Christo Ludwig mit noblem Ausdruck und orphischem Wohllaut vor. Ihr Alt verband sich im nächsten Satz mit den hellen Stimmen der Wiener Sängerknaben und denen des Damenchores der Konzertvereinigung „Wiener Staatsopernchor“: „Es sungen drei Engel einen süßen Gesang“, eine Melodie, die eine Generation später Paul Hindemith in das Vorspiel zu seiner Oper „Mathis der Maler“ aufnahm. Vom letzten Satz mit der typisch Mahlerschen Bezeichnung „Langsam-Ruhevoll-Emp-funden“ sagte der Komponist später, er könne auch heißen „Was mir Gott erzählte...“

Man weiß, wie Bernstein Mahler interpretiert: mit der ganzen Hingabe, deren er fähig ist, mit einem nie nachlassenden Espressivo, ekstatisch auch noch im Idyllischen — und so, wie er selbst einmal bekannte: als wär's ein Stück von ihm. Die Wiener Philharmoniker sind ihm mit großer Einfühlung gefolgt und haben mit kaum überbietbarer Tonschönheit sowie mit einem außerordentlichen Nuancenreichtum gespielt. So kam es, daß das Publikum — obwohl der pausenlose Vortrag bedeutende Konzentration erforderte und die vielen großen Scheinwerfer zusätzlich „einheizten“ — mit atemloser Spannung dieser Meisterinterpretation miterlebend folgte.

Erfreulicherweise geschah die TV-Aufzeichnung mit größtmöglicher Schonung der Zuhörer. Nicht nur die Kameras arbeiteten lautlos, sondern auch die aufnehmenden Techniker, die sich einmal nicht wie wilde Affen gebärdeten, sondern, gekleidet wie normale Konzertbesucher, sachkundig und unauffällig ihre Arbeit taten. Um so lebhafter und lauter war der Schlußapplaus.

Helmut A. Fiechtner *

Mstislav Rostropowitsch spielte an zwei Abenden im Konzerthaus Bachs sechs Cello-Solosuiten, die der Meister in Kothen für seinen Kollegen Friedrich Christian komponierte. Alle Bedächtigkeit r.nd Resignation, die man dem Starcellisten vielleicht anzumerken glaubt, sind weggewischt, wenn Rostropowitsch zur.i Bogen greift und diese schwierigen Stücke mit phänomenaler Leichtigkeit und Grandezza vorträgt. Bewundernswert, wie er dichte Polypho-nien aufbaut und zugleich fabelhaft locker spielt und Scheinmehrstimmigkeit zu spielerischem Geflecht verdichtet. Es waren in Klangschönheit und Konzentration kaum überbietbare Wiedergaben. Man fragte sich nur immer wieder fast erstaunt, wie unter seinem Bogenstrich Stimmen in solcher Sanftheit und dann wieder mit solcher Verve vorexerziert werden, wie seine Tongebung bald strahlenden Gesang und bald grazile Diminuendofiguren hervorbringt. Als am Ende des ersten Abends das Publikum in enthusiastischer Begeisterung Rostropowitsch feierte, jubelte ihm auch Leonard Bernstein aus seiner Loge zu. *

Christiane Edinger war die Solistin in Gottfried von Einems Violinkonzert (op. 33), das vom ORF-Symphonieorchester unter Milan Horvat im Konzerthaus aufgeführt wurde. Eine oberflächliche, nur virtuose Wiedergabe, der es an Zwischenwerten dm Ausdruck, an feineren Nuancen, klanglicher Eleganz mangelte. Unverständlich, warum sie das Stück derart heftig, aggressiv anpackt und warum Milan Horvat das Spiel des Orchesters sowenig differenziert, so daß außerdem noch ein Gutteil ganz natürlicher Spannungen dieses perfekt gearbeiteten Stücks verlorengingen. — Drei Sätze aus Olivier Messiaens „Turan-galila“-Symphonie waren nach der Pause zu hören. Das zehnteilige Werk ist 1946 bis 1948 entstanden. In seiner Mischung aus bombastischen Orchesterentladunigen voll schlagerartiger Banalität und raffinierter kammermusikalischer Partien hat es sich bis heute seinen unglaublichen Üerraschungseffekt bewahrt. Thema ist ein „Liebesgesang“, der bald in trauriger, bald in zarter, dann in leidenschaftlicher Version dargestellt wird. Vüibraphon, Glok-kenspiel, das elektronische Instru-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung