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Richter der Zeit

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Unter den drei bedeutendsten Prosa-Epikern der ersten Jahrhunderthälfte: Kafka, Musil und Broch — sie wurden scherzhaft die Heiligen Drei Könige genannt, weil die Anfangsbuchstaben ihrer Namen K+M-f B über jedem Eingang zur großen Dichtung unserer Zeit zu stehen hätten - ist Broch derjenige, der das Ur-problem seiner Epoche am klarsten erkannt hat.

Schon sein Erstling, die Roman-trilogie „Die Schlafwandler“, gestaltet das Thema unmißverständlich, das in den anderen dichterischen und wissenschaftlichen Arbeiten weiter entwickelt wird. Es ist jener geistes- und seelengeschichtliche Menschheitsprozeß, den er unter dem Begriff des „Zerfall der Werte“ erfaßt hat und in den drei Etappen 1888, 1903 und 1918 sowie den charakterisierenden Chiffren Romantik, Anarchie und Sachlichkeit an typischen Vertretern der jeweils von der Menschheitsseele durchlebten Entfaltungsstufe darstellt: Stationen eines fortschreitenden Sinn- und Wertverlustes, der nach Broch mit dem Ausgang des Mittelalters eingesetzt hat:

„Das Mittelalter besaß einen obersten Wert, dem alle anderen Werte Untertan waren: den Glauben an den christlichen Gott. Der Mensch mit seinem ganzen Tun bildete einen Teil jener Weltordnung ... Es war eine Welt, deren ganzes Wertgefüge dem umfassenden Lebenswert des Glaubens unterworfen war, bei dem jede Fragenkette endigte...“

Das andere zentrale Werk in der ersten Lebenshälfte Brochs ist das Prosa-Epos „Der Tod des Vergil“, das den tiefen Zwiespalt, der auch in Broch selbst vorhanden war, gestaltet.

Vergil zweifelt an der Wirkungskraft der Dichtung: er will seine Aneis verbrennen. „Nichts vermag die Dichtung“, ist seine letzte Erkenntnis - nur der Heil-bringer, der den Menschen zuliebe sich selber zum Opfer brächte, vermöchte die entscheidende Tat zu leisten.

Verzweiflung über die - zumindest vordergründige — Machtlosigkeit der Dichtung war es auch, was den Dichter Broch, angesichts der furchtbaren Geschehnisse der Zeit, immer mehr zu den tiefenpsychologischen und politischen Wissenschaften drängte, zu Wirksamkeiten, die er unter dem Begriff Metapolitik zusammenfaßte.

Schon der erste Brief, den ich von Broch nach dem Krieg erhielt, bringt diese Wende von der Dichtung zur Wissenschaft, die sich in den Jahren der Sintflut in ihm vollzogen hatte, eindeutig zum Ausdruck: „Meine literarische Tätigkeit habe ich mit dem .Vergil' abgeschlossen“, schreibt er, wiewohl er sich gleichzeitig bewußt ist, daß dieses sein Werk bleiben wird, „zumindest solange, als es Literaturgeschichte geben wird, was mir freilich nicht allzu lange erscheint, denn für künftige Generationen wird diese (mitsamt allem, was darin ist) nur mehr ein museales Kuriosum sein.“ Eine wahrhaft verzweifelte Einstellung für einen Dichter solch einmaligen Ranges.

Diese radikale Haltung, die ihre Wurzeln in seiner Ungeduld des Helfenwollens hatte, die eine Ungeduld des Herzens war, hat ihn zutiefst gequält und in immer neue Zweifel gestürzt. Er hat schließlich doch einen schon 1936 geschriebenen, aber nicht mehr publizierten Roman „Die Verzauberung“ überarbeitet und einige seiner alten Erzählungen mit neuen zu dem Roman „Die Schuldlosen“ verbunden.

Wie aber spricht er von der Arbeit an diesen beiden Meisterwerken seiner anderen Lebenshälfte? „Gezwungenermaßen gebe ich jetzt noch zwei alte Romantexte von mir heraus...“

So wurde er schließlich zum „Dichter wider Willen“ - allerdings mit höchst zwiespälti-gemGewissen: „Ich stecke ansonsten tief in erkenntnistheoretisch-metapolitischen Erwägungen ... freilich auch darüber nicht glücklich, denn so, wie die Dinge heute ausschauen, kann man bestenfalls ein Vorläufer werden, unmöglich aber sich unmittelbare Wirkung versprechen ...“

Trotzdem aber geht die Auseinandersetzung mit dem, was er „Dichtungs-Verzicht“ nennt, weiter, und er berichtet, wie es ihm damit ergangen ist: „Man will nicht mehr, denn allzu sehr spürt man, daß wir unsere Energien auf anderes (leider auf anderes) zu richten haben.“ In seinen klarsten Augenblicken erkennt er: „Wer dichten kann, soll weiter dienten, und in einem tieferen (vielleicht metaphysischen) Sinn gehört dann ein solches Werk zur Metspolitik unserer Zeit.“ Und gelegentlich verwirft er seine eigene Skepsis, und betont, man dürfe aus ihr keine Konsequenzen ziehen: „Die Welt wird mit jedem Tag neu geschöpft, und daran muß man sich halten.“

Alles, was Broch geschrieben hat, seine dichterischen wie seine wissenschaftlichen Arbeiten, etwa seine großartigen Studien zur Massenhysterie, entstammen dem einen gleichen Erlebniszentrum. Eine seiner schönsten Romanfiguren, die Mutter Gisson in der „Verzauberung“, umschreibt diesen Erlebnismittelpunkt mit den schlichten Worten: „Das Wirklichste in der Welt ist das Herz... All das geheimnisvolle Wissen, nach dem wir fahnden, ist nichts anderes als ein schlichtes und nüchternes Wissen um das menschliche Herz.“

Das war auch das lebensbestimmende Glaubensbekenntnis des Dichters Hermann Broch.

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