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Richter über Leben und Tod

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Was bedeuten die 203.148 Ja- und 144.822 Nein-Stimmen für die Volksinitiative „Sterbehilfe auf Wunsch für unheilbar Kranke“ im Kanton Zürich? War das wirklich nur eine auf Uninformiertheit der Stimmberechtigten beruhende „Panne der Demokratie“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ behauptet, oder ein neuer Hinweis für den schwindenden Respekt vor menschlichem Leben? Folgte nicht dem Ruf nach der - in Zürich mit ähnlicher Mehrheit wie die Euthanasie befürworteten, in der Gesamtschweiz aber abgelehnten - Fristenlösung stets eine Euthanasie-Diskussion?

Der Ethiker Univ.-Prof. DDr. Ru- dof Weiler ,JDer Mensch von heute kann mit den Grenzsituationen des Lebens wenig anfangen. Er schiebt die Frage nach dem Sinn von Leben und Sterben möglichst beiseite. So ist es heute mehr denn je gefragt, das Sterben von der Sinn- haftigkeit menschlichen Lebens her zu bewältigen!“

Entscheidend ist immer, was man unter Euthanasie“ versteht. Das betont auch Univ.-Prof. Dr. Karl Hörmann, Vorstand des Instituts für Moraltheologie an der Wiener Universität: „Wenn man damit eine Sterbehife meint, die dem Sterbenden die Schmerzen erleichtert und ihm hilft, den Tod würdig zu bewältigen, ist das nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Wenn der Zeitpunkt kommt, an dem man mit allen medizinischen Hifen nicht mehr erreichen kann, als den Tod in dem Sinn hinauszuzögem, daß man den Sterbezustand verlängert, dann können der Arzt und die übrigen Menschen, die für einen solchen Sterbenden Verantwortung tragen, im verantwortungsbewußten Überlegen zum Entschluß kommen, die Behandlung einzustellen, die nur das Sterben verlängern würde. Bei einer solchen, sogenannten passiven Euthanasie kann man kaum jemandem einen vernünftigen Vorwurf machen.“

Vor allem sollte man wohl den Menschen die bei der Zürcher Abstimmung sicher mitspielende Furcht nehmen, man sei als Todkranker der medizinischen Technik hilflos ausgeliefert, werde trotz schwerster Schmerzen zum Weiterleben gezwungen. Wie man von einem Herzkranken nicht verlangen kann, daß er sich bedingungslos einer sein Leben - vielleicht - verlängernden Herztransplantation unterzieht, so sollte auch der Wunsch eines Sterbenden respektiert werden, die therapeutische Behandlung (etwa Beatmung, Bluttransfusionen, Hämodialyse) einzuschränken oder einzustellen, natürlich bei Beibehaltung aller Mittel zur Linderung von Schmerzen und Beschwerden! Ob der Patient nun wirklich ein „Sterbender“ ist, der absolut keine Chance mehr auf Besserung hat, muß der Arzt entscheiden. Hier liegt das ernste medizinische Problem der passiven Euthanasie!

Noch verheerender könnte eine Fehldiagnose bei Freigabe der aktiven Euthanasie sein, um die es in Zürich letztlich ging. Dabei werden nicht nur alle Reparaturversuche am brüchigen Lebensfaden aufgegeben, sondern er wird gleich fein m säuberlich durchgeschnitten. Durch tätigen Eingriff, etwa eine tödlich wirkende Injektion, wird das Leben beendet. Prof. Weiler sieht darin ein Leugnen des Schöpfungsgedankens, ein Überschreiten der Autonomie des Menschen, der auch über sein eigenes Leben nur beschränkt verfügungsberechtigt sei. Außerdem könne der Wunsch des Kranken nach Euthanasie, der ja Voraussetzung für eine Durchführung sein soll, oft nicht artikuliert werden; er könne Ausdruck einer Depression oder verminderter Zurechnungsfähigkeit oder gar Reaktion auf Druck der Umgebung sein.

Es liegt auf der Hand, daß die aktive Euthanasie das Vertrauen des Patienten zum Arzt erschüttern kann, daß sie eine Art „Beihilfe zum Selbstmord“, zumindest aber zur Selbstbestimmung der Todesstunde ist. Dazu Prof. Hörmann: ,JMan mag dafür als Motiv anführen, daß man dem unheilbar Kranken nur unnötige Leiden ersparen wolle; vielleicht auch, daß sein Leben doch keinen Sinn mehr habe. Aber wer kann sich zum Richter darüber machen, welches Menschenleben noch sinnvoll ist und welches nicht? Und wenn das Leben des unheilbar Kranken sinnlos ist, dann kann es auch das Leben des körperlich oder seelisch Gebrechlichen sein, das Leben des Altersschwachen oder das Leben eines anderen Menschen, das aus einem anderen Grund für lebensunwert gehalten wird. Wo kann dann die unbedingt zu achtende Grenze gezogen werden?“

Auch die Todesstrafe beruht letztlich darauf, daß das Leben eines Menschen - hier eines Mörders oder anderen Schwerverbrechers - für lebensunwert erklärt wird. Hat die Kirche die aktive Euthanasie beim letzten Konzil als Schande verurteilt und Pius XII. die passive Euthanasie - bei aller gebotenen Vorsicht, ob wirklich jede Besserungs-

hoffnung auszuschließen sei - akzeptiert, so war man bei der Todesstrafe zurückhaltender. Im Mittelalter hieß es einmal, daß Personen, die die Todesstrafe verhängen, nicht allgemein schwer schuldig würden, aber grundsätzlich ist - so Prof. Hörmann - „im Christentum eine Tendenz zur Überwindung der Todesstrafe enthalten“. Auch die österreichische Bischofskonferenz distanzierte sich kürzlich von dieser Maßnahme, deren einzig denkbare Legitimierung die Theologen nicht in Sühne oder Abschreckung, sondern höchstens im Schutz der Gesellschaft in einer anders nicht abwendbaren Notsituation sehen.

Daß Grundwerte einer Gesellschaft - und das menschliche Leben ist nach allen bisher formulierten Menschenrechten ein Grundwert! - Gegenstand einer Abstimmung sein können, lehnen beide Professoren ab.

Was sich nun in etlichen Ländern anbahnt, scheint gerade das Ziel zu haben, Ausnahmen zu Regeln zu machen. Weil manche Frauen, die abtreiben, und manche Arzte, die aktive Euthanasie betreiben, Verständnis - nicht Zustimmung! - und Straflosigkeit verdienen, will man gleich allen Nachsicht zusichem. Und als probates Mittel für Notfälle soll ständig das Damoklesschwert der Todesstrafe über allen Verbrechern hängen. Diese Stufenleiter der Lebensentwertung ist man natürlich noch nicht überall gleich weit hinaufgestiegen, und es sind immer andere Leute, die jeweils die nächste Sprosse anpeilen. Aber auch in Österreich klettert man schon. Man mag sich trösten, daß wieder eine Gegenströmung kommen wird. Das ist durchaus möglich. Aber bis dahin können viele Menschen sterben: Ungeborene, Alte und Kranke, Verbrecher und unschuldige Opfer der Justiz.

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