6900100-1980_24_06.jpg
Digital In Arbeit

Richterspruch ohne Wert?

Werbung
Werbung
Werbung

An einer wenig beachteten „Nebenfront” des Konflikts zwischen dem Iran und den USA, in dessen Vordergrund vor allem die Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran steht, ist am 24. Mai eine Entscheidung gefallen: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag verurteilte den Iran wegen seiner aufeinanderfolgenden und andauernden Völkerrechtsverletzungen gegenüber den USA.

Zunächst mag die Tatsache überraschen, daß das Gericht der Vereinten Nationen (VN), das seit Jahren ein Mauerblümchendasein fristet, überhaupt mit jenem hochpolitischen Streitfall befaßt wurde. Die UN-Mitglieder, zu denen auch die beiden Konfliktparteien zählen, sind zwar automatisch auch Parteien des IGH-Statuts, weil dieses einen integrierenden Bestandteil der Charta der VN bildet; damit ist jedoch keineswegs die Zuständigkeit dieses Gerichts zur Entscheidung über ihre Rechtsstreitigkeiten begründet.

In der Völkerrechtsordnung der souveränen Staaten darf auch der Haager Gerichtshof nur aufgrund einer zusätzlichen Einwilligung der Streitpartien tätig werden. Er kam in der Geiselaffäre von Teheran vor allem dadurch ins Spiel, daß sowohl die USA als auch der Iran nicht bloß Parteien der Wiener Konventionen über diplomatische und konsularische Beziehungen 1961 und 1963 sind, sondern überdies seinerzeit in Fakultativprotokollen die Kompetenz des IGH für Streitfälle bezüglich der Auslegung oder Anwendung dieser Verträge anerkannt haben.

Der Iran konnte sich auch nicht mit dem Hinweis auf die umwälzenden Neuerungen im Zuge der islamischen Revolution nach dem Sturz des Schah-Regimes aus der Schlinge ziehen. Denn völkerrechtliche Pflichten binden den Staat unabhängig vom Wechsel seiner Regierungen und sonstigen innerstaatlichen Änderungen.

Da die 15 Richter des UN-Gerichts gemäß dem in Art. 9 des Statuts verankerten Grundsatzes der Repräsentativi-tät aus verschiedenen rechtlichen und damit auch politisch-ideologischen Lagern stammen, zwischen denen auch in zahlreichen völkerrechtlichen Fragen grundlegende Meinungsverschiedenheiten bestehen, fällen sie gewöhnlich bei allem Streben nach Unparteilichkeit ihre Urteile nicht einhellig, sondern mit Stimmenmehrheit.

Die Verletzungen des Diplomaten-und Konsularrechts durch die Botschaftsbesetzung und Geiselnahme in der iranischen Hauptstadt lieferten jedoch ein solches Lehrbuchbeispiel für Völkerrechtsbrüche, daß ausnahmsweise alle Richter die Freilassung und weitere Sicherheit der Geiseln sowie die Rückgabe des US-Vermögens verlangten.

Insbesondere in der Frage der Schadenersatzpflicht Irans schieden sich freilich die Geister. Bezeichnenderweise stammten die abweichenden Meinungen aus der Feder des sowjetischen, syrischen und polnischen Richters.

Obwohl der stellvertretende Rechtsberater im State Department, Stephen Schwebel, von einer „großartigen Entscheidung” sprach, stellt sich die Frage ihres politischen Wertes.

Während die Staaten im „primitiven” System des Völkerrechts in der Regel auch zur Durchsetzung von Urteilen internationaler Rechtsspre-chungsinstanzen gegen erfüllungsunwillige Gegner auf Selbsthilfe angewiesen sind, sieht Art. 94 der UN-Charta zwar eine Zwangsvollstreckung von Entscheidungen des IGH durch den Sicherheitsrat vor. Allerdings hängt über ihr das Damoklesschwert des „Vetorechts” der 5 ständigen Ratsmitglieder.

Nun haben die USA bereits versucht, mit Hilfe des Sicherheitsrats die Freilassung der Geiseln zu bewirken. Sie erreichten zwar, daß der Rat in zwei Resolutionen den Iran dazu aufforderte. Als sie angesichts der Erfolglosigkeit dieser Aufrufe im Jänner dieses Jahres verbindliche wirtschaftliche und politische Zwangsmaßnahmen beantragten, verhinderte die UdSSR mit ihrem Einspruch jedoch einen diesbezüglichen Beschluß. Es zeichnen sich keine Gründe für eine Änderung der sowjetischen Haltung ab, sollten die USA nunmehr den Sicherheitsrat zur DurchseU zung des Urteils des Haager Gerichts anrufen.

Nichtmilitärische Repressalien standen den USA auch schon vorher offen; sie wurden von der Carter-Regierung auch ergriffen, erwiesen sich freilich als wenig wirksam. Die Anwendung von Waffengewalt ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat ist als Verstoß gegen Abs. 4 der UN-Charta auch zur Urteilsvollstreckung unzulässig, es sei denn, die USA beriefen sich auf die freilich umstrittene Rechtfertigung, in Notwehr gegen einen ständig andauernden bewaffneten Angriff gegen ihre Staatsangehörigen zu handeln. Auch diese völkerrechtliche Hintertür konnten sie aber schon vor der Entscheidung des IGH benützen. Diese ist vom Iran bereits abgelehnt worden.

Das politische Blatt der USA ist durch den juristischen Trumpf der Verurteilung Irans als flagranten Rechtsbrechers durch das Gericht der VN offensichtlich nicht sonderlich gestärkt. Ob der internationalen Rechtsprechung, die ohnehin auf schwachen politischen Beinen steht, durch die Befas-sung des IGH mit einem brisanten Streit, in dem sich seine Ohnmacht erwies, ein guter Dienst geleistet worden ist, muß wohl dahingestellt bleiben.

Ebenso sollte es sich die Regierung der USA gründlich überlegen, aus der Entscheidung zu ihren Gunsten grünes Licht für ein erneutes militärisches Eingreifen abzulesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung