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Riese auf tönernen Füßen

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Ende Juli nahm Japans Chef des Verteidigungsamtes, Ganri Yamashi- ta, eine Einladung zu einem offiziellen Besuch Südkoreas an, bei dem gemeinsame Probleme besprochen und die eindrucksvollen Festungsanlagen sowie militärindustrielle Betriebe besichtigt wurden. Keiner der Vorgänger von Yamashita hatte es in den 13 Jahren seit der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen mit Südkorea gewagt, den gemeinsamen, legitimen Verteidigungsanliegen der beiden Länder so offen nachzugehen.

In diesem nordostasiatischen Wetterwinkel stehen sich die Sowjetunion, China, die Vereinigten Staaten und Japan auf engstem Raum gegenüber, ist zudem zwischen dem kommunistischen Nord- und dem prowestlich orientierten Südkorea nur ein prekärer Waffenstülstand in Kraft. Die japanische Linke war denn auch schnell mit Protesten gegen ein geplantes Dreier-Militärbündnis zwischen den USA, Japan und Südkorea zur Hand. Davon ist freilich noch auf lange Zeit hinaus nicht die Rede.

Die Japaner fielen bis vor kurzem sogar durch eine kaum verständliche Zurückhaltung in ihren militätischen Beziehungen zum einzigen Alliierten - den USA - auf. Erst im November 1978 hatten etwa Yamashitas Vorgänger, Shin Kanemaru, und sein amerikanischer Amtskollege, Verteidigungsminister Herald Brown, Grundsätze für eine militärische Zusammenarbeit festgesetzt. Eine rudimentäre Stabsorganisation wurde ins Leben gerufen, die im Falle eines Angriffs auf Japan die im Sicherheitsvertrag vorgesehenen gemeinsamen Operationen unter amerikanischem Oberkommando ermöglicht.

Gemeinsame Manöver zwischen den beiden Verbündeten hatten nur im bescheidensten Rahmen und nur selten stattgefunden. Das 25jährige Jubiläum der Gründung der japanischen Streitkräfte, das im Juli fällig war, wurde stillschweigend übergangen. Sosehr bemüht sich die japanische Regierung, aller Kritik Ein einem Wiedererstarken des Militarismus, die im Innern wie im Ausland immer lauter wird, zuvorzukommen.

Nun aber fühlen sich die Japaner aus dem Busch geklopft. Und daß die Japaner endlich lernen, in globalstrategischen Zusammenhängen zu denken, hat seine guten Gründe:

Gerade während des Gipfeltreffens der Staatschefs der sieben größten westlichen Industrienationen in Tokio, dampfte der 40.000 Tonnen verdrängende, mit Hubschraubern und Senkrechtstartern bestückte sowjetische Flugzeugträger „Minsk” durch japanische Gewässer in seinen neuen Heimathafen Wladiwostok. Gleichzeitig bezog der strategische Langstreckenbomber „Backfire” im Fernen Osten Station.

In unmittelbarer Nähe Hokkaidos, auf den von Japan beanspruchten Inseln Kunashiri und Etorofu, entstehen neue sowjetische Stützpunkte mit Flugplätzen und Garnisonen. Vietnam verlor seine relative Selbständigkeit und wurde von Moskau als Satellit einvemommen, was zur Folge hat, daß den Sowjets heute in Cham Ran und Danang vorzüglich ausgebaute Marinebasen offenstehen. Damit wird das Gleichgewicht im südostasiatischen Raum entscheidend verändert.

Japan muß hilflos zusehen, wie seine Lebenslinien - vor allem die Ölzufuhren aus dem Nahen Osten - plötzlich gefährdet sind. Es ist nicht zu leugnen, daß der westliche Pazifik zu einer sowjetischen See geworden ist, in der die amerikanische Marine mehr oder weniger durch Abwesenheit glänzt. Ohne einen Schuß zu feuern, könnten die Sowjets Japan zur Kapitulation zwingen: Denn sollten die Rohstoff-Nachschublinien unterbrochen werden, stünden nach zwei Monaten alle Räder in Japan still.

Die japanischen Soldaten zählen, nach den kanadischen, zu den bestbezahlten der Welt. Das bedeutet, daß vom Verteidigungsbudget, das auf 0,9 Prozent des Bruttonationalprodukts (BSP) begrenzt ist, nur noch ein bescheidener Teil für Bewaffnung und Munition übrig bleibt. Japan entschloß sich daher für Qualität statt Quantität.

Im Juli veröffentlichte das Verteidigungsamt seine Budgetvoranschläge für die Modernisierung der drei Streitkräfte bis um 1985, die im Höchstfall einen Anstieg auf 1 Prozent des BSP nicht überschreiten sollen. Dennoch fehlt es an allen Ecken und Enden:

Kostspielige Radarflugzeuge sollten den Luftraum überwachen; Raketenzerstörer wären nötig zur Küstenverteidigung; eine einzige Panzerdivision steht auf Hokkaido einsatzbereit; neue Lenkraketensysteme müßten eingeführt werden. Dabei stehen für großangelegte Manöver nicht einmal die nötigen Reserven an Brennstoff und Munition zur Verfügung.

Nach amerikanischen Vorstellungen sollte Japan in der Lage sein, seine Verbindungslinien bis nach Südostasien zu schützen. Und wie man gelegentlich hört, nähmen Flugzeugträger auf dem Reißbrett bereits Gestalt an. Solange die Regierung aber nicht gewillt ist, zwei bis drei Prozent des BSP flüssig zu machen, bleibt Japan ein Riese auf tönernen Füßen.

Yamashita beklagte auch bitterlich, daß weder Regierung, noch Militär, noch Privatkreise ernsthaft an die Zivilverteidigung denken. Nachdem über drei Viertel aller Japaner bereits in Städten wohnen, seien gerade hier größte Anstrengungen nach dem Vorbild der Schweiz vonnöten. Dabei sind nicht einmal die gut 800 Flugzeuge in Kavernen geschützt.

Das im Juli veröffentlichte Verteidigungsweißbüch hat wenigstens eine gute Information zu berichten: die Meinungsumfragen stellten fest, daß heute 86 Prozent der Japaner die Existenz der Armee bejahen. Das spiegelt sich auch darin wieder, daß heute selbst die Sozialdemokratie und die Komeito den Sicherheitsvertrag mit den USA und die Streitkräfte bejahen.

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