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Ringen um Besinnung

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„Sommermeditationen" Ende Dezember - warum nicht?, so dachte ich und wollte mich von dem gleichnamigen Buch Vaclav Havels weihnachtlich-friedfertig stimmen lassen. Ganz ist es ihm nicht gelungen, muß ich gestehen, denn der Politiker Havel hat den Visionär schon ziemlich verdrängt. Havel ist für die Marktwirtschaft, und weil er auch noch immer dafür eintritt, daß Moral in der Politik eine Rolle spielen müsse, entdeckt er die Moral auch in der Marktwirtschaft. Denn, so schließt er messerscharf, der Markt könne nur funktionieren, „wenn er Moral hat". Und die liegt in den Gesetzen, Vorschriften und Traditionen - in den Spielregeln eben.

Gespielt wird das Spiel allerdings von Menschen mit ihren Schwächen und Fehlem. Die kennt Vaclav Havel natürlich allzu genau - aber er ist auch Menschenkenner und Optimist genug, um die hellere Seite des Menschseins nicht aus dem Auge zu verlieren. So treibt er den Wunsch, daß ohne gesunden Menschenverstand und ohne menschliches Gewissen nichts gehe, bis zur Behauptung und wendet diese auch auf die Wirtschaftsreform an.

Havel ist so kurze Zeit Politiker, daß er noch imstande ist, sich den Gesetzmäßigkeiten der Berufsblindheit zu entziehen. So erkennt er, „daß wir ständig den Dingen hinterherlaufen". Er nennt auch manche Ursachen für diese Versäumnisse: Ablenkung von der ordentlichen politischen Arbeit durch Kleinkriege, durch Gezänk, durch Mangel an gegenseitigem Vertrauen, durch Mangel an Selbstvertrauen, durch politische Kraftmeierei, Mangel an Großzügigkeit und durch Angst.

Das sind die Passagen, in denen der Schriftsteller Havel um die Besinnung ringt, die im politischen Tagesgeschäft nicht selten abhanden kommt. Das sind Erinnerungen an das, was er einmal „existentielle Revolution" genannt hat: die allgemeine Mobilisierung des menschlichen Gewissens, des menschlichen Geistes, der menschlichen Verantwortung, der menschlichen Vernunft.

■ Der einstige Präsident der CSFR möchte sichtlich nicht ungern Präsident der Tschechei werden. Ein Grund für dieses Beharren dürfte nicht nur sein, daß auch der Intellektuelle Havel Geschmack an der Macht bekommen hat, sondern eine Erkenntnis: Nach Havels Überzeugung können die großen Probleme seines Landes nur von „gebildeten, kultivierten und anständigen Menschen" gelöst werden. Und ein Grundmaßstab der Anständigkeit ist für ihn, wie die Geselllschaft sich um Kinder, Kranke, Alte und Machtlose kümmert.

Havels Meditationen enden mit einem Wunsch, mit einer Bitte: „Gott mit uns!"

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