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Ringen um den „Ring”

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Revitalisierung oder Verödung? — Das ist die Frage, die Stadtplaner, Architekten, Hauseigentümer, Wohnungsmieter im Fall „Ringstraße” eigentlich längst stellen müßten: Werden auch noch die letzten Wohnungen dieser Prachtstraße in Büros umgewandelt? Werden auch aus den letzten Cafes und den ebenfalls dahinsiechenden Autosalons Banken und Versicherungsbüros; und wird damit von der Ringstraße das Leben endgültig verbannt? Oder wird man endlich doch ein Sanierungskonzept erarbeiten, um das einstige Paradebeispiel einer begrünten Architekturlandschaft des 19. Jahrhunderts, einer Art aufgelockerter „Fußgeherzone” mit Karossenwegen Und Reitbahnen, also den Luxuskorso von einst, neu zu beleben?

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Revitalisierung oder Verödung? — Das ist die Frage, die Stadtplaner, Architekten, Hauseigentümer, Wohnungsmieter im Fall „Ringstraße” eigentlich längst stellen müßten: Werden auch noch die letzten Wohnungen dieser Prachtstraße in Büros umgewandelt? Werden auch aus den letzten Cafes und den ebenfalls dahinsiechenden Autosalons Banken und Versicherungsbüros; und wird damit von der Ringstraße das Leben endgültig verbannt? Oder wird man endlich doch ein Sanierungskonzept erarbeiten, um das einstige Paradebeispiel einer begrünten Architekturlandschaft des 19. Jahrhunderts, einer Art aufgelockerter „Fußgeherzone” mit Karossenwegen Und Reitbahnen, also den Luxuskorso von einst, neu zu beleben?

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Zwei Weltkriege, Inflationen, rapid steigende Mieten, die Minderung der Kapitalkraft der privaten Hauseigentümer, kurz: die wirtschaftliche Entwicklung hat diese Umschichtung mit sich gebracht: Aus den hochherrschaftlichen Haushalten der Aristokraten, der Großindustrie, der Bankiers, aus ihren Luxusspekula- tionsobjekten und prunkvollen Appartementhäusern sind Büros geworden. Eine anonyme Gesellschaft, die den Gesamtkunstwerken solcher Palastbauten meist völlig gleichgültig gegenübersteht, wandelte Privatresidenzen systematisch in gesichtslose Repräsentationsbüros um; wenn sie nicht überhaupt die originale Ausstattung entfernt hat. Man sieht also schon: Höchste Zeit, für den „Ring” etwas zu tun, wenn nicht eine der bedeutendsten städtebaulichen Leistungen am Ende unseres Jahrhunderts als kläglicher Torso dastehen soll; als nur noch fragmentarische Prachtstraße, in deren einst bis ins letzte Detail geplanten Bauten dank eines lückenhaften Schutzgesetzes das meiste demoliert oder ausverkauft wurde: Marmorkamine, Prachttüren, Marmorsäulen, Statuen, Kandelaber, Kronleuchter, Kassettendecken …

Skandalöses passierte da vor kurzem: Im Palais Erzherzog Ludwig Viktors, dem späteren Offizierscasino am Schwarzenbergplatz, also immerhin in einem Hauptwerk im Ringstraßenverband, wollte man zwei Säulen entfernen, um einen Raum zu vergrößern!

Ein Blick in das Palais zeigt, welche Barbarei sich hier abspielt: Die Fenster wurden mit Kunststoffziegeln verbarrikadiert, die Stukkaturen wirken desolat, Probebühnen wurden eingebaut… Das Burgtheater probt hier, und die Reste der Innenausstattung drohen zu verrotten, wenn man sich nicht bald entschließt, einzugreifen. Bereits mehrmals wurde der Vorschlag gemacht, hier der Theatersammlung endlich eine Heimstatt zu geben, hier ein Thea- termuseum zu verwirklichen; wie man dies auch vorgeschlagen hat, um Gottfried Sempers und Karl von Hasenauers berühmtes Kulissendepot in der Lehargasse vor der Demolierung zu bewahren. Im Fall des Semper-Hauses versucht aber immerhin die Gemeinde rettend einzugreifen und das Bauwerk als „Eckpfeiler” der Schutzzone „Girardigasse” nicht zum Abbruch freizugeben. Ja, man denkt vielleicht sogar, hier ein Theatermuseum zu installieren. Aber keine Entscheidung ist im Fall des Palais Ludwig Viktor gefallen.

So wie dieses Palais nach der Übersiedlung des Verkehrsministeriums verwaist dastand, könnte es übrigens auch einem Hauptwerk Theophil von Hansens ergehen: dem ehemaligen Hoch- und Deutschmeisterpalais Erzherzog Wilhelms am Parkring. Die Polizeidirektion wird in absehbarer Zeit ausziehen; über die Verwendung des auch in der Innenausstattung original erhaltenen Palastbaues’ gibt es noch keine endgültige

Entscheidung. Immerhin sagte Bürgermeister Gratz zu, daß hier ein „Zentrum für viele Kulturaktivitä- ten” möglich und auch geplant sei. Und da der Zustand des Bauwerks, auch in der Ausstattung, hervorragend ist, hofft vor allem auch das Museum für angewandte Kunst, hier eine Sektion ,,Kunstgewerbe” einrichten zu können.

Aber wäre es da nicht gleich vernünftiger, beide Vorschläge zu koordinieren und ein längst fälliges „Rinigstraßen-Kulturzentrum” einzurichten? Sowohl ein Museum mit Ringstraßen-Forschungszentrum, Bibliothek, Bildarchiv, Wechselausstellungen, als auch ein Dokumentationszentrum für die Kulturgeschichte der Ringstraße und dazu eine ,Aktivzelle”, die an den Parkring kulturelles Leben bringt: Die prachtvollen Säle sind wie geschaffen für Kammerkonzerte, Dichterlesungen, Vorträge…

Der Zeitpunkt zur Verwirklichung eines solchen Projekts wäre ideal: In ganz Europa wird die Kultur des Historismus neu entdeckt; nach dem Erfolg der deutschen Makart-Ausstellung plant nun Wien eine Monsterschau seiner Gemälde in der Hermes-Villa; eine Thonet-Möbelschau, darunter vor allem jene berühmten Werke vor der Jahrhundertwende, begeistern gerade Frankfurt; die deutsche Thyssen-Stiftung beteiligt sich seit Jahren an der Herausgabe des 14bändigen Werks „Die Wiener Ringstraße” und an den Münchner „Historismus-Studien” des Prestel-Verlags, Londons Auktionshaus Sotheby’s notiert für Historismus rapid steigende Preise … Und wieviel Künstler des 19. Jahrhunderts müssen in Wien erst wieder entdeckt werden, Künstler, die bisher völlig falsch beurteilt wurden: Semper, Feuerbach, Hasenauer, Ferstel, Canon, Schmidt, Förster, Van der Nüll, Fellner und Helmer, Baumann … Eine ganze Galerie der notorisch Mißverstandenen! Wäre es da nicht eine Aufgabe, Wiens kulturelle Bedeutung und Leistung im 19. Jahrhundert, ja überhaupt die Kulturgeschichte und Kunst der gesamten österreichisch-ungarischen Monarchie in einem Forschungs- und Dokumentationszentrum zu erfassen?

Für die Erforschung der Kultur in der Epoche Kaiser Franz Josefs wäre ein solches Institut die ideale Grundlage. Und für die Ringstraße bedeutete ein solches „Aktivitätenzentrum” eine neue geistige Belebung; und es gäbe endlich eine Möglichkeit, jene längst fällige Monsterausstellung „Die Kunst der Ringstraße” zu realisieren, die seit Jahren international erwartet wird. Denn während Paris, London, Chikago, New York, Mailand usw. ihre Kulturgeschichte der „Belle epoqüe” und des „Fin de siėcle” bereits auf breitester Basis dokumentieren, ist Wien drauf und dran, diese Demonstration seiner künstlerischen Bedeutsamkeit zwischen 1850 und 1900 zu verschlafen.

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