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Risse einer Kirche

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Eine Kirche geriet in eine ernsthafte Krise und ihr Bischof ins Zwielicht. Auf diesen kurzen Nenner läßt sich die jüngste Entwicklung in Her Westberliner evangelischen Kirche bringen, nachdem Bischof Kurt Scharf und einige kirchliche Mitarbeiter in den Strudel dcjiEreignisse rund um das jüngste Wiederaufleben vöh AkiivitafJn der Baader-lejnhof-Gruppe geraten sind. Anlaß für dein Konflikt, der die evangelische Kirche dfer’Teilstadt bis in ihre Grundfesten erschütterte, sind ein Besuch Scharfs. bei der in West-Berlin inhaftierten Ulrike Meinhof sowie der Verdacht, daß *wei kirchliche Mitarbeiter, die Sozialarbeiterin Undine Zühlke und der Vikar Kornelius Burghardt, von dem Plan der Entführung oder Ermordung des Gerichtspräsidenten von Drenkmann gewußt hätten.

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Eine Kirche geriet in eine ernsthafte Krise und ihr Bischof ins Zwielicht. Auf diesen kurzen Nenner läßt sich die jüngste Entwicklung in Her Westberliner evangelischen Kirche bringen, nachdem Bischof Kurt Scharf und einige kirchliche Mitarbeiter in den Strudel dcjiEreignisse rund um das jüngste Wiederaufleben vöh AkiivitafJn der Baader-lejnhof-Gruppe geraten sind. Anlaß für dein Konflikt, der die evangelische Kirche dfer’Teilstadt bis in ihre Grundfesten erschütterte, sind ein Besuch Scharfs. bei der in West-Berlin inhaftierten Ulrike Meinhof sowie der Verdacht, daß *wei kirchliche Mitarbeiter, die Sozialarbeiterin Undine Zühlke und der Vikar Kornelius Burghardt, von dem Plan der Entführung oder Ermordung des Gerichtspräsidenten von Drenkmann gewußt hätten.

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Frau Zühlke und Vikar Burghardt, zunächst verhaftet, sind schon wieder auf freiem Fuß. Allerdings sind nach- Ansicht der Polizei noch immer Verdachtsmomente gegeben. Undine Zühlke, Frau eines Pastors in Berlin-Moabit, hat, soviel steht fest, bei einem ihrer Besuche bei Ulrike Meinhof, die sie als Sozialarbeiterin im Frauengefängnis gemacht hat, von dieser einen Zettel zugesteckt bekommen. Was auf diesem gestanden hat, ist bis heute weitgehend unklar. Frau Zühlke erklärt, sie hätte den Zettel in der Toilette weggespült. Das verschwundene Corpus delicti hätte die Nachricht enthalten,’ „Nehmt keinen Kirchenmann“ und weiteres „wirres Zeug“. Einige Zeitungen wollten sogar wissen, daß der von Undine Zühlke mitgenommene Zettel die Aufforderung enthalten habe, sich „an die Justiz zu halten“.

Der zunächst gehegte Verdacht, daß die kirchliche Sozialarbeiterin die späteren Mörder des Gerichtspräsidenten von den Vorschlägen Ulrike Meinhofs unterrichtet habe, wurde bis heute allerdings nie erhärtet und dürfte ziemlich sicher nicht stimmen. Denn nicht nur, daß der ominöse Zettel schon einige Tage vor dem Tod von Holger Meins geschrieben worden war, ein Rachemord für Meins daher noch gar nicht geplant werden konnte, ist es auch völlig unbewiesen, daß der Kassiber noch konkrete Hinweise für eine Entführung enthalten hat.

Außenstehende mag es dabei überraschen und berechtigterweise in Mißtrauen versetzen, warum Undine Zühlke überhaupt eine derartige Nachricht aus dem Gefängnis mitnahm und was sie mit ihr zu tun hatte. Dies wird erklärlich, wenn auch nicht unbedingt verständlich, wenn man weiß, daß zu dieser Zeit in West-Berlin die Synode der

Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tagte und allgemein die Sorge bestand, daß die Baader-Meinhof- Sympathisanten diese kirchliche Versammlung zu einem spektakulären Akt nützen könnten. Nachdem linke Gruppen erst kurz zuvor mit einer Kirchenbesetzung in Berlin- Kreuzberg massiv versucht hatten, die Kirche in ihre Kampagne gegen die angebliche Folterung der Baader- Meinhof-Häftlinge hineinzuziehen, war diese Vermutung nicht von der Hand zu weisen.

Zühlkes Bemühen soll es daher gewesen sein, so die Version ihres Anwalts, die Geiselnahme einer kirchlichen Person zu verhindern. Meinhof habe ihr diese Zusage nioht mündlich geben wollen, da sie befürchtete, im Gefängnis abgehört zu werden. Deshalb sei die Mitteilung auf dem schließlich angeblich in der Toilette verschwundenen Zettel festgehalten worden.

Mündlich hat von dem Inhalt dieses Zettels Vikar Burghardt erfahren, der diese Information an Bischof Scharf weitergegeben hat. Nun ist Burghardt, was die Beziehungen zur Baader-Meinhof-Gruppe angeht, kein unbeschriebenes Blatt. Wegen Unterstützung dieser kriminellen Vereinigung, er hatte Ulrike Meinhof Obdach gewährt und ihr Papiere zur. Verfügung gestellt, war er zu sechs Monaten Haft verurteilt worden.

Nun war Vikar Burghardt wieder in den Verdacht geraten, mit den Polit-Terroristen zusammenzuarbeiten, ja, sie sogar bei der Vorbereitung ihrer verbrecherischen Taten zu unterstützen. Nicht nur der Umstand, daß sich Burghardt sofort bei Bekanntwerden des Verdachts gegen ihn der Polizei zur Verfügung stellte — er befand sich gerade in Süddeutschland, auch seine Entlassung aus der U-Haft und das Ausbleiben konkreter Beweise deuten allerdings darauf hin, daß er diesmal, wenn überhaupt, in weit geringerem Maße in das Treiben der Baader-Meinhof- Gruppe involiert ist.

Da Burghardt die von Frau Zühlke mitgeteilte Nachricht, daß eine Entführung eines Kirchenmannes zu befürchten sei, an Bischof Scharf weitergegeben hatte, Scharf selbst kurz zuvor Ulrike Meinhof in ihrer Zelle aufgesucht hatte, kam aber auch der 72jährige Kirchenmann ins Zwielicht. Freilich wurde dieses Zwielicht weniger von ihm selbst verbreitet (er hielt seinen Besuch bei Meinhof zunächst geheim und verhielt sich taktisch nicht immer klug). Vielmehr sorgte vor allem die Springer-Presse kräftig dafür, daß um Scharf recht viel Dunkel entstand. Die „Bild-Zeitung“ nannte Scharf, der unter den Nazis wie unter den Kommunisten in der DDR für seine aufrechte Haltung schwer zu büßen hatte, „altersblind, kraftlos und starrsinnig“. Blätter dieses Schlages wußten zu berichten, daß in Teilen der Westberliner evangelischen Kirche Marx statt des Evangeliums gelesen werde.

Auch die bereits seit langem aktive konservative kirchliche Opposition rührte sich nun massiv und verlangte den Rücktritt Scharfs und anderer, die dafür verantwortlich sein sollen, daß der gesamte Theologennachwuchs weit nach links abgerutscht sei. Scharf bewies in dieser turbulenten Situation (die Kirohenaustritte stiegen an) Festigkeit. Er verwies auf seine seelsorger- lichen Aufgaben, die ihn dazu veranlaßt haben, mit Ulrike Meinhof zu sprechen. Er hatte gehofft, die sich eskalierende Entwicklung in den anarchistischen Kreisen — Hunger- und Durststreik wurden immer rigoroser betrieben — bremsen zu können. Da Scharf auch die Opfer von Terroristen und ihre Angehörigen sowie die des Mordes an ihrem Vater angeklagte und von einer Auslieferung an die DDR bedrohte Ingrid Brückmann besucht hatte, konnte man ihm auch schwerlich Parteilichkeit vorwerfen.

Da sich auch die Vorwürfe gegen Zühlke und Burghardt nicht weiter erhärteten, allerdings auch nicht auflösten, wurde die Anti-Scharf- Kampagne in West-Berlin etwas gebremst. Die Risse, die in der Westberliner evangelischen Kirche entstanden sind, sind freilich kaum mehr zu kitten. Der Kirche in dieser Stadt droht eine Spaltung, die vorerst nur aufgeschoben ist. Ihre Gefahr ist keineswegs beseitigt.

Ob sich die beiden Gruppen, von denen die eine jedes politische Ei|gagement der Kirche ablehnt, die andere aber aus dem Evangelium die Aufforderung zur Veränderung der Gesellschaft ableitet, je wieder annähem können, ist mehr als ungewiß.

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