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Rivalisierende Priesterinnen
Folgt man der Empfehlung von Richard Strauss, das Repertoire eines großen Opernhauses solle alle Meisterwerke umfassen, die für eine bestimmte Stilrichtung der letzten drei Jahrhunderte charakteristisch sind (als eine Art permanentes Opemmuseum), kann Bellinis „Norma” darin unbedingt einen Platz beanspruchen. Überdies war für Wien die letzte Neuinszenierung eine echte Wiederentdeckung, denn mehr als 50 Jahre stand dieser Prototyp der italienischen Belcanto- Oper, die von 1870 bis 1909 nicht weniger als 85mal im K. K. Hofopemtheater gegeben wurde, nicht mehr auf dem Programm.
Folgt man der Empfehlung von Richard Strauss, das Repertoire eines großen Opernhauses solle alle Meisterwerke umfassen, die für eine bestimmte Stilrichtung der letzten drei Jahrhunderte charakteristisch sind (als eine Art permanentes Opemmuseum), kann Bellinis „Norma” darin unbedingt einen Platz beanspruchen. Überdies war für Wien die letzte Neuinszenierung eine echte Wiederentdeckung, denn mehr als 50 Jahre stand dieser Prototyp der italienischen Belcanto- Oper, die von 1870 bis 1909 nicht weniger als 85mal im K. K. Hofopemtheater gegeben wurde, nicht mehr auf dem Programm.
In seinem kurzen Leben hat Vincenzo Bellinif. 1801 bis 1835) nicht weniger als zehn Opern geschrieben. Aber noch niemand hat ihn als Vielschreiber bezeichnet. Im Gegenteil. Jedes melodische Detail ist sorgfältig ausgearbeitet und die Instrumentierung zeugt von ausgeprägtem Klangsinn und technischer Akribie. Davon kann man sich in jeder Minute überzeugen. Vor allem die lyrischen Partien mit ihren weitgeschwungenen Melodiebö- gen können einen Vergleich mit Verdi sehr wohl aushalten; als Dramatiker ist Bellini freilich unterlegen. Bewundernswert aber auch seine Meisterschaft, manche Szenen zu einem großen, klargegliederten Gemälde zu gestalten. Das haben Regisseur Piero Faggioni und Ausstatter Ezio Frigerio (Kostüme Franca Squarciapina) richtig erkannt und ausgenützt.
Der Sizilianer Bellini wurde in Catania geboren und war Sohn und Enkel von Kirchenmusikem (Kathedral-Ka- pellmeistem). In seinem Geburtsort gibt es nicht nur eine nach Bellini benannte Straße und ein Denkmal, sondern auch das Opernhaus trägt diesen Namen (Teatro Massimo Bellini). Hier hat Vinzenzo Bellinis Werk eine ständige Pflegestätte. In einer engen Gasse gelegen und mit unauffälliger Fassade, bietet es im Inneren einen der schönsten Zuschauerräume, die ich je gesehen habe, unmittelbar nach oder neben dem Teatro La Fenice in Venedig (Aber das steht in keinem Reiseführer).
In Italien bedarf Bellini keiner Förderung, einige seiner Werke stehen immer auf dem Repertoire. So hat auch die Mailänder Scala ihre heurige Frühjahrs-Stagione mit Bellinis „Norma” eröffnet. Übrigens mit der gleichen Trägerin der Titelpartie wie in Wien: Monserrat Caballė. Dem Mailänder Dirigenten Gianandres Gavaz- zeni war freilich der Leiter der Wiener Aufführung, Riccardo Muti, überlegen, der aber auch die Wiener Philharmoniker zur Verfügung hatte.
Die Geschichte von der Druiden priesterin Norma, die vom römischen Prokonsul in Gallien zwei Kinder hat, wurde in Mailand als klassische Tragödie, in Wien mehr als hochromantisches Schauspiel dargeboten. Dort ein mächtiges Einheitsbühnenbild mit gewaltig aufragendem braunen Tempel. In Wien, von großen dunklen dorischen Säulen flankiert, vier verschiedene Schauplätze mit romantischen Farben, denen auch die prächtigen, überreichen Kostüme entsprachen.
Pollione, der römische Offizier, der sonst Severo heißt, findet mehr Gefallen an einer jüngeren Priesterin namens Adalgisa. Sie wurde von Fio- renza Cossotto gesungen, die im Leben wie im Spiel für Norma eine echte Rivalin wird. So war Monserrat Caballė nicht ganz in dem Ausmaß, wie wir erwartet hatten, absolute Herrin der Bühne. Aber im zweiten Teil wurde sie es dann doch: Dank ihrer starken, be sonders im Pianissimo bezaubernden Stimme, für die es technische Schwierigkeiten, mit denen Bellinis Partitur überhäuft ist, zwar gibt, mit denen sie aber fertig zu werden versteht. Carlo Cossutta als römischer Konsul konnte dem Häuptling der Druiden, Luigi Roni (ein starker, schöner Baß) nicht ganz parieren. Cossutta schien indisponiert, was aber dem Publikum nicht mitgeteilt worden war. So zog er sich den Unwillen der Stehplatzbesucher zu (gleich nach seinem ersten Auftritt) und wurde auch am Schluß, übrigens in Gesellschaft von Regisseur und Bühnenbildner, ausgebuht. Aber, wie gesagt: Von nur jenem kleinen Teil des Publikums, das sich, je länger, je stärker, unbeliebt macht. Dagegen scheint kein Kraut gewachsen. Lassen wir sie also schreien.
Wir hatten, aufs Ganze gesehen, eine Aufführung wie bei einer italienischen Stagione: in allen Hauptrollen und Funktionen Italiener. Das Programmheft soll man nicht nur kaufen, sondern auch genau studieren. Es ist sehr reichhaltig und interessant. So kann man nachlesen, wie hoch Richard Wagner, sonst kein Freund dieses Genres, das Werk Bellinis schätzte, nicht zuletzt dank des poetischen Librettos von Felice Romani, dessen Quellen „Les Martyrs” von Chateaubriand sowie ein Stück des Franzosen Alexandre Soumet aus dem Jahr 1831 sind. Langanhaltender Beifall, trotz der Störversuche.
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