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Robert Jungks heile Welt

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Das Buch „Der Atom-Staat“ von Robert Jungk wurde innerhalb kürzester Zeit das Buch, auf das sich Kernkraftwerksgegner aller Schattierungen berufen. Erstaunlich bei einem Werk, das nicht nur voll kleinerer sachlicher Fehler steckt, sondern überdies jedes detaillierte Eingehen auf die Sicherheitsproblematik moderner Kernkraftwerke vermeidet. Jungk zeigt, und das ist verdienstvoll, die Gefahr, die durch lässige Handhabung selbst der besten Sicherheitsvorschriften droht, geht aber an wichtigen, prinzipiellen Dimensionen des Kernkraftproblems vorbei. Mit ihnen beschäftigt sich vorrangig unsere Besprechung.

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Das Buch „Der Atom-Staat“ von Robert Jungk wurde innerhalb kürzester Zeit das Buch, auf das sich Kernkraftwerksgegner aller Schattierungen berufen. Erstaunlich bei einem Werk, das nicht nur voll kleinerer sachlicher Fehler steckt, sondern überdies jedes detaillierte Eingehen auf die Sicherheitsproblematik moderner Kernkraftwerke vermeidet. Jungk zeigt, und das ist verdienstvoll, die Gefahr, die durch lässige Handhabung selbst der besten Sicherheitsvorschriften droht, geht aber an wichtigen, prinzipiellen Dimensionen des Kernkraftproblems vorbei. Mit ihnen beschäftigt sich vorrangig unsere Besprechung.

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Robert Jungk legt in diesem Buch seinen Standpunkt als Gegner jeglicher Anwendung der Kernenergie eindringlich dar. Er sieht in friedlichen wie militärischen Anwendungen den Sprung in eine ganz neue Dimension der Gewalt und betont den „lebensfeindlichen Charakter“ dieser neuen Energie. In den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt er die von der friedlichen technischen Nutzung der Kernenergie her drohenden Gefahren einer „durch technisches Versagen, menschliche Unzulänglichkeit oder böswillige Einwirkung hervorgerufenen Atomkatastrophe“ und deren Langzeitwirkungen. Er befürchtet insbesondere, daß gerade aus den bei der friedlichen Nutzung anfallenden spaltbaren Materialien Waffen hergestellt werden könnten, die von „Gangstern, Putschisten oder Terroristen“ viel skrupelloser angewendet würden als von den Staaten. Angesichts des Risikos von „Atom-Bürgerkriegen“, das durch die Ausweitung der friedlichen Nutzung entstünde, fordert Jungk daher die radikale Atomabrüstung, die unmittelbar nach Hiroshima und Nagasaki verlangt worden ist.

Jungk will die sozialen und politischen Wirkungen der Kernenergie darstellen. Die Befürworter der friedlichen Nutzung versuchen seiner Meinung nach, sich und ihre Mitbürger durch nie zuvor gekannte technische Sicherheitsmaßnahmen; zu a schützen, müßten jedoch dies - Erfindung so streng wie keine andere vor menschlichen Fehlern und Affekten bewahren, vor Irrtümern, Schwächen, Ärger, List, Machtgier, Haß. Die unausweichliche Folge eines totalen Schutzes der Kernkraftwerke gegen solche Gefahren wäre ein Leben voll von Verboten, Uberprüfungen und Zwängen, die ihre Rechtfertigung in der Größe der unbedingt zu vermeidenden Gefahren fänden. Im Namen einer - seiner Meinung nach unerreichbaren - perfekten inneren Sicherheit könnten zwar vielleicht Atomindustriestaaten in Konzentrationslager verwandelt werden, selbst dann jedoch gäbe es keine absolute Sicherheit gegen nukleare Erpressung und Gewalt. Jungk warnt daher in dieser in „Angst und Zorn“ geschriebenen Schrift - Angst vor dem drohenden Verlust von Freiheit und Menschlichkeit, Zorn über jene, die diese höchsten Güter für Gewinn und Konsum aufzugeben bereit seien - vor diesen Konsequenzen der friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Jungk warnt allerdings vor den falschen Gefahren. Er warnt vor einer Plutoniumwirtschaft und übersieht, daß wir bereits längst in dieser Plutoniumwirtschaft leben. Er verlangt die totale Atomabrüstung, ohne zu bedenken, daß das bis heute erzeugte Plutonium langfristig und wirtschaftlich nur und gerade durch Spaltung in Reaktoren wieder aus der Welt geschafft werden kann. Jungk will nicht einsehen, daß diese einmal erfundene Technologie, die derartige Möglichkeiten wirtschaftlicher und politischer Macht eröffnete wie keine zweite, in drei Jahrzehnten Tatsachen gesetzt hat, die nicht durch bloßes Wunschdenken aus der Welt geschafft, ungeschehen gemacht werden können.

Seine absolute Gegnerschaft hindert ihn an einer differenzierten Sicht der bisherigen Entwicklung und der Zukunftsaspekte der industriellen Nutzung der Kernenergie. Seine Vorstellung von einer nicht-nuklearen Welt ist nicht nur utopisch, sondern auch gefährlich, da sie der Diskussion von Vorschlägen zur Lösung der entscheidenden Zukunftsprobleme der Kernenergie im Wege steht, nämlich Sicherheit, Brennstoffausnützung, Energieanwendung, Plutoniumbesei-

tigung, Proliferationsgefahr und Wirtschaftlichkeit. Die optimale Reaktorstrategie ist nämlich sicherlich nicht in dem zur Zeit weltweit vorherrschenden Entwicklungsziel Leichtwasserreaktor - Schneller Brüter zu sehen. Jungk diskutiert, weil Kernenergie in jeder Form Machwerk des Teufels ist, auch nicht die Ursachen und Folgen des Siegeszuges des Leichtwasserreaktors und erwähnt nicht, daß dieser zwar die optimale Lösung für die stahlverwendende Reaktorindustrie ist, da er wegen der geringen Brennstoffausnützung ein (bezogen auf die produzierte Energiemenge) maximales Geschäft dieser Reaktorindustrie in der Brennelementfertigung und Wiederaufarbeitung sichert, aber gesamtwirtschaftlich gesehen eben deshalb auf die Dauer die schlechteste und unzweckmäßigste Nutzungsart der Kernenergie darstellt. Jungk betont nur die mangelhafte Sicherheit des Leichtwasserreaktors, geht aber auch hier nicht auf deren Details ein, auf die Gefahr eines Reaktivitätsunfalles bei einem Kühlmittelverlust, Fertigungsprobleme bei großen Reaktordruckgefäßen oder Brennelementleckagen. Er erwähnt allerdings ebensowenig die neueren Bestrebungen zur Erhöhung der Sicherheit des Leichtwasserreaktors, laufende Experimente zum Studium von Reaktorunfällen in den USA oder Arbeiten zur Entwicklung eines integcierten Berstschutzes durch Verwendung von Spannbeton-Reaktor-druckbehältern. Jungk erwähnt zwar Alvin Wein-

bergs Vortrag bei der vorjährigen Jubiläumstagung der IAEA in Salzburg („Nuclear energy at the turning point“) und zitiert dessen Forderung, ein Nuklearsystem zu entwerfen, das sich den möglichen Folgen eines GAU (größter angenommener Unfall), nämlich melt-down (Durchschmelzen des Reaktorkernes) und dem Problem der Proliferation (Weitergabe von spaltbarem Material) voll und kompromißlos stellt. Er verschweigt aber, daß es längst Reaktortypen gibt, deren Kern unschmelzbar ist (Hochtemperaturreaktor) sowie Reaktoren, die prolifera-tionssicher hergestellt werden können, wie etwa der Salzschmelzenreaktor, der gerade in Salzburg ausführlich zur Diskussion stand.

Jungk ist, neben zahlreichen sachlichen Unrichtigkeiten, eine Fehlsicht der gesamten Problematik vorzuwerfen. Er erstarrt in der totalen Gegnerschaft zur Kernenergie, statt Vorschläge zur Lösung der Probleme der Kernenergiewirtschaft vorzulegen, und geht damit den Weg des geringsten Widerstandes. Für ihn wie für die Kernkraftgegner überhaupt erübrigt sich jedes Nachdenken über die Notwendigkeit besserer Reaktorkonzeptionen; wobei Jungk, als Galionsfigur der Kernkraftgegner, seinerseits Sach-zwängen unterliegt. Denn nur kompromißloses Verwerfen jeder Kerntechnologie erhält ihnen die Sicherheit eines eschatologischen Denkens, daß sich die Ablehnung der Kernenergie zum Vehikel der Forderung nach einer totalen Umkehr der Menschheit macht. Die heile Welt ohne Atom wird und kann es aber nie mehr geben, so wenig wie eine Welt ohne Elektrizität oder ohne Maschinen.

Auf diese Weise machen, ohne es zu wollen oder zu wissen, die Kernkraftgegner mit ihrem totalen Nein den etwaigen, doch immerhin möglichen Fehlentscheidungen der Kernkraftlobby die Mauer.

DER ATOM-STAAT. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit. Von Robert Jungk. Kindler Verlag, München 1977. 244 Seiten, öS 154,40.

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