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Romtreue Germanen

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Im September 1991 wurden erstmals Fundgegenstände aus dem südmährischen Muschau (Musov) in Nikolsburg einem internationalen Fachpublikum vorgestellt. Den Anlaß bildete der XII. Archäologische Weltkongreß der „Union internationale des scien-ces prehistoriques et protohistori-ques" in Preßburg (Bratislava).

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Im September 1991 wurden erstmals Fundgegenstände aus dem südmährischen Muschau (Musov) in Nikolsburg einem internationalen Fachpublikum vorgestellt. Den Anlaß bildete der XII. Archäologische Weltkongreß der „Union internationale des scien-ces prehistoriques et protohistori-ques" in Preßburg (Bratislava).

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Diese Fundgegenstände sind jetzt -bestehend aus Beigaben aus dem einzigen bislang bekannt gewordenen germanischen Königsgrab Mitteleuropas und aus Relikten des nördlichsten römischen Militärpostens im Barbaricum - täglich außer Montag in Traismauer zu sehen. Schauplatz der Ausstellung ist das vor drei Jahren gegründete Museum für Frühgeschichte des Landes Niederösterreich, das in dem barockisierten ehemaligen Kleinkastell des Römerlagers Castra Augustiana in der Stadt an der Traisenmündung eine wahrhaft würdige Heimstatt gefunden hat.

Entdeckt wurden die römischen Exponate bei seit 1985 systematisch durchgeführten Grabungen auf einer als Burgstall bezeichneten Anhöhe bei Muschau. Aus den gut datierbaren Funden ist zu schließen, daß sich dort eine während des zweiten Markomannenkrieges (177 bis 180) angelegte römische Wallanlage mit Graben befand, in der die in Vindobo-na (Wien) stationierte zehnte Legion Quartier genommen hatte. Zu den wertvollsten Dokumenten, die den Vorstoß der römischen Truppen unter Marc Aurel weit hinter den Limes belegen, gehören neben einer sogenannten bronzenen Phalaere, einer hohen militärischen Auszeichnung, das Fragment eines silbernen Schuppenpanzers sowie eine Verbindungsplatte eines bronzenen Panzers mit einer Inschrift und dem Relief des Dioskuren Kastor, dem mythologischen Rossebändiger.

Die eigentliche Sensation aber bilden die ausgestellten Grabbeigaben aus der ursprünglich mit Holz verschalten Grabkammer, die nur durch Zufall entdeckt worden ist. Im Oktober 1988 fuhr nämlich im Zuge des Straßenbaues ein Bagger in die Schottergrube in der Nähe des Burgstalles und förderte neben Schotter und Sand auch alte Metallgegenstände zutage.

Der von den ungewöhnlichen Bergungen in Kenntnis gesetzte Archäologe des Bezirksmuseums Nikolsburg, Jaroslav Peska, identifizierte die Objekte als Schüsseln« Eimer und Fragmente eines Klapptisches und eines Feuerblocks und die Schottergrube zumindest in bestimmten Abschnitten als ,.Nachfolger" einer zerstörten sechs mal vier mal drei Meter großen Gruft. Peska begann deshalb sofort mit den bis 1989 dauernden archäologischen Untersuchungen.

Mit der Auswertung der zum Teil aus dem Beginn des ersten Jahrhunderts nach Christus, zum Teil aus dem späten zweiten Jahrhundert nach Christus stammenden Grabausstattung sowie den Skelettresten von zwei männlichen Leichen im Alter von vierzig bis sechzig Jahren befaßte sich aufgrund ihrer historisch außerordent liehen Bedeutung ein internationales Team unter der Leitung des Direktors des Archäologischen Instituts der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Brünn (Brno), Jaroslav Tejral. Die trotz antiker Beraubung 200 erhalten gebliebenen Gegenstände aus Edelmetall, Bronze, Eisen, Glas und Keramik wurden (und werden) in den Werkstätten des römisch-germanischen Zentralmuseums in Mainz, des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien und des Akademieinstituts in Brünn restauriert. Sie verraten, daß es sich bei den Beigesetzten um gesellschaftlich hochstehende Sueben (Sweben) aus dem Stamm der Markomannen handelt, die in einem Zeitabstand von mehr als 150 Jahren beigesetzt worden sind und sich offensichtlich der Gunst Roms erfreut haben.

Aus dem Raum um den Main in das Gebiet Böhmens waren die Markomannen unter König Marobud nach der Schlacht vom Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Christus gekommen, ungefähr zur gleichen Zeit also, da auch die mit ihnen verwandten Qua-den, Langobarden und Obier nach Süden zogen. Die Markomannen ließen sich nördlich der mittleren Donau, dem heutigen Niederösterreich, der Südwest-Slowakei und Mähren, nieder. Die Römer befestigten daraufhin nicht nur ihre Grenze am rechten Donauufer. Sie versuchten zumal bei den Markomannen und benachbarten Quaden Klientelkönigtümer einzurichten, indem sie ihnen gemäße Fürsten zu Königen erhoben.

Die Toten von Muschau zählten offensichtlich zu solchen sich prorömisch verhaltenden Königen, die ihrer Politik entsprechend honoriert wurden. Aus ihrer Grabausstattung ist abzulesen, daß sie bis zu einem gewissen Grad an typischen Funeral-sitten des germanischen Adels festhielten, sich aber ebenso mit römisehen Luxusgütern umgaben und Bräuche provinzialrömischer Würdenträgerannahmen. So lagen, wie in Traismauer außerdem in einer Rekonstruktion derGrabkammer ersichtlich ist, neben den Toten die Utensilien beider Kulturen: sowohl aus dänischen und norddeutschen Brandgräbern bekannte große Bronzekessel und Waffen, wie sie Anführer von Kriegsgefolgschaften trugen, als auch ein eiserner Feuerblock, ein Klapptisch und eine zweiflammige Lampe.

Darüber hinaus berichteten die nach nahezu 2.000Jahren wieder ans Licht gebrachten Tierknochen, was trauernde Hinterbliebene den Bestatteten von der Totenfeier übrigließen: die Hälfte eines kopflosen Kalbes, ein Spanferkel, eine Gans und ein Haushuhn sowie Schafe und Ziegen. Nicht einmal die Reste eines Biberschwanzes und eine Bärenkralle fehlten.

Die schönste Grabbeigabe - zweifellos eine in Italien angefertigte Auftragsarbeit - stellt jedoch einer der beiden Bronzekessel dar, über dessen vier bronzenen Ringgriffen je eine Büste eines bärtigen Germanen mit Suebenlocke montiert ist.

Die Ausstellung bleibt bis 10. November in Traismauer.

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