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Rote, schwarze Genossen

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„Regierungsklausur beschließt Sozialpaket“, „Häuser für höheres Karenzgeld“, „Mock gab Startschuß zum Sozialplan der ÖVP“ — das sind nur einige der vielen Überschriften aus Zeitungen der letzten Wochen. Blätter aller politischen Schattierungen sind täglich voll von Berichten und Kommentaren, ja selbst im Boulevardblatt „Kronen-Zeitung“ sinnierte vor kurzem der Kolumnist Nimmerrichter („Staberl“) eher unfreundlich über die ÖVP-Vorstellungen zu diesem Thema unter der Überschritt „Zurück zum Mütterorden“.

Freilich unterscheiden sich die Konzepte der beiden Großparteien, und das schon, was den Zeitplan ihrer Veröffentlichung betrifft. Hatte die SPÖ-Regierung anfangs September, gerade recht zum offiziellen Wahlkampfauftakt in Wien und Oberösterreich für Landtags- und Gemeinderatswahlen am 21. Oktober, ihr „Sozialpaket“ beschlossen, so kommt der von der ÖVP seit langem angekündigte „Plan 2 für Lebensqualität“ vorerst nur bruchstückweise zum Vorschein. Besonders der ÖAAB dürfte sich hier nicht an die Strategie der Bundesparteileitung halten, die erst nach den Oktoberwahlen mit dem ganzen Konzept herauskommen will; weil es innerhalb der Volkspartei natürlicherweise vor allem die Aufgabe des ÖAAB ist, sich um die sozialen Belange zu kümmern.

So beginnt allerseits ein fröhliches Lizitieren, bei dem die Wirtschaft vorerst noch mit einem scheelen Auge zusieht. Lediglich die vom Vizekanzler als Gesetzentwurf angekündigte Angleichung der Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfälle an das System der Angestellten hat zu scharfen Diskussionen geführt. Häuser tritt dafür ein, daß einem Arbeiter im Falle einer Erkrankung vom Arbeitgeber der Lohn bereits nach 14tägiger Zugehörigkeit zum Betrieb bis zu einer Dauer von vier Wochen weiter ausbezahlt wird. Dafür soll der Unternehmer weniger Krankenversicherung entrichten, da ja in einem solchen Fall den Krankenkassen Ersparnisse entstehen. Auf der Gegenseite steht vor allem die Bundeskammer, die sich nicht gegen die Lohnfortzahlung an sich wendet — weil man dort erkannt hat, daß die Gewerkschafter und mit ihnen der Sozialminister, der ja selbst Gewerkschafter ist, nicht davon abzubringen sind —, sondern nur ein anderes System der Finanzierung verwendet sehen will. Es ist dies die sogenannte „Versicherungslösung“, die man am ehesten mit einem Fonds vergleichen könnte, in den eine bestimmte Anzahl von Unternehmern einzahlt. Der Fonds bestreitet dann die Ausgaben aus der Lohnfortzahlung, so daß dem einzelnen Arbeitgeber nicht plötzlich bei möglichen hohen Ausfallsquoten alle Reserven in die Lohnfortzahlung fließen. Die Diskussion wird von den Sozialpartnern mit aller Härte geführt, wer dabei „gewinnt“, ist nicht abzusehen.

Das zweite große Sozialkapitel, das beide Großparteien aufgeschlagen haben, ist die Familienpolitik. Hier wird die Sache weitaus komplizierter, da die Staatsfinanzen dabei mitspielen müssen. Die Sozialisten wollen zunächst das Karenzurlaubsgeld — wie es bei der Regierungsklausur am 5. September bereits hieß, „um ein beträchtliches“ — erhöhen, um es auch ledigen Müttern zu ermöglichen, ein Jahr lang bei ihrem Neugeborenen zu bleiben. Das soll wohl immer noch eine der Kompensationsmaßnahmen für die Liberalisierung der Abtreibungsbestimmungen sein. Sagte doch Bundeskanzler Kreisky selbst einmal sinngemäß, die SPÖ müsse nun unter Beweis stellen, daß sie an einer gesunden Bevölkerungsstruktur interessiert sei, daß sie keine „Abtreiberpartei“

sei. Der Finanzminister wiederum will die steuerlichen Vergünstigungen für Kinder, die mit Jahresbeginn in Kraft getreten sind, auch jenen zukommen lassen, die jetzt so wenig Steuern zahlen, daß sie von der Absetzmöglichkeit keinen Gebrauch machen können.

In der ÖVP will man vor allem die Mittel des Familienlastenausgleichs-fonds besser als bisher ausgenützt wissen. Hier soll nach den Berechnungen der Volkspartei ja noch etwa eine Milliarde jährlich zu holen sein. An das sozialistische Argument, während der ÖVP-Alleinregierung in der Zeit zwischen 1966 und 1970 seien Überschußmittel aus dem Familienfonds für andere Zwecke verwendet worden, hat man sich in der Volkspartei offensichtlich bereits gewöhnt. So soll denn nach den Vorstellungen der ÖVP-Familienpolitiker aus diesen Mitteln allen Müttern, berufstätig oder nicht, wenn sie zwei Kinder haben, wovon eines noch unter sechs Jahren ist, eine monatliche Prämie von 500 Schilling ausbezahlt werden. Und ein anderer Plan spricht davon, die Karenzzeit von einem auf drei Jahre auszudehnen. Was da wohl der Wirtschaftsbund dazu sagt und wie sich das wohl mit dem vom ÖAAB zeitweise vehement geforderten Teilzeitbeschäftigungsgesetz, das ja vor allem für Frauen gelten und der Wirtschaft nach den Argumenten des Arbeitnehmerverbandes viele bisher ungenützte Arbeitskräftereserven zuführen soll, verträgt?

Die ebenfalls vom Arbeiter- und Angestelltenbund präsentierte Idee eines vierwöchigen Mindesturlaubes statt einer weiteren Etappe der Arbeitszeitverkürzung nach 1975, wenn generell die 40-Stunden-Woche in Kraft ist, wurde ja inzwischen sogar schon vom ÖGB-Präsidenten Anton Benya vom Tisch gewischt. Der gewiegte Wirtschaftspraktiker Benya mußte den „schwarzen Genossen“, wie der ÖAAB oft genannt wird, vorrechnen, was die Wirtschaft verkraftet und was nicht.

Wenn man aber die anderen Forderungen und Projekte betrachtet, sollte man eines nicht aus den Augen verlleren: eines der Hauptanliegen jeder Partei ist es, ihre Einfluß- (um nicht zu sagen, Macht-)sphäre zu vergrößern. Dies kann nur bei Wahlen geschehen. Wahlen stehen vor der Tür, zumindest für 40 Prozent der Österreicher in Wien und Oberösterreich. Versprechen kann man also leicht möglichst viel. Hinterher zahlt es nämlich sicher nicht irgendwer, sondern über Umwege der Wähler selbst.

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