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Rotes Licht am Amazonas

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Auf der Suche nach Farmland brennen sich seit Jahren Siedler durch den Regenwald. Dabei eignet sich das „Neuland“ gar nicht besonders für die Landwirtschaft.

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Auf der Suche nach Farmland brennen sich seit Jahren Siedler durch den Regenwald. Dabei eignet sich das „Neuland“ gar nicht besonders für die Landwirtschaft.

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Der tropische Regenwald am Amazonas, eines der größten Naturwunder, wird in absehbarer Zeit von der Landkarte verschwinden - wenn nicht bald etwas geschieht.

Ermuntert von wahnwitzigen Regierungsprojekten brennt sich seit Jahren eine ganze Armee von Siedlern auf der Suche nach Farmland kreuz und quer durch den tropischen Urwald. Zurück bleiben brandgerodete Gebiete voll Asche und Staub.

Auf diesen Flächen werden für zwei bis drei Jahre Soja, Mais und

ähnliches angebaut. Nach einigen Ernten ist der Boden jedoch ausgelaugt und wird vom tropischen Regen weggespült. Die Verwüstung nimmt ihren Lauf.

Brasiliens Staatschef Jose Sarney beklagt zwar wortreich die „räuberische Entwicklung“, ob aber entsprechende Taten folgen werden, bleibt fraglich. Außerdem verstehen die Brasilianer gar nicht, warum gerade Nordamerikaner und Europäer — die ihre eigenen großen Wälder schon längst gerodet haben — sie von der „Entwicklung“ ihres eigenen Landes abhalten wollen.

Dabei kann von Entwicklung am Amazonas keine Rede sein. Eine ungestüme und chaotische Zerstörung charakterisiert den brasilianischen Umgang mit seinen noch unberührten Gebieten. Nur fünf Prozent der gerodeten Bäume werden beispielsweise als Nutzholz verwendet, der Rest wird einfach verbrannt oder verrottet.

Brasilianische Wissenschafter erkannten bei der Auswertung von Satellitenbildern nicht weniger als 6.000 Brandherde an einem einzigen Tag! Gleichzeitig lassen Tausende Goldsucher hochgiftiges Quecksilber — etwa 40 Tonnen pro Jahr — bei ihrer Arbeit in die Flüsse. Die Giftrückstände finden schließlich ihren Weg bis in die Nahrungsmittel der Menschen.

Tropische Wälder regeln ihren Nährstoffgehalt zwischen Baumkrone und Wurzelsystem selbständig. Trotz des üppigen Pflanzenwuchses bleibt aber der Boden nährstoffarm und eignet sich schlecht für eine spätere Bebauung. Selbst die weitverbreitete Nutzung durch Viehwirtschaft kann nur dank staatlicher Unter-

Stützung und Steuerfreiheit überleben.

Diese Wälder geben viel Feuchtigkeit ab und können auch viel Niederschlag absorbieren. Verschwindet nun ein Großteil der Amazonaswälder, so ist in feuchten Jahreszeiten mit verheerenden Überschwemmungen zu rechnen, in trockenen Monaten dagegen verwandelt sich der einstige Urwaldboden in staubige Wüstenregion.

Die Ureinwohner des Kontinents sind zu Fremden in ihrem eigenen Land geworden. Die sogenannten Amerindians, die noch in den Wäldern leben und wirtschaften, sind Lehrmeister im Umgang mit der Natur. Statt von den Indianern zu lernen, unternimmt die brasilianische Regierung alles, um sie ihren Vorstellungen und Gesetzen zu unterwerfen. Beptupup, ein Medizinmann der Kaiapö-Indianer, erklärte noch kürzlich einem westlichen Journalisten, daß „er schon zu alt sei, um den weißen Mann noch zu verstehen“.

Dabei besitzt Brasilien eine Unmenge an Gesetzen und Verordnungen, die die Indianer und ihre Wälder schützen sollen. Jose Sarneys Erklärungen sind aber bis jetzt nur weitere schöne Worte, woran es in Brasilien noch nie gefehlt hat.

Erst kürzlich warf Umweltminister Roberto Messias Franco das Handtuch und verließ frustriert sein Amt, weil ihm „die Regierung den Teppich unter den Füßen weggezogen hat“. Ähnlich reagiert auch der Leiter des brasilianischen Forstministeriums,

Antonio Jose Guimaraes. Ihm fehlt es vor allem an Geld, ausgebildeten Leuten und Hubschraubern, um die Wälder wirksam zu schützen.

Die Amazonaswälder, die die Ursprungsheimat eines Fünftels aller Pflanzen und Tiere der Erde sind (siehe Seite 8), erleiden gegenwärtig eine unvorstellbare Katastrophe — und alles ohne langfristigen wirtschaftlichen Nutzen für die breite Masse der angesiedelten Bevölkerung.

170.000 Brände

Vergangenes Jahr vernichteten Siedler mit nicht weniger als 170.000 Brandherden die westlichen Amazonasgebiete. Präsident Sarney meint dazu, daß diese Feuer ein „rotes Licht“ für ihn seien, das ihn aufwachen ließe. Die systematische Zerstörung des tropischen Regenwaldes ist aber kein bloßes rotes Licht mehr, es ist bereits ein ökologisches Inferno.

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