7060903-1991_36_05.jpg
Digital In Arbeit

Rückgang der Bedrohungsängste

19451960198020002020

Trotz der Ereignisse am Golf, in Jugoslawien und in der Sowjetunion werden militärische Organisationen immer häufiger verkleinert, geringer dotiert und weniger geschätzt. Da die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen unmittelbar mit ihren Bedrohungsvorstellungen zusammenhängen, muß die Zeit nach den aktuellen Krisen bedacht werden.

19451960198020002020

Trotz der Ereignisse am Golf, in Jugoslawien und in der Sowjetunion werden militärische Organisationen immer häufiger verkleinert, geringer dotiert und weniger geschätzt. Da die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen unmittelbar mit ihren Bedrohungsvorstellungen zusammenhängen, muß die Zeit nach den aktuellen Krisen bedacht werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Indiz für den Rückgang militärischer Bedrohungsängste noch vor dem Ende des Kalten Krieges war die abnehmende Bedeutung der Landesverteidigung im Kanon der politischen Prioritäten der Österreicher. Zwischen 1987 und Anfang 1989 rangierte die Forderung nach einer Verstärkung der Landesverteidigung unter 24 politischen Zielen an letzter Stelle. Wenn dann die Verteidigung unter acht möglichen Budgetwünschen der Österreicher mit deutlichem Abstand hinter dem Kulturbereich am letzten Platz landete, kann dieser Befund keine Überraschung mehr sein. Daß äußere beziehungsweise militärische Sicherheit auch in den meisten anderen westeuropäischen Ländern am Ende der politischen Dringlichkeitsliste und damit folgerichtig auch der öffentlichen Finanzierungsbereitschaft aufschien, ist für die betroffenen Institutionen ein schwacher Trost, aber dennoch ein politisch wirksamer sozialer Tatbestand.

Einige dieser politischen Effekte, zum Beispiel Legitimationsprobleme militärischer Organisationen oder Tendenzen einer Desintegration zwischen Armeen und Gesellschaften, wirken bereits seit Jahren und wurden vielfach beschrieben. Zur Ankündigung beziehungsweise zum (Teil-)Vollzug von Reduktionen militärischer Potentiale und budgetären Aufwendungen kam es jedoch wesentlich erst infolge der einschneidenden weltpolitischen Zeitenwende unserer Tage.

Das Beklagen eines „Bedrohungsverlustes" oder das Herbeireden unwahrscheinlicher militärischer Bedrohungsszenarien führt zwangsläufig zur Unglaubwürdigkeit. In der Öffentlichkeit wird weniger Bedrohung als Sicherheitsgewinn empfunden und eine entsprechende Politik als erfolgreich und fortsetzungswürdig erachtet. Nicht überzeugend wirkt die Abwertung der deklarierten guten Absichten früherer potentieller „Gegner", weil eine solche Vorsicht der Logik entbehrt - hat man doch früher die unterstellten schlechten Absichten sicherheitshalber überbewertet, um eigene Verteidigungsanstrengungen zu rechtfertigen.

Die bloße Fixierung auf zähl- und meßbare militärische Potentiale wäre ohnehin eine unpolitische, unhistorische Methode, weil das Zählen nur vor dem Hintergrund eines Freund/ Feind-Schemas und der Unterstellung dieser oder jener Absicht Sinn macht.

Zu den wesenüichsten empirischen Befunden über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Österreichs zählen das seit 1988 abnehmende „Bestätigungs-Ja" zum Bundesheer sowie die Tatsache, daß sich nur rund ein Drittel der Österreicher ohne Bundesheer unsicherer fühlte. Wenn für eine stabile Mehrheit die Abwesenheit von Streitkräften keinen Unterschied hinsichtlich ihres Sicherheitsgefühles macht, dann stünde das österreichische Bundesheer allerdings trotz Jugoslawien längerfristig vor Legitimationsproblemen, denen mit bloßer Reformkosmetik nicht beizukommen ist.

Zum Desintegrationsprozeß zwischen Heer und Gesellschaft, zum Sicherheitsverständnis sowie zum geschilderten „Bedrohungsverlust" kommen noch andere Trends hinzu: - Ein rasch fortschreitender „Zivilisierungsprozeß" mit weiteren Bedeutungseinbußen für Militärisches: so wird zum Beispiel die gesellschaftliche Leistung der Zivildiener jener der Präsenzdiener mindestens gleichgestellt, zum Teil bereits höher eingeschätzt.

- Bezüglich des erwünschten Wehrsystems nähern sich die Präferenzen für Wehrpflicht beziehungsweise für das Prinzip der Freiwilligkeit (Berufsheer) an. Nicht die Dauer des Wehrdienstes, sondern die Wehrpflicht als solche dürfte im Zuge der Fortentwicklung zum nächsten Hauptthema der Kontroverse um das Bundesheer werden.

Insgesamt ist aus einer Vielzahl von empirischen Materialien eine „Drittel-Konstellation" im Meinungsbild der Österreicher zu ihrem Bundesheer festzustellen: Je ein Drittel der Bevölkerung steht positiv, gleichgültig beziehungsweise skeptisch bis ablehnend zum Heer, was im Falle einer künftigen Abschaffungs-Initiative wenigstens ein „Schweizer-Ergebnis" erwarten ließe.

Ob das Heer gesellschaftlich isoliert wird oder sich aus Mißmut Uber eigenen Wichtigkeitsverlust in den Schmollwinkel der Selbstisolation begibt, ist im Hinblick auf eine künftige Verbesserung der zivil-militärischen Beziehungen ziemlich unerheblich, muß doch stets die Institution auf die sich unaufhaltsam wandelnde Gesellschaft zugehen und nicht umgekehrt.

Ewige Gültigkeitsgarantien waren nie zu haben, sonst gäbe es zum Beispiel heute noch Kriegsministerien, aber keine Umweltministerien. Bei der grundsätzlich unvermeidlichen und auch notwendigen Konfliktaüstragung muß bedacht werden, daß sich der Umgang der Gesellschaft mit ihren Streitkräften nicht zuletzt auch aus dem Umgang der Streitkräfte mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt.

Zwar fand in letzter Zeit mit Ausnahme der ehemaligen DDR nirgendwo eine Armee-Abschaffung statt, doch muß man gerade in Österreich -Beispiel Zwentendorf - von der politischen Unberechenbarkeit eines Plebiszits ausgehen.

Sollte nur die eigene Bestandsgarantie im Mittelpunkt der Argumentation des Heeres stehen, dann muß die Sinnfrage hinreichend beantwortet werden; es bestünde sonst die Möglichkeit, daß Reformüberlegungen und -maßnahmen nicht wirklich ernst genommen und lediglich als Vehikel im Sinne der Bestandsgarantie bewertet werden. Die Sozialverträglichkeit einer Institution bemißt sich auch nach ihren eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Leistungen. Pflegt sie dabei Werte, Normen und Ideen, die nur mehr ihre eigenen Mitglieder zu überzeugen vermögen, ist die Isolation unausweichlich.

Es wäre natürlich ein naiver Irrtum anzunehmen, daß mit der Neubewertung traditioneller militärischer Bedrohungen aus der als überwunden geltenden Ost/West-B ipolaritat sich die öffentlichen Bedrohungswahrnehmungen überhaupt verflüchtigt hätten, um einer unbekümmerten Sorglosigkeit Platz zu machen. Das Gegenteil ist der Fall.

Mit dem Ende des Kalten Krieges treten neue Ängste in den Vordergrund, für die es noch keine allgemein akzeptierten ,3ewältigungsformeln" gibt.

Zunächst hatte die weltpolitische Entwicklung die Kriegsängste weit-

nuiimcic Dcuiviiuiig jugvsianrei gehend beseitigt und einer breiten Stimmung des „Friedensoptimismus" Raum gegeben. Die Rolle des Bundesheeres wurde in Frage gestellt, wobei diesbezügliche Einstellungen nicht mehr vom persönlichen Gefährdungsbild, sondern von gesellschaftspolitischen Wertemustern geprägt waren. Gleichzeitig entstand durch neue Angstbereiche ein diffuses Gefährdungsgefühl, freilich noch ohne klare „Gefährdungsbilder". Nach ihrer Wichtigkeit gereiht, sind das folgende Bereiche:

- Umweltkatastrophen

- Strukturwandel/Wirtschaftswettlauf

- Armuts-Länder/Dritte Welt

- Instabilität in Europa

- Innere Instabilität

An „klassische" Kriege wird dabei nicht gedacht. Auch ist die Gedankenverbindung der neueren Unsicherheitsgefühle mit dem Bundesheer schwach. Man zeigt sich wenig geneigt, neuen Herausforderungen mit alten Mitteln zu begegnen. Allerdings nimmt die Bejahung anderer Ord-nungs- und Durchsetzungskräfte (Polizei, Grenzkontrolle) stärker zu.

Nach Ernst Gehmacher könnte ein übersteigerter „Wehrwille" gegenüber den neuen, diffusen Gefährdungen eine Bedrohung der zivilen Gesellschaft bis hin zur „Implosion" der modernen Demokratie mit sich bringen. Gefragt seien daher sicherheitspolitische Denker, die unter anderem

- realistische Gefährdungsbilder glaubhaft definieren;

- Bewußtsein für objektive Gefährdungen verbreiten;

- Konzepte für Sicherheit mit klarer Kompetenzzuweisung schaffen;

- zum Sicherheitsengagement ohne „Feindbilder" erziehen.

Militärwissenschaftler machen auf zwei mögliche negative Tendenzen in einer Zeit des Überganges aufmerksam: Einmal eine Militarisierung und beschleunigte Professionalisierung des Militärs unter dem Motto „Werft das Volk aus der Armee!", zum anderen eine Mobilisierung des Volkes gegen die Streitkräfte mit dem Argument fehlender Bedrohung - und damit neuerlich Verstärkung von Tendenzen militärischer Professionalisierung und Eigenbrötelei. Beide Aspekte verweisen auf die These von der Verfügbarkeit der Wehrpflicht, wenn auch von verschiedenen Seiten. Das ist ein eminent politisches, kein militärisches Thema.

Weil das gesamte Problem der Sicherheit nicht mehr nationalstaatlich, aber dennoch politisch begriffen werden muß, wird Landesverteidigung von der umfassenden Sicherung der Lebensgrundlagen überlagert; eine Aufgabe, der das Militär keines demokratischen Staates allein gewachsen ist. Seinen eigenen Beitrag kann es nur im Dialog mit der Gesellschaft und ihrem sich wandelnden Sicherheitsbewußtsein leisten - und mit dem eigenen Selbstverständnis, Auftragnehmer zu sein.

Der Autor ist Lektor für Politikwissenschaft der Universität Wien und Mitarbeiter der Landesverteidigungsakademie. Ein Beitrag zum Thema erschien bereits in FURCHE 34/1991.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung