6921883-1981_47_17.jpg
Digital In Arbeit

Rückgriff auf Werte

19451960198020002020

„Innere Schulreform“ in einer Reihe von Tagungen zu erörtern, verlangt Besinnung auf das Wesen der Bildung des Menschen. Mit der Frage nach den Zielen ist die Erörterung der Wert- und Normproblematik gegeben.

19451960198020002020

„Innere Schulreform“ in einer Reihe von Tagungen zu erörtern, verlangt Besinnung auf das Wesen der Bildung des Menschen. Mit der Frage nach den Zielen ist die Erörterung der Wert- und Normproblematik gegeben.

Werbung
Werbung
Werbung

Kürzlich fand in Salzburg das zweite Symposion zu Problemen einer „inneren Schulreform“ statt, das vom Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften — Institut für Medienpädagogik, unter der Leitung von Univ.-Prof. Marian Heitger, Ordinarius für Pädagogik und Vorstand des Institutes für Erziehungswissenschaften der Universität Wien, veranstaltet wurde.

Ein bezeichnender Impuls zum Verständnis der Problematik ging von Univ.-Prof. Heinrich Schneider aus. Er schloß mit einem ersten Wunsch: „Fragen wir, wenn wir die Zukunft in Schule

und Büdungspolitik überlegen, nicht: Was wird passieren? sondern: Was kann ich tun?“

Im Anschluß an ein Wort von Carl Friedrich von Weizsäcker, nach dem wertorientierte Gesellschaften kaum Zukunftschancen hätten, sondern nur wahrheitsorientierte Gesellschaften, hatte Schneider in seinem Referat auch den Zusammenhang von Pädagogik und Politik auf gezeigt; einerseits in der Abhängigkeit der Erziehung von politischen Verhältnissen, andererseits in der Tradition seit der Antike.

Univ.-Prof. Norbert Leser setzte diesen Gedankengang in überzeugender Weise fort:

„Der Rückgriff und die Besinnung auf Werte und Normen ist unabdingbar. Eine politische Tugendlehre ist nicht bloß eine Arabeske, sondern ein Essential des politischen Lebens und der sinnvollen Einstellung auf seine Erfordernisse. Die humane und humanistische Bildung stellen wertvolle Ergänzungen des von der politischen Bildung zu vermittelnden Menschen- und Weltverständnisses dar.“

Das Referat von Univ.-Prof. Henning Günther über .JNorm- und Wertproblematik in der Sexualerziehung“ zeigte mit eindrucksvoller Deutlichkeit die Parallelen im Wandel der Einstellung zur Sexualität und jener im sozialen Verhalten auf und thematisierte die Position Herbert Marcuses in Gegensetzung zur christlichen Vorstellung:

„Im Gegenzug gegen eine vor allem katholisch geprägte christliche Auffassung von Sexualität und Geschlechtserziehung ist die emanzipatorische Konzeption entwickelt worden. In radikaler und theoretisch geschlossener Form liegt die emanzipatorische Auffassung bei Herbert Marcuse vor. Schwerpunkte sind unter anderem:

— Freisetzung der Perversionen

— Die Homosexualität ist lustvoller und freier als die Heterosexualität

— Die Selbstverliebtheit (Narzißmus) ist die Erfüllung in der Sexualität, nicht die Gegenseitigkeit

— Das Lustprinzip ist wichtiger als das Realitätsprinzip

— Die befreite Sexualität ist polymorph-pervers

— Voraussetzung für die sexuelle Befreiung ist die Verweiblichung des Mannes

— Die Sexualität ist die wichtigste Dynamik im menschlichen Leben und daher der entscheidende Ansatzpunkt für eine Revolution.

Die katholische Position ist von der Glaubenskongregation in Rom unlängst wieder formuliert worden. Aspekte dieser Auffassung sind:

— Sexualität wird in einem ganzheitlichen Zusammenhang des menschlichen Lebens gesehen und hat einen wichtigen, aber nicht den zentralen Stellenwert

— Der Mensch als geschlechtliches Wesen findet seine angemessene Verwirklichung in der Ehe

— Die Thematisierung von Sexualität, getrennt für sich genommen, z. B. in der Pornographie, den Perversionen, der Selbstbefriedigung, flüchtigen Sexualkontakten wird abgelehnt

— Keuschheit und Reinheit behalten für die christliche Lebensführung einen hohen Stellenwert

— Aus sexueller Triebdynamik entstehende Handlungen sollen verständnisvolle seelsorgliche Hilfe, aber keine Billigung finden.

Verschiedene Wissenschaftler haben aufgrund der nachteiligen Folgen bestimmter sexueller Handlungsweisen Basissätze (Hypothesen) formuliert. Solche Basissätze sind etwa: Die Inzestschranke muß gewahrt bleiben, also ein nichtsexuelles Eltern- Kind-Verhältnis in der Familie.

„Die Wert- und Normenfrage im Lichte der christlichen Philosophie“ behandelte Univ.-Prof. Walter M. Neidl: Christliche Philosophie sieht die Bedeutung von Werten und Normen eigentlich erst begründbar durch das „sum- mum bonum“, das höchste Gute, Gott. Der Verfall des Bewußtseins von der Personalität Gottes bewirkt den Verfall des Norm- und Wertbewußtseins.

Für die Pädagogik stellt sich nach Marian Heitger die Frage, welche Wert- und Normvorstellungen maßgebend sind, woher sie kommen und wie sie sich begründen lassen: „Wenn es der Erziehung um Bildung des Menschen zum Menschen, nicht zu einer systemadäquaten Qualifikation, vorrangig gehen kann, dann muß der Normanspruch mit den Begriffen von Freiheit und Selbstbestimmung zusammen gedacht werden. Normative Ansprüche verweisen auf die absolute Normativität des Gewissens (Johannes Schurr). In ihr erst erhalten Autonomie und Selbstbestimmung, Mündigkeit, Verantwortung und Freiheit für die Pädagogik einen angebbaren positiven Sinn. Pädagogisches Handeln gewinnt dann seine Rechtfertigung im dialogischen Umgang. Behavioristisches Verfügen ist dann ebenso abwertig wie desinteressiertes Gewährenlassen.“ Für die nächsten Tagungen bleibt — im besonderen unter dem Vorsatz der Bemühung um konkrete Nöte der Schule von heute, zum Beispiel der Lehrerbildung oder der Eltern-Lehrer-Schüler-Be- ziehung oder der Notengebung — eine Fülle von Problemen offen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung