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Rückkehr zu den Ikonen

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Im kommunistischen Albanien war alles verdammt: der Geist und die Materie. Um dem Parteikomitee Macht und falsche Autorität zu verleihen, hat die Diktatur christliche Kirchen und Moscheen zerstört, denn sie waren ja Ausdruck des entgegengesetzten Ideals.

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Im kommunistischen Albanien war alles verdammt: der Geist und die Materie. Um dem Parteikomitee Macht und falsche Autorität zu verleihen, hat die Diktatur christliche Kirchen und Moscheen zerstört, denn sie waren ja Ausdruck des entgegengesetzten Ideals.

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An die Stelle Gottes wollte die Ideologie den paranoiden Diktator Enver Hodscha stellen. Auf diese Weise wurden nicht nur die heiligen Mauern, sondern auch die Moral, die Kultur und sogar die Künste zerstört. Die Diktatur hat für viele ihrer Verbrechen die Kirche verantwortlich gemacht. Auch mit falschen Beweismitteln wurde sie zum Feind des Kommunismus erklärt.

Ein Beispiel: Die Schergen des Regimes entdeckten unter dem Fußboden einer Kirche ein Waffenlager. Daraufhin wurden die Priester beschuldigt, ein politisches Komplott zu planen. Vor dem Gericht beteuerten sie ihre Unschuld. „Aber die Fakten klagen euch an!", schrie der Richter und verkündete die Todesstrafe. Daraufhin meldete sich ein Polizeioffizier zu Wort. „Wir haben die Waffen in der Kirche versteckt. Die Priester sind unschuldig." Damit hatte der mutige Zeuge sein Leben verwirkt.

Wo Menschenleben nichts wert waren, fielen erst recht die Symbole des Glaubens der Zerstörung zum Opfer. Viele Gebetbücher und einzigartige Ikonen wurden verbrannt. Jedoch nicht sämtliche Werke der berühmten mittelalterlichen Maler wie Onufri, Shpataraku, David Sele-nicasi. Um die Kunstwerke vor den vielen Invasoren in den vergangenen Jahrhunderten und zuletzt vor den Kommunisten zu schützen, wurden viele durch wertlose Kopien ersetzt.

In den Städten verwandelten sich Kirchen und Moscheen in Kinos und Versammlungsräume; am Land dienten sie als Getreidespeicher und Lagerräume. Viele Menschen aber beteten im geheimen und küßten die geweihten Plätze im Dunkel der Nacht.

Die Alten versuchten sich der Wut der jungen Revolutionäre entgegenzustellen: „Hört auf! Vergeßt Gott nicht...!" Und sie wurden inhaftiert, so wie die Priester erschossen oder zu schweren Arbeiten gezwungen. Als ein einfaches Zeichen des Protestes behielten viele Alte ihre langen Barte, die genauso wie Koteletten im kommunistischen Albanien verboten waren.

Viele Priester starben in den Gefängnissen. Auch ich habe einige dort kennengelernt: still, engelgleich, mutig, mit leuchtendem Gesicht wie die Ikonen in der Finsternis. Ich erinnere mich an Pater Zef Hardhia-Si-mone. Er erwartete mich oft bei der Rückkehr vom Bergwerk, um über den Glauben und die Religion zu diskutieren. Wenn sich ein Polizist oder ein mutmaßlicher Spion näherte, wechselten wir das Thema. Oder Imam Sabri Koci: hoch und schlank wie ein Minarett. Er arbeitete im Gefängnis als Installateur und verharrte in freiwilligem Schweigen.

Geheim wurden alle religiösen Feste gefeiert. Die Priester verteilten geweihtes Brot an die Freunde. Den ständig anwesenden Wärtern sagten wir, daß ein Geburtstag gefeiert werde.

In den Päckchen von Nahrungsmitteln und Kleidern, die uns Familienangehörige brachten, waren oft Kerzen versteckt: Symbole der im Geist unauslöschlichen Flamme. Einer unserer großen Dichter, Naim Frasheri, schreibt: „Feja s'eshte ne karte e shkruar, por brenda ne kraheruar!" („Der Glaube ist nicht etwas auf Papier Geschriebens, sondern lebt im Herzen der Menschen!").

Langer Leidensweg

Wir beteten immer zu Gott und riefen ihn an: Bei der Sklavenarbeit im finsteren Inferno der Pyritmine und in den Baracken, wo wir, in alte zerrissene Decken eingewickelt, schliefen. Vielleicht ähnelten wir dem gekreuzigten Christus: abgemagert und leidend wie er. Die Wunden auf Händen und Füßen erinnerten an seine Wundmale. Unser Leidensweg war lang und schmerzvoll, aber am Ende siegte die Freiheit, und das abscheuliche Kreuz des Kommunismus fiel.

Daß ich mit meinem ehemaligen Gefängniskollegen Pater Zef Hard-hia-Simone vergangenes Jahr zufällig im Petersdom in Rom zusammentraf, sagt mir, mit wieviel unsichtbarer Kraft die Religion den einzelnen stärkt und ihm Gemeinschaft mit anderen schenkt. Ebenso bewegend war der Besuch im Römischen Büro des Präsidenten der islamischen Union für den Westen, des Albaners und ehemaligen politischen Dissidenten Mentor Cioku. Dort bewunderte ich eine Fotografie, die Cioku bei einem freundschaftlichen Treffen mit dem Papst zeigt. „Aber Sie - fragte ich -sind doch Moslem?" Lächelnd antwortete er: „Gott ist eins für alle und die Menschen sind frei, ihn in verschiedenen Formen anzubeten."

Heute geschieht in Albanien etwas ganz Wunderbares: Moslems und Katholiken helfen sich gegenseitig beim Aufbau der Gotteshäuser. Und sie beten gemeinsam. Nach dem Tod Hodschas 1985 wurde die erste katholische Messe aus Sicherheitsgründen in einem moslemischen Haus in Skutari gefeiert.

Der Glauben an Gott vereint uns heute so, wie uns die Diktatur einst trennte. In der knisternden Herdflam-me sehen wir von neuem unsere verbrannten Ikonen.

Vishar Zhiti, 1952 in Durazzo geboren, Lehrerausbildung, von 1979 bis 1987 wegen „regimefeindlicher" Gedichte in Haft im berüchtigten Arbeitslager Spac, Journalist bei der Tageszeitung „Rilindja Demokratike" („Demokratische Wiedergeburt"), lebt und arbeitet seit 1991 als Journalist in Italien, ein Gedichtband erscheint demnächst in Albanien.

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