Rückmarsch in den Vormärz?
Wenn in weiteren Kreisen und besonders in den Massenmedien von Hochschulreform die Rede ist, tauchen fast unvermeidlich als Symbol angeblicher mitteltalterlicher Rückständigkeit und akademischer Verzopftheit die Professorentalare auf, unter denen nach dem Slogan des publicitywirksamen Lausbubenstreichs bei einer Rektorsinauguration in Hamburg „der Muff von tausend Jahren“ schlummern soll. So hat etwa soeben eine österreichische Tageszeitung einen großen Artikel, in dem zutreffend die Gefahr hervorgehoben wurde, daß durch das geplante Universitätsorganisationsgesetz, das UOG 1972, „mit dem Zopf der Kopf“ der österreichischen Hochschulen amputiert werde, die angebliche vergangene „Glanzzeit der Professoren“ mit einem Bild „prachtvoller Talare“ illustriert; wobei das Photo allerdings bezeichnenderweise nicht österreichische Professoren, sondern die Gruppe ausländischer Rektoren vor der Universität Wien beim Festzug anläßlich des 600jährigen Jubiläums im Jahre 1965 zeigt.
Wenn in weiteren Kreisen und besonders in den Massenmedien von Hochschulreform die Rede ist, tauchen fast unvermeidlich als Symbol angeblicher mitteltalterlicher Rückständigkeit und akademischer Verzopftheit die Professorentalare auf, unter denen nach dem Slogan des publicitywirksamen Lausbubenstreichs bei einer Rektorsinauguration in Hamburg „der Muff von tausend Jahren“ schlummern soll. So hat etwa soeben eine österreichische Tageszeitung einen großen Artikel, in dem zutreffend die Gefahr hervorgehoben wurde, daß durch das geplante Universitätsorganisationsgesetz, das UOG 1972, „mit dem Zopf der Kopf“ der österreichischen Hochschulen amputiert werde, die angebliche vergangene „Glanzzeit der Professoren“ mit einem Bild „prachtvoller Talare“ illustriert; wobei das Photo allerdings bezeichnenderweise nicht österreichische Professoren, sondern die Gruppe ausländischer Rektoren vor der Universität Wien beim Festzug anläßlich des 600jährigen Jubiläums im Jahre 1965 zeigt.
Tatsächlich könnte man die Talare durchaus als Symbole gerade der eigentümlichen österreichischen Verspätung auch der jetzt geplanten „Hochschulreform“ ansehen. Denn in Österreich hat es bis 1965 Professorentalare, wie sie an den deutschen, vor allem aber an den Hohen Schulen der angelsächsischen Länder seit jeher üblich waren, überhaupt nicht gegeben. Sie wurden erst zum Wiener Universitätsjubiläum dank einer großzügigen Spende aus Kreisen der Wirtschaft angeschafft; wie sich bald herausstellen sollte, eine kostspielige Fehlinvestition, da eben schon wenige Jahre später der erwähnte, von Hamburg ausgehende, puritanische Bildersturm gegen alles akademische Zeremoniell einsetzte, dem in der Bundesrepublik wie in Österreich unter anderem auch die feierliche Rektorsinauguration zum Opfer fiel.
Was es in Österreich gab und eigentümlicherweise noch immer gibt, sind die Amtstalare von Rektor, Dekan und Promotor, die bei den feierlichen Promotionen und Spon-sionen getragen werden; ein an sich inkonsequentes Entgegenkommen der Professoren an die Studentenschaft, da diese und vor allem die lieben Verwandten der Jungakademiker auf das feierliche Zeremoniell zum Studienabschluß ebensowenig verzichten wollen, wie auf das (sonst in allen Bereichen zurückgedrängte) ehrwürdige Latein der Promotionsund Sponsionsformel.
Wie also die Professorentalare in Österreich, und zwar auch an den Neugründungen der sechziger Jahre in Salzburg und Linz, gerade erst eingeführt wurden, als man sie an den deutschen Hochschulen bereits einzumotten begann, so soll auch jetzt in Österreich unter dem Schlagwort der „Demokratisierung“ den Hochschulen ein radikales Mitbestimmungsmodell aufgezwungen werden, obwohl sich in der benachbarten Bundesrepublik schon längst die Einsicht durchgesetzt hat, daß diese Modelle in der Praxis nicht funktionieren, sondern zu einem geradezu katastrophalen Niveauverlust und zur Lähmung des Wissenschaftsbetriebs führen; weshalb man in den jüngsten Hochschulgesetzen in Bayern, Saarland und Schleswig-Holstein davon abgekommen ist. Allerdings zeigt der
österreichische Entwurf noch einen besonderen, spezifisch österreichischen, weil in der österreichischen Tradition verwurzelten Charakter in der extrem ausgeprägten Tendenz der Unterdrückung und Gängelung der Freiheit der Wissenschaft durch den Staat, und gerade hier zeigt sich seine besonders gefährliche, tief reaktionäre Tendenz.
„Geräuschpegel“ von links und rechts
Gegen die von allen Seiten lautwerdende Kritik an dem Entwurf haben sich Bundesminister Doktor Herta Firnberg und ihre Mitarbeiter ein auf den ersten Blick ganz plausibel scheinendes Argument zurechtgelegt; wenn Studenten und Professoren gleicherweise mit dem Entwurf unzufrieden seien, so sei dies der beste Beweis dafür, daß der Entwurf eine ausgewogene Mitte der Interessengegensätze halte. Oder, wie es der Sekretär der Frau Minister, Doktor Wolf Frühauf, am Schluß einer umfangreichen Verteidigung des umstrittenen Entwurfs in der „österreichischen Hochschulzeitung“ darlegte: „Beim ,Einflug auf die Hoch-schulreformpiste' ist das Geräusch von links nach rechts zu erwarten. Wenn sich der Geräuschpegel von beiden Seiten etwa die Waage hält, dann sollte man in richtiger Anflugposition liegen, und es dürfte eine glatte Landung im Interesse der Neuordnung unserer Hochschulstrukturen möglich sein.“
Allerdings erweist sich diese Flugschneisentheorie bei näherem Zusehen als kapitaler Trugschluß und Sophismus. Die allgemeine Unzufriedenheit ist nämlich nur das logische Ergebnis der Tatsache, daß der Entwurf sowohl Studenten- wie professorenfeindlich ist. Denn beide Gruppen werden auf Kosten des „lachenden Dritten“, der Ministerial-bürokratie und der hinter ihnen stehenden Parteipolitiker, benachteiligt. Das ist auch keineswegs erstaunlich, wenn man bedenkt, daß in der sechsköpflgen „Expertengruppe“, die den Entwurf ausgearbeitet hat, weder ein Student noch ein Professor aufscheint, wohl aber drei Ministerialbeamte, zwei Parteipolitiker und — gleichsam als dürftiges „akademisches Feigenblatt“ ein Assistent, der sich inzwischen habilitiert hat, der sich also zur Zeit seiner Mitarbeit an dem Entwurf in jenem akademischen Verpuppungsstadium des Übergangs vom Lernenden zum Lehrenden befand, in dem erfahrungsgemäß bei allen, die den steinigen Weg zum akademischen Lehramt beschreiten, die Ressentiments gegenüber der einen Gruppe, zu der man nicht mehr, wie gegenüber der anderen, zu der man noch nicht gehört, am stärksten ausgeprägt sind.
Nur Macht des Ministeriums?
So ist es eben nicht verwunderlich, daß auf der einen Seite die Professoren so ziemlich aller bisher zustehenden Entscheidungsrechte beraubt und zu hilflosen Ausführungsorganen anonymer Monstergremien gemacht werden sollen, wobei der arbeitsrechtliche Schutz den Standard so unterschreitet, daß jede Gewerkschaft nur von Provokation sprechen würde und eine soziale Diskriminierung durch Vermehrung der Pflichten und Beschneidung der Rechte erfolgt; während auf der anderen Seite auch dem Studenten statt eines individuellen Rechtsschutzes ein fiktiver Interessenschutz durch ein nicht transparentes Kollektiv geboten wird, wobei er keine Möglichkeit hat, die studentischen Vertreter in „seinem Institut“ zu wählen, da diese ohne demokratische Legitimierung durch eine Wahl von der Hochschülerschaft entsendet werden. Auch hat der Student keinerlei Gewähr, daß dieser in die Institutskonferenz entsendete studentische Vertreter in einer bestimmten Richtung agiert, denn dieser ist an keine Aufträge gebunden.
Die Macht des Ministeriums aber wird sehr unverhohlen ausgebaut, wobei, etwa in der Berufungspraxis, durch den Entwurf der Abbau demokratischer Mitbestimmungsund Entscheidungsstrukturen des bisherigen Hochschulrechts erfolgen soll. Die Mitbestimmung aber macht ja überhaupt vor den Toren des Ministeriums halt, also gerade dort, wo sie nach den Modellen des heutigen Sozialgefüges als Kontrollfunktion an der obersten Spitze — wie etwa in der Wirtschaft im Aufsichtsrat und in der Mitwirkung der Betriebsräte — sinnvoll wäre. Sehr aufschlußreich ist hier die Tatsache, daß die medizinischen Fakultäten von den Bestimmungen über die „Demokratisierung“ der Institute ausgenommen werden sollen. Denn es ist ja durchaus möglich, daß auch Ministerialbeamte und Parteipolitiker einmal krank werden — und man kann einem Bundesrat oder Ministerialrat, der bereits auf dem Operationstisch liegt, doch nicht zumuten, das Ende einer Diskussion über die „gesellschaftliche Relevanz“ des geplanten Eingriffs abzuwarten.
Bei der Beurteilung “der Bestimmungen über die ominöse „Institutskonferenz“ muß man vor allem bedenken, daß es ja bereits auf der Ebene des Faches die drittelparitätisch zusammengesetzten „Studienkommissionen“ gibt, (bei der „Institutskonferenz“ schwankt der Anteil der Professoren, je nach der Größe des Instituts, zwischen einem Drittel und einem Viertel!), so daß sich die Zahl der Sitzungsstunden, zu denen die Professoren gezwungen werden, geradezu ins Astronomische steigern wird. Wie Prof. Dr. W. E. Petraschek, Leoben, vor kurzem in einem Leserbrief an eine Tageszeitung ausgeführt hat, sind von einigen Hochschulen technischer Richtung Zusammenstellungen gebracht worden, „die je nach Größe der Hochschule einige hundert bis einige tausend Professorensitzungsstunden und Assistentensitzungsstunden allein für die Studienkommission im Jahre 1970 ergeben.“
Die Antwort auf die wichtige Frage, ob sich die Studienkommissionen bewährt haben, kann, wenn man ehrlich ist, weder im eindeutig positiven noch im eindeutig negativen Sinne gegeben werden. In einigen Fächern ist es tatsächlich zur gefürchteten „Konfrontation“ gekommen, dort nämlich, wo, begünstigt durch das weitgehende Des-interessement der überwiegenden Mehrheit der Studenten an dieser Art von Mitbestimmung, kleine radikale Minderheiten, die eingestandenermaßen nicht die Reform, sondern die „Zerschlagung“ der freiheitlichen Hochschule anstreben, sich der Studienkommissionen bemächtigt haben. In anderen Fällen ist hingegen bereits positive Arbeit geleistet worden.
In der Mehrzahl der Studienkommissionen allerdings ist man über langatmige Geschäftsdebatten, Wahl des Vorsitzenden, des Schriftführers, Einsetzung von Subkommissionen usw. noch nicht hinausgekommen. Das alles aber soll nun, um nochmals Prof. Petraschek zu zitieren, „auf die anderen paritätischen Diskussionsgremien erweitert werden — und zwar auch über Themen, für die Studenten und Schreibkräfte nicht zuständig sind, wie die Verteilung der Institutsmittel und die Forschungsprojekte. Was bisher zwanglos in vernünftigen Gesprächen geschah, soll zeitaufwendig verbürokratisiert und damit sterilisiert werden.“
Um die Lehre und ihre Freiheit
Es gehört keine besondere Prophetengabe dazu, um vorauszusagen, daß der Entwurf, wenn es so, wie er vorliegt, zum verbindlichen Gesetz wird, den Tod der wissenschaftlichen Forschung an den österreichischen Hochschulen und zwar allein schon aus zeitlichen Gründen, bedeuten wird. Aber auch der andere Pfeiler unseres Hochschulsystems, die Lehre und ihre Freiheit, ist ernstlich bedroht, einmal durch die übermäßige Einmischung inkompetenter Instanzen, dann aber vor allem, weil ein geprügelter, diskriminierter und deklassierter Lehrer noch nie ein guter Lehrer war — was natürlich auch für den Hochschullehrer gilt. Die Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens bis zur großen Universitätsreform des Grafen Leo Thun-Hohenstein nach 1848 bietet dafür einen ausreichenden Anschauungsunterricht.
Der hochkonservative Graf Thun und seine gelehrten Mitarbeiter Hermann Bonitz und Franz Exner haben vor mehr als einem Jahrhundert das auf dem Gebiet der Hochschulen bis dahin rückständige Österreich durch die Übernahme des Humboldtschen Universitätsmodells aus der Inferiorität erlöst und das Jahrhundert der Blüte österreichischer Wissenschaft heraufgeführt. An der auf diese Weise reformierten Universität hat auch ein Sigmund Freud seine Ausbildung erhalten, so wie dies in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Karl Marx an den von Humboldt reformierten preußischen Universitäten der Fall war. Soll nun ausgerechnet unter der Ägyde einer sich zum humanitären und demokratischen Sozialismus bekennenden Politikerin der Rückmarsch in den Vormärz angetreten, sollen die Hohen Schulen Österreichs wieder in dumpfe lustlose Studierkasernen und Staatsdienerfabriken unter dem übermächtigen Druck der Ministerial-bürokratie verwandelt werden?
Die vielberufenen Talare, angeblich Symbole veralteter, hierarchischer Strukturen im akademischen Bereich, in Wahrheit aber auch Symbole der Hochschulautonomie und der verfassungsmäßig garantierten Freiheit von Forschung und Lehre, sind eingemottet. Eine Anfrage an das Ministerium: wie wäre es, wenn man an ihrer Stelle die vormärzlichen Beamtenuniformen aus der Mottenkiste holte? Sie würden trefflich zum Geist des UOG-Entwurfs 1972 passen.