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Rückzug ins Privatleben

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Am Küniglberg wird eifrig an einem neuen Jugendprogramm gebastelt. Wie soll eine gute Jugendsendung im Zeitalter der Videoclips und Politikverdrossenheit aussehen?

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Am Küniglberg wird eifrig an einem neuen Jugendprogramm gebastelt. Wie soll eine gute Jugendsendung im Zeitalter der Videoclips und Politikverdrossenheit aussehen?

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„Seit dem Ende der 70er Jahre hat sich die Position der Jugendlichen gegenüber gesellschaftlichen Fragen grundlegend verändert. Heute bestimmen der Rückzug in die Privatsphäre und das Mißtrauen gegenüber Autoritäten das Bild.“

Rainer Rosenberg, seit 18. Juni 1987 leitender Redakteur der Jugendredaktion im ORF-Femse- hen, reflektiert die Tendenzen in seinem Zielpublikum.

Ab dem ersten Sonntag im Oktober werden die sich wöchentlich abwechselnden Sendungen „Oh-

ne Maulkorb“ und „Okay“ samt der unabhängig davon ausgestrahlten Hitparade in eine neue’ 95-minütige Sendung übergehen. Durch diese Lösung sollen mehr Regelmäßigkeit und ein stabileres Publikum erreicht werden.

Neu ist auch ein Teil des Personals: Dem nunmehrigen Informationsintendanten Johannes Kunz folgte Trautl Brandstaller als Leiterin der Hauptabteilung „Jugend und Familie“ nach. Diese wiederum holte den früheren Music- Box-Redakteur und Erfinder der „03-Kummernummer“, Rosenberg, auf den Küniglberg.

Doch wie soll nun eine Jugendsendung heute aussehen? Wie kann sie den Veränderungen im Zielpublikum Rechnung tragen?

Rainer Rosenberg: „In der Zeit vor 1974 hatten die Jugendlichen konkrete Anliegen, verfolgten bestimmte Ziele, wollten Veränderungen erreichen. Ein Beispiel für den Umschwung war die Einführung des Schulunterrichtsgesetzes. Das lange Zeit angestrebte Gesetz hat den Schülern schließlich Rechte gegeben.

Doch was ist passiert? Die Lehrer haben es ausgelegt, wie sie es gerade brauchten, und damit ist das Vertrauen in Gesetz und die Veränderbarkeit von Autoritäten gesunken. Wichtig wurde dann die Frage: Wie richte ich es mir selber?“

Tatsächlich haben sich dann viele Jugendliche in die Privatsphäre zurückgezogen, haben jegliches Engagement aufgegeben, ein Trend, der allerorts zu beobachten ist. Auch Rosenbergs Vorgänger, Anton Zettel, stimmt zu: „1968 und seine Nachwirkungen sind nun endgültig vorbei. Für eine Jugendsendung heißt das, daß die Jugendlichen heute eher Kulinarisches wollen, mit Video-Clips als wesentlichem gestalterischen Moment. Was mit ein Grund war, neben .Ohne Maulkorb das eher zeitgeistige ,Okay einzuführen.“

Bei der neuen Sendung soll das gesellschaftliche Anliegen, die Anregung zum Engagement, dennoch nicht zu kurz kommen. Es muß aber auf andere Weise als früher transportiert werden. Dazu Rosenberg: „Die Zeit, wo Sie mit Theorien und Abstraktheit bei den Jugendlichen etwas erreichen konnten, sind vorbei. Der Jugendliche — Zielpublikum ist die Altersklasse zwischen 13 und 17, mit ein paar Jahren auf oder ab — tnuß sich in der Sendung selbst wiederfinden können. Denn ein grundlegendes Interesse an der Welt ist bei allen vorhanden, man darf es ihnen nur nicht vergraulen.“

Zu diesem Zweck sollen aus den Jugendlichen jeweils „Repräsentanten“ für ein bestimmtes Problem in der Sendung zu Wort kommen. Sie sollen Gelegenheit erhalten, ihre Konflikte — etwa mit Autoritäten—vor der Kamera auszutragen. Als Beispiel führt er den Sexualkoffer an: „Wir würden alle Beteiligten einladen, Befürworter, Gegner und Jugendliche. Darüber wird dann diskutiert, und wir überprüfen danach, was sich an Einstellungen im Publikum verändert hat.“

Könnte aber nicht das Problem entstehen, daß kamerascheue Ju-

gendliche einem Politiker dann nur als Publikum für rethorische Schmankerln dienen? „In so einem Fall, also bei der Begegnung mit Politikern, würden wir zuerst die Anliegen der Jugendlichen erkunden und dann die Fragen an die Politiker weitergeben — allerdings durch einen Profi-Interviewer. Wer fragt dann wiederum die Jugendlichen, ob die erzielten Informationen ausreichend waren.“

Dennoch soll nicht der Eindruck entstehen, der ORF sei gleichsam der große Bruder, der alles für die Jugendlichen tut: „Wir wollen motivieren, wollen Träume und Sehnsüchte ernst nehmen. Wir wollen aber keine Illusionen nähren, denn die schwächen.“

Es soll vielmehr eine positive Verstärkung bei Jugendlichen erfolgen, indem gezeigt wird, wie Jugendliche Erfolg haben kön nen, etwas zusammenbringen, sich engagieren. Dies könne immer nur an Einzelbeispielen gezeigt werden. „Freilich darf dies nicht so ausarten, daß man so tut, als könne jeder alles erreichen, wenn er nur will.

Wenn es beispielsweise irgendwo 2000 Bewerber für nur 1800 Arbeitsplätze gibt, dann werden die 200 Schwächsten halt immer unter die Räder kommen“, meint Rosenberg sarkastisch. Doch auch hier will die Jugendredaktion einspringen, mindestens einmal im Monat hinausfahren in Gegenden, wo es Probleme gibt, und auch dort Jugendliche zu Wort kommen lassen. „Wir wollen zeigen, wie es in einer Region ist, die absteigt“, betont der Redakteur engagiert.

Musik soll innerhalb dieser Beiträge nur als dramaturgisches Element eingesetzt werden, den Faden der Handlung aber nicht zerstreuen.

Dennoch scheint der große Anteil an Musik samt dazugehörigen Videos problematisch, müssen nun doch auch die 40 Minuten Hitparade — bisher extern vor der „Maulkorb“- beziehungsweise „Okay“-Sendung gespielt — integriert werden. Soll man denn Jugendliche diesem Überangebot an Hits und Video-Clips mit ihren aggressiven Inhalten aussetzen?

Hier sind sich allerdings Rainer Rosenberg und sein Vorgang ger Zettel einig: Man könne nicht gegen sein Publikum spielen.

Anton Zettel: „Wenn wir die Videos nicht spielen, dann sehen sie sich die Jugendlichen halt im. Sky-Channel an. Wobei wir wenigstens den Vorteil haben, daß wir sie interpretieren können.“

Die neue Sendung soll diese Gratwanderung nach dem Willen ihrer Gestalter stärker ins Auge fassen. Rainer Rosenberg: „Wenn ein Jugendlicher gewisse musikalische Vorlieben hat, dann soll er sie auch bekommen. Andererseits wollen wir uns nicht blindlings an irgendeine Modewelle anhängen. Hier kommt es unheimlich auf Präzision, auf genaue Beobachtung des Publikums an.“

Das Konzept wirkt also durchaus plausibel, man wird abwarten müssen, wieweit es sich bis zum Herbst verwirklichen läßt.

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