7012984-1988_16_05.jpg
Digital In Arbeit

Rüstungsstopp — aber wie ?

19451960198020002020

Seit Jahren kritisieren die Grünen Waffenexporte und -Produktionen. Ihr Ausweg: eine „selbstorganisierte, demokratische Konversionsstrategie“.

19451960198020002020

Seit Jahren kritisieren die Grünen Waffenexporte und -Produktionen. Ihr Ausweg: eine „selbstorganisierte, demokratische Konversionsstrategie“.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Vorwurf hat Methode: Nicht nur Grüne kritisieren seit vielen Jahren spezielle Produktionsformen, seien es umweltzerstörende Industrien, seien es Industrien, die Menschenvernichtungsmaterial erzeugen. Und immer, wenn die Argumente ausgehen, müssen die Arbeitsplätze herhalten. Da beginnen plötzlich jene, die sonst stets die Vorteile der freien Marktwirtschaft preisen, stets von der Veränderungsfähigkeit und der Dynamik dieses Wirtschaftssystems sprechen, das Bestehende zu zementieren. Die Kritiker der Waffenproduktion mögen auf Punkt und Strich

überprüfbare neue marktfähige Erzeugnisse für diesen Standort nennen oder gefälligst den Mund halten und keine Arbeitsplätze gefährden.

Die Polemik ist die Mutter der Politik. Wenn aus ökologischen, sozialen oder ethischen Gründen Änderungen notwendig sind, wird jeder einzelne Arbeitsplatz als Geisel genommen. Dagegen kräht kein Hahn danach, daß etwa allein 1987 rund 9.500 „Arbeitsplätze“ in der Landwirtschaft verlorengegangen sind (zum Vergleich: Mit der Waffenproduktion sind unmittelbar rund 5.000 Menschen befaßt).

Die Vertreter der industrialisierten Landwirtschaftspolitik, ob sie nun bei Raiffeisen, in den Düngemittelfirmen oder bei den Futtermittelimporteuren aus der Dritten Welt sitzen, fühlen sich nicht verpflichtet, jeden einzel-

nen Arbeitsplatz am Bauernhof solange aufrechtzuerhalten, bis ein Ersatz gefunden ist. Im Gegenteil: Mit staatlicher Förderung wird in Tirol gerade ein (in Europa derzeit noch verbotenes) neues Hormonpräparat erzeugt, mit dessen Hilfe die Maschine Kuh zu einer noch größeren Milchproduktion getrieben werden soll. Ein neues Bauernsterben kündigt sich an.

Du sollst nicht töten. Und wohl auch nicht daran verdienen, daß andere töten. In der Golfregion und an vielen anderen Schauplätzen menschlicher Bestialität krepieren Taüsende Menschen. Vergleichsweise reiche Industrienationen „sichern“ damit Arbeitsplätze.

Pecunia non olet. Beim Geldverdienen gibt es keine Moral und keine Ethik. Wenn wir das Geschäft mit dem Tod nicht machen, tun es andere.

Gerade Österreich als kleines neutrales Land könnte hier einen neuen Weg gehen. Gerade 1988 wäre für einen Umstieg kein schlechter Zeitpunkt. Dazu bedarf es aber einer klaren politischen Entscheidung.

Ich bin für ein Auslaufen der Rüstungsproduktion in Liezen, ohne als Politiker genau sagen zu können, welche Produkte dort in Zukunft erzeugt werden sollten. Es soll nicht wieder „von oben“ verordnet werden, was für diesen Betrieb das Beste ist. Genau so ist nämlich die Kanonenproduktion nach Liezen gekommen.

Ich bekenne mich aber auch dazu, im Gegensatz zu vergangenen Jahrzehnten und Beispielen anderer Länder, Betriebe nicht einfach von heute auf morgen zuzusperren, sondern neue, für die Be-

troffenen sozialere Wege zu gehen.

Unseren Waffenschmieden wird immer wieder nachgesagt, über bestes technisches Know-how in den verschiedensten Fertigkeiten zu verfügen.

Folgendes Szenario ist möglich. Die Republik trifft endlich die längst überfällige Entscheidung, kein Vernichtungsmaterial mehr zu exportieren, nicht mehr an Kriegen und am Aufrüsten verdienen zu wollen.

Ein solcher Schritt sollte auch einiges wert sein. In enger Zusammenarbeit mit Betriebsberatern, Psychologen, Managern und insbesondere den konkret Betroffenen müßte die bisherige Rüstungsschmiede Liezen die Produktion von Kanonen eingestellt und eine intensive Suche nach neuen Möglichkeiten begonnen werden, die hohen Qualifikationen der dort Beschäftigten in die Entwicklung neuer Produkte zu konzentrieren. Das kann durchaus ein, zwei, ja möglicherweise drei Jahre dauern. Da kann und wird möglicherweise nicht ein großes neues Werk herauskommen, sondern mehrere kleine. Eine technische Abteilung des bisherigen Unternehmens macht sich selbständig, und einige andere werden in verwandte Produktionsbereiche hinüberwechseln.

Bei einer solchen selbstorganisierten demokratischen Konversionsstrategie hat der Staat bloß die Aufgabe, für einen bestimmten Zeitraum die Löhne weiter zu

bezahlen und die besten Köpfe des In- und Auslandes zur Beratung nach Liezen zu bringen, damit neue Wege auch in angestammten Bereichen in dieser Region gegangen werden.

In der Landwirtschaft stehen genug Möglichkeiten offen, wie etwa Direktvermarktung oder die Entwicklung von Spezialkultu-ren. Viele „Nebenerwerbsbauern“, die derzeit zur Einkommenssicherung in Industriebetriebe auspendeln müssen, aber nicht wollen, sind durchaus bereit, voll in der Landwirtschaft tätig zu sein, wenn wieder attraktive Einkommensmöglichkeiten bestehen.

Auch das regionale Baugewerbe müßte in eine solche groß angelegte Umbauaktion einbezogen werden. Gerade in Krisenregionen ist die bauliche Substanz teilweise erschreckend schlecht. Durch die Bereitstellung finanzieller Mittel von Bund und Land für die Sanierung der Gebäude könnten nicht wenige Arbeitskräfte in ihrem Lebensbereich ein sinnvolles Einkommen finden. Gleichzeitig kann die regionale Wertschöpfung durch eine neue Energiepolitik gesteigert werden: Statt Import fossiler Energieträger würden Techniker, Mechaniker, Schlosser, Installationsbetriebe, Bauern und Forstleute die viel zuwenig genutzten Möglichkeiten der Biomasse-Energieerzeugung und Energieverteilung selbst in die Hand nehmen.

Ein solches Umbauprogramm im Wege einer dezentralen regionalen Selbstorganisation könnte weit über die Konversion von Rüstungsbetrieben hinaus Impulse für derzeit stagnierende Regionen mit absterbenden Industriezweigen geben.

Zugegeben, es ist schwierig und wird auch etwas kosten. Auch die Bereitschaft der Politiker, ethische und moralische Grundsätze ernst zu nehmen und statt der Defizite aus der Waffenproduktion deren Umrüstung zu finanzieren.

Der Autor ist stellvertretender Klubobmann des Grünen Klubs im Parlament.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung