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„Ruft die Leute, damit sie ihn erschlagen ..

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Am 17. Juli 1980 ereignete sich im Andenstaat Bolivien der 189. Staatsstreich, seitdem Simon Bolivar die spanischen Eroberer aus dem Land gejagt hatte. Trotz weltweiter Proteste wurden im Gefolge des Putsches zahlreiche Priester, Ordensleute und Gläubige verhaftet, denen man „Kollaboration mit der kommunistischen Subversion” vorwarf. Unter den Verhafteten befand sich auch Pater Alvaro Puente SJ, der Autor des nebenstehend abgedruckten Beitrages. In einem Brief, der exklusiv der FURCHE zugänglich gemacht wurde, schildert er die Umstände seiner Verhaftung und die Verhörmethoden, die in Lateinamerika noch vielfach praktiziert werden.

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Am 17. Juli 1980 ereignete sich im Andenstaat Bolivien der 189. Staatsstreich, seitdem Simon Bolivar die spanischen Eroberer aus dem Land gejagt hatte. Trotz weltweiter Proteste wurden im Gefolge des Putsches zahlreiche Priester, Ordensleute und Gläubige verhaftet, denen man „Kollaboration mit der kommunistischen Subversion” vorwarf. Unter den Verhafteten befand sich auch Pater Alvaro Puente SJ, der Autor des nebenstehend abgedruckten Beitrages. In einem Brief, der exklusiv der FURCHE zugänglich gemacht wurde, schildert er die Umstände seiner Verhaftung und die Verhörmethoden, die in Lateinamerika noch vielfach praktiziert werden.

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Am Freitag, 26. September, hielt ich um 11.50 Uhr Eucharistiefeier mit eini­gen Zöglingen des Colegio San Calixto. Ich weiß nicht, wann es war, aber es ka­men dann einige Erwachsene in die Ka­pelle und blieben bis zum Ende der Meßfeier im Hintergrund stehen.

Im Augenblick, da ich zu Ende zele­briert hatte, traten drei dieser Zivil­agenten auf mich zu und baten mich, ih­nen zur DIN (Abkürzung für Staatspo­lizei) zu folgen, wo sie mir Fragen zu stellen hätten. An der Pforte des Cole­gio befahl mir ein anderer Zivilagent, der die Gruppe offenbar befehligte, ihm meine Wohnung zu zeigen, wo er die in meinem Besitz befindlichen Doku­mente zu sehen wünsche. Wir gingen also zurück zu meinem Quartier.

Hier durchsuchten die Agenten alles, was ich besaß, und erlaubten mir unter­dessen, Decken, Waschzeug und Ziga­retten in einen Koffer zu packen. Sie entnahmen dem Radioapparat ein Ton­band, auf dem von Pater Luis Espinel die Rede war, 13 weitere Tonbandkas­setten mit klassischer und Volksmusik (die sie abzuhorchen wünschten), ein Telefonverzeichnis, meine Personaldo­kumente (Militärausweis, Paß etc.) und einige von den Alumnen des Colegio verfaßte Kommentare.

Dann gingen wir in mein Büro in der Direktion der Abendschule des Cole­gio. Auch hier durchsuchten sie alles und nahmen etliche Fotos an sich. In­zwischen war es 12.45 Uhr geworden,

Wenn einer von uns hinfiel, hob man ihn wieder auf und schlug weiter...”

man verfrachtete mich in die Kabine ei­nes Lastkraftwagens und es ging zum Hauptquartier von Miraflores.

Aus dem Lastkraftwagen wurden dann noch andere Häftlinge entladen, die man unter Befehlsgeschrei und mit Kopfstücken mehr oder weniger ge­waltsam in das Gebäude trieb.-Zuerst . stellte man mich an eine Wand in der­selben Stellung wie alle anderen, bald darauf aber führte man mich in ein Büro, wo ich mich setzen konnte.

Man gab mir zu verstehen, daß man sich nicht auf Konflikte mit der Kirche einlassen wolle und daß Befehl erlassen sei, mich privilegiert zu behandeln. Kurz darauf brachte man mich in die Amtsstube des Obersten Mena, auf den ich bis 14.30 Uhr sitzend wartete.

Als der Oberst eintraf, rief man ihn zuerst beiseite, um ihn, wie er mir spä­ter sagte, über den Inhalt der Aufsätze zu informieren, die man in meinem Quartier konfisziert hatte; es handelte sich um die Aufsätze der älteren Schü­ler des Colegio. a

Dann kam der Oberst zu mir in sein Büro mit sichtlich angeekeltem Ge­sichtsausdruck. Er sagte, aus den Auf­sätzen stinke es geradezu von ausländi­schem Dreck und wir sollten schauen, daß wir wieder in unsere eigenen Län­der kämen. Ich entgegnete, daß ich Bo­livianer sei und versuchte ihm zu erklä­ren, daß die Aufsätze der Schüler sich mit einem Kommentar zum Hirten­brief der Bischöfe befaßten. Aufgabe der Kirche sei es, sich mit dem Men­schen und mit der Gerechtigkeit zu be­fassen.

Er antwortete, das seien Lügen, die zu nichts führten ... Immerhin wurde ich dann höflich in eine Behausung ge­führt, in der es ein Bett und einen Kübel gab. Dort, hieß es, solle ich den Innen­minister erwarten.

Ich glaube, es war zwischen 17 und 18 Uhr, als man mich an einen anderen Ort brachte, wo mich Oberst Luis Arce und zehn andere Personen, teils Zivili­

sten, teils Militärs, erwarteten. Der Oberst empfing mich schreiend und sagte, ich sei ein schlechter Bolivianer, total unter dem Einfluß ausländischer Priester, man werde mich hinrichten'

In seinen Händen hielt er die Auf­sätze meiner Alumnen, und einige Stel­len darin waren rot unterstrichen. In diesen Aufsätzen hatten einzelne Alum­nen ihre persönliche Meinung über die Streitkräfte und über die Situation im Land zum Ausdruck gebracht, man­che hatten auch die brennenden Pro­bleme in ihrer eigenen Familie behan­delt. In meiner Gegenwart erließ der Oberst Haftbefehl gegen mindestens zehn dieser Jugendlichen ...

Nach einer Reihe von Beschimpfun­gen und Todesdrohungen befahl der Minister: „Ruft meine Leute, damit sie ihn erschlagen!“ Kurz darauf erschie­nen vier oder fünf Männer, die began­nen, auf mich und zwei weitere herbei­geführte Verhaftete einzuschlagen. Wir erhielten Faustschläge und Ohrfeigen und man bearbeitete uns mit einem Ka­bel am ganzen Körper, von den Fersen bis zum Kopf.

Wenn einer von uns hinfiel, hob man ihn wieder auf und schlug weiter, und dazwischen gab es Fragen nach unseren Verwandten, nach unserer politischen Parteizugehörigkeit etc.

Schließlich wurden mir die Augen verbunden. Bine Zeitlang wurde das Schlagen fortgesetzt. Als man mich in die Zelle zurückfiihrte, setzte man mir

den Lauf einer Waffe ins Genick und man tat so, als lüde man sie (ich glaube, es war zwischen 19 und 20 Uhr). So ver­harrte man ein paar Sekunden lang, dann zogen sich die Männer zurück und sagten, die Exekution werde um drei Uhr morgens stattfinden.

Während der Nacht konnte ich nicht schlafen wegen der Schmerzen in den Hüften und in der Magengegend. In Buenos Aires stellte der Arzt später ge­brochene Rippen fest, abgesehen von sichtbaren Striemen und einer verletz­ten Lippe.

Am Samstag um 10 Uhr vormittag kam man mich holen. Niemand sagte etwas. Wir trafen beim Innenministe­rium ein. In einem Auswanderungs­büro durfte ich mich niedersetzen. Ich verstand soviel, daß man auf die Vidie- rung meines Passes wartete.

Erst im Flugzeug begriff ich, daß al­les vorbei war. Doch wurde mir klar, daß eine Serie neuer Probleme auf mich zukam. Abgesehen davon, daß ich demnächst ohne einen Peso und ohne einen brauchbaren Hinweis auf dem Flughafen eines mir unbekannten Lan­des ankommen sollte, schmerzte es mich, nicht mehr in mein Land zurück­kehren zu können.

Meine größte Sorge aber war es, mir bewußt zu machen, daß meine Gefähr­ten drüben weiter leiden sollten, ohne Hoffnung, und alles durchmachen soll­ten, was für mich nur eine kleine Be­schwernis gewesen war.

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