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Run auf Pilgerreisen und Campingplätze

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Das deutliche Wiederaufleben alter und längst verloren geglaubter Gemeinsamkeiten unter den mitteleuropäischen Staaten des Ostens und Österreich zeigt deutlich, wie schmerzhaft die seinerzeit unter dem Eindruck eines Weltkrieges und extremer nationalistischer Tendenzen entstandene Trennung von Völkern heute noch empfunden wird. Sehnsüchte, die gemeinsame Ver-

gangenheit nachzuvollziehen (und nicht nur der Exotismus des „Roten Ostens" oder vice versa des „Weißen Westens“), werden wach und lassen Reiselust entstehen

So sehr die Steiermark einst Bollwerk war gegen die aus dem Osten einfallenden Feinde, so sehr entwickelte sie sich aufgrund ihrer geographischen Lage und ihrer nunmehrigen geopolitischen Funktion in den letzten Jahrzehnten und Jahren immer mehr zu einer Brücke zwischen Ost und West. Rund ein Fünftel aller in Österreich nächtigenden Ost-Europäer verbringen ihre Urlaubstage in der Steiermark - und es werden immer mehr, die diese Brücke nützen wollen, wie man den Statistiken der letzten Jahre entnehmen kann. Auch wenn österreichweit ein Rückgang an Gästen aus dem O sten zu verzeichnen ist, so hält in der Steiermark der Aufwärtstrend immer noch an.

Dazu mag beitragen, daß die Steiermark - abgesehen von ihrer geschichtlichen Nähe etwa zu den Ungarn, Slowenen und Kroaten — als preisgünstiges Urlaubsland bekannt ist. Während der Anteil der Urlauber axis den Oststaaten an den Gesamtnächtigungen aller Nationen in Vier- und Fünf-Stem-Hotels nur 1,7 Prozent ausmacht, steigt er auf Campingplätzen und in Jugendherbergen auf über vier und bei Privat- zimmem auf über acht Prozent. Wie meist sind auch hier die Ungarn am reiselustigsten (über 86.000 Nächtigungen im Vorjahr), mit Abstand folgten die Gäste aus Jugoslawien (siehe auch Graphik).

Aufgrund der in etlichen Ostblockstaaten beginnenden Demokratisierungstendenzen sind wesentliche Ausreiseerleichterungen durch neue Paßgesetze oder Lockerungen in den Devisenbestimmungen entstanden. Dies hat die bestehende Lust zu Einkaufsfahrten, Urlaub und Kurzvisiten im Westen verstärkt, was auch ein signifikantes Ansteigen der Gästeziffem aus diesen Ländern in der Steiermark im ersten Quartal dieses Jahres zeigt. So werden heuer neben Individualtouristen etliche Pilgeigruppen aus Polen in Mariazell erwartet und erstmals werden Gruppenreisen aus der Sowjetunion in die Steiermark geführt.

Diesem Trend trägt die Incoming- Abteilung des Landesfremdenverkehrsverbandes mit speziellen Programmen und Marketingstrategien Rechnung. Prospekte in den jeweiligen Landessprachen weisen auf kostengünstige Familienurlaube auf Bauernhöfen und in Privatzimmern hin (für den ungarischen Touris- mus-Markt wurde sogar ein eigener Privatzimmerkatalog in ungarischer Sprache axifgelegt), für die Dach- stein-Tauem-Region und auch für die Sehiregion Südautobahn wer-

den gezielte Aktionen veranstaltet, die schon im vergangenen Jahr zu enormen Gästesteigerungen aus den osteuropäischen Ziellän- dem geführt haben.

Großes Interesse zeigen katholische Organisationen (in Ungarn und ganz besonders in Polen), die eine große Anzahl an Pilgerreisen in den gemeinsamen Haupt- Wallfahrtsort Mariazell führen wollen.

Doch nicht nur die rein touristischen Attraktionen der Steiermark sind bei der Bevölkerung der Ostblockländer gefragt. Immer mehr von Interesse werden der Technologietransfer, die Landwirtschaft und die Erzeugung landwirtschaftlicher Geräte und auch das Know-How in der Aufzucht verschiedener Nutztierarten.

Auch auf diesen Gebieten hat der Landesfremdenverkehrsverband spezielle Fachprogramme erstellt, die rege genutzt werden. Darüber hinaus kommt noch die anziehende Funktion der Grazer Messe und all der anderen Fachmessen, die mehrmals im Jahr stattfinden und eine beträchtliche Anzahl an fachlich interessierten Gästen aus dem Osten in die Steiermark führen. So ist es allein im vergangenen Jahr gelungen, die Nächtigungsziffem bei den Ostblocktouristen um durchschnittlich 66 Prozent zu erhöhen. Allein der Anteil der Ungarn stieg in Graz und Umgebung um 87 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Im Zusammenhang mit den Tätigkeiten der AEGE Alpen-Adria bestehen enge Kooperationen zwischen der Steiermark (deren Landeshauptstadt oft als „heimliche Metropole des Südostens“ bezeichnet wird), ungarischen Komi taten sowie jugoslawischen Teilrepubliken. Ein in regelmäßigen Abständen tagendes touristisches Koordi- nations-Kommitee hilft dabei, allfällige Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen und neue Wege im gemeinsamem Tourismus aufzubau en.

Die Erfahrung der interregionalen Zusammenarbeit hat die Steiermark auch in das touristische Koor- dinations-Kommitee, das sich anläßlich der Weltausstellung 1995 konstituiert hat, einbringen können. Hier führt zur Zeit das Land Steiermark den Vorsitz in der Planungsgruppe für die touristischen Aktivitäten der österreichischen Bundesländer und ungarischen Komitate.

Die Autorin ist Mitarbeiterin im Steiermärkischen Landesfremdenverkehrsverband-

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