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Rund um die Kathedrale

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Man muß das nachlesen in den drei nach 1945 erschienenen Franz-Schmidt-Monographien: von Andreas Liess (1951), Carl Nemeth (1957) und Norbert Tschulik (1972), aus der Feder wohlinformierter Musikologen und gewissenhafter Biographen. Was sich nämlich da alles tat, bis die des bereits als Symphoniker anerkannten langjährigen Solocpllisten der Wiener Philharmoniker und genial begabten Musikers erste Oper „Notre Dame“ zur Uraufführung kam.

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Man muß das nachlesen in den drei nach 1945 erschienenen Franz-Schmidt-Monographien: von Andreas Liess (1951), Carl Nemeth (1957) und Norbert Tschulik (1972), aus der Feder wohlinformierter Musikologen und gewissenhafter Biographen. Was sich nämlich da alles tat, bis die des bereits als Symphoniker anerkannten langjährigen Solocpllisten der Wiener Philharmoniker und genial begabten Musikers erste Oper „Notre Dame“ zur Uraufführung kam.

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1902 bis 1904 komponiert, versuchte er es natürlich erst beim damaligen Operndirektor Gustav Mahler. Das Fazit nach dem Vorspielen des ganzen Werkes war: „Sehr schön, aber ich vermisse in ihrer Musik die großen Ideen“ — und das Angebot einer Kapellmeisterstelle in Mannheim. Das heißt: Mahler wollte den Lästigen loswerden. (Die seit Jahren bestehende Antipathie beruhte nämlich auf Gegenseitigkeit!) Dann kam Hans Gregor, dem die Oper besser gefiel und der bereit war, sie aufzuführen. Aber er folgte einem Ruf nach Berlin, wo er sie nicht durchzusetzen vermochte, und erst am 24. Mai 1912 wurde zwischen der Wiener Staatsoper und dem Komponisten der endgültige Vertrag unterzeichnet. Doch dann dauerte es noch fast zwei Jahre, bis die Premiere stattfand: Franz Schalk dirigierte die Philharmoniker und ein glänzendes Ensemble mit den Herren W.eide-mann, Mayr und Maikl sowie Frau Gutheil-Schoder als Esmeralda.

Von allem Anfang an waren die Reaktionen der Kritik (nicht die des Publikums) zwiespältig. Da war zunächst die Kalamität mit dem Libretto. Aber die ist ja so alt wie die Operngeschichte — von den bekannten, sehr berühmten Ausnahmen abgesehen. Victor Hugos großer, erfolgreicher Roman — das war doch ein Sujet, wie man es sich nur wünschen konnte! Aber Goethe zum Beispiel mochte auch das Buch nicht („Es sind lebensunteilhaftige Gliedermänner und -weiber, ausgestopfte Puppen!“), was freilich weder Opernkomponisten noch Choreographen vor Schmidt daran hinderte, sich dieses hochromantischen Stoffes mit Notre Dame, dem „steingewordenen Mythos des mittelalterlichen Paris“ als Hintergrund zu bedienen.

Gewiß, weder Leopold Wilk, Diplomingenieur und später Regierungsrat, noch Franz Schmidt waren „Dichter“. Aber der Stoff gibt so viel her und entsprach so sehr dem Talent des Komponisten, daß daraus

schließlich doch etwas recht Eigenartiges wurde, von keinem Vorbild abhängig. Schmidt blieb Symphoniker — aber ist das nicht eine große Leistung, die großen Formen auch in der Oper zu erproben, und dazu Singstimmen zu schreiben, die fast immer deutlich hörbar sind, nicht zugedeckt werden? (Am 22. April 1914 schrieb Hofmannsthal an Richard Strauss, er habe da eben die Oper eines ihm bis dahin unbekannten Komponisten gehört, deren Text man trotz des großen, symphonisch behandelten Orchesters fast zur Gänze verstehen konnte. Ob das nicht nachzumachen wäre?)

Schmidts Oper blieb nicht ohne Erfolg, bis 1945 gab es etwa 50 Aufführungen an der Staatsoper und seit der letzten Neuinszenierung in der Volksoper etwa 25. Auch im Ausland, da und dort, in Dresden, Budapest und Berlin, wurde „Notre Dame“ gespielt. Freilich: das musikalische Hauptthema, obwohl sozusagen lokalkoloristisch begründet, hat etwas Fatales. Julius Korngold — wir zitieren ihn nicht gern, aber wo er recht hat, hat er recht — schrieb in der „Presse“ über das lang vor der Uraufführung komponierte Zwischenspiel: „Die Romantik des Stückes besorgen im Grunde einzig und allein die wohlfrisierten und parfümierten philharmonischen Geiger“. Hingegen meint er: „Für die Schwüle der Katastrophe fehlt es an Farbe“. Was soll man da machen? Dr. Tschulik hat für die Musik Franz Schmidts die richtige Deutung gefunden, wenn er feststellt: „Die Heimatstadt des Komponisten lag eben am Begegnungsort dreier Nationalitäten: der Slawen, Deutschen und Ungarn“.

Die Aufführung am vergangenen Sonntagabend in der Volksoper kann als hervorragend bezeichnet werden. Günther Schneider-Siemsen hatte düsteres Mittelalter, hauptsächlich in Schwarzweiß, auf die Bühne gestellt. In den Bildern des 1. Aktes (Greve-Platz und bei der alten Falourdel) vielleicht ein wenig zu dunkel und unprofiliert; dagegen waren die beiden letzten (vor der Kathedrale und oben im Glockenturm) plastischer und recht eindrucksvoll. — Die Inszenierung Wolfgang Webers, nach einem Bühnenkonzept Axel Cortis, war unmanieriert und logisch, die Kostüme Maria Waleks unaufdringlich-zeitgerecht (Ende des 15. Jahrhunderts). — Die geradezu luxuriöse Besetzung ist wohl vor allem dem ursprünglichen Projekt einer Koproduktion mit dem ORF zu danken. Zu Recht wurden die sowohl stimmlich wie darstellerisch ganz ausgezeichneten Hauptrollenträger mit Ovationen bedacht, wie man sie in der Volksoper selten hört: Walter Berry in der Rolle des Quasi-modo, Ernst Gutstein als sein Gegenspieler, der Archidiaconus von Notre Dame, Joseph Hopfreiter als Offizier Phoebus und schließlich die immer interessante, hier absolut rollendek-kende Julia Migenes als Zigeunerin Esmeralda — das Opfer der sie stürmisch begehrenden Männer. (Auch zwei Profi-Jongleure belustigten die blutdürstige Volksmenge). — Am Pult stand Wolfgang Schneiderhan, mit der Partitur als Ausführender seit vielen Jahren bestens vertraut, der nicht nur mit Sicherheit, sondern — mit genauem Gefühl für die Balance zwischen Stimmen und Orchester — dafür sorgte, daß die ersteren nie zugedeckt wurden, was freilich Schmidt durch seine meisterhafte Instrumentierung erleichterte. (Siehe oben!). Ihm galt wohl ganz besonders der Beifall des Publikums, das zugleich die Gelegenheit wahrnahm, Schneiderhans bevorstehenden Sechzigsten zu feiern.

Eine Empfehlung: Im 2. Akt sind durch notwendige Umbauten verursachte starke Geräusche zu hören. Wie wäre es, wenn man während dieser 2- bis 3-Minuten-Pause die Glocken von Notre Dame weiterläuten ließe, laut oder leise? Das würde die Stimmung eher verdichten als stören. — Und wer von jüngeren Leuten über diese Partitur die Nase rümpft, der möge einmal in einer europäischen Musikgeschichte nachschlagen, was es damals, in den Jahren 1902 bis 1904, als Schmidt „Notre Dame“ schrieb, alles noch nicht gab: nämlich noch keine „Salome“, keine „Elektra“, keinen „Feuervogel“ und noch keine Schönbergsche „Kammersymphonie“.

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