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Rundfunk und Neue Musik

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Rundfunk und Neue Musik: das sind zwei Begriffe, die in einem bestimmten Bereich unbezweifelbar zusammengehören, nämlich in dem der

; Elektroakustik. Wo die Elektronenröhre im Spiel ist, schall- bzw. span-nungsverstärkend wie beim Rundfunk oder tonerzeugend wie bei der elektronischen Musik, ist die Gemeinsamkeit a priori gegeben. Elektroni-

. sehe Musik ist aber nicht „die“ Neue Musik, sondern eines ihrer Teilgebiete, längst schon ohne die Aura des Geheimnisvollen, avantgardistisch Vorpreschenden. Läßt man nun die physikalischen Erwägungen beiseite, steht das Massenmedium einer Minderheiten-Kunst gegenüber; die Liaison ist also nicht sozusagen naturgegeben, sondern muß unter Beachtung des sozialen Wandels, des technischen Fortgangs, aufs Dasein einwirkender ästhetischer Prozesse, hör- und verhaltenspsychologischer Einsichten, kultureller Zielsetzungen und nicht zuletzt der sich wandelnden Bedürfnisse der Menschen immer wieder von Neuem definiert werden.

Schon hat sich, was zunächst einfach und selbstverständlich erschien, als höchst komplex herausgestellt. Die eben genannte, wahrhaft dringliche Aufgabe, jene Beziehungen zwischen dem Rundfunk und der Neuen Musik nach dem aktuellen Stand zu durchdenken und womöglich.neu zu bestimmen, dabei aber auch die verborgenen oder offenen Ansprüche des Hörers zu berücksichtigen: diese Aufgabe nahm eine Tagung des Internationalen Musikzentrums (Sitz in Wien) beim mitveranstaltenden Südwestfunk in Baden-Baden ungeachtet des vielversprechend umfassenden Titels „Rundfunk und Neue Musik“ nicht einmal ansatzweise wahr. An der Vorbereitung hat es nicht gelegen. Das Internationale Musikzentrum, eine zweckvolle Einrichtung der Medien (Radio und Fernsehen, Schallplatte und Film) in Ost und West, Europa und Übersee mit imponierender Papierform, hatte in der Audio-Gruppe - um die es hier ging - gute Vorarbeit geleistet Dennoch blieb alles Papier, vorbereitetes Referat; dennoch kam nur die europäische Situation ins Blick-, pardon Hörfeld; dennoch konnte von einer Diskussion keine Rede sein. Man teilte einander mit, wie gut und wie kritisch man ist, klatschte höflich, schimpfte im geheimen und stellte sich öffentlich nicht bloß. Die angekündigten Mitarbeiter des sowjetischen Rundfunks waren nicht erschienen.

^ Mir erscheint das alles nicht nebensächlich und auch nicht mit Witzelei abzutun. Die wesentlichen Probleme der Neuen Musik basieren auf Schwierigkeiten der Kommunikation: auf dem Unvermögen vieler Komponisten, ihren ästhetischen Botschaften musiksprachliche Deutlichkeit zu geben, auf dem Fehlen von Strategien bei den Vermittlern, die lieber an ihre Karriere und an ihr Prestige denken als über neue Sendeformen, neue Vermittlungswege nachdenken. Wenn eine internationale Tagung von sachkundigen Praktikern ihre interne Kommunikations-Unfähigkeit derart vorlebt - wie soll dann der unkundige, halb- oder - noch häufiger - durch „Vorurteile, Aggressionen, Schuldgefühle“ (Robert Ponsonby, BBC London) falsch informierte Hörer die ihm fremde Materie gliedern? Natürlich meinte der BBC-Präsentator die Vorurteile und Aggressionen derjenigen, die Neue Musik ablehnen, aber ein „Internationales Seminar“ (so der Untertitel der Tagung) wäre wohl die Frage wert, inwieweit auch die Medien-Großbetriebe solche psychischen Barrieren hervorrufen.

Die Boulez-Equipe vom IRCAM, Paris, gab Bericht über den Stand der Computermusik. Boulez selber glaubt vor allem an eine Wechselwirkung von individueller Erfindung und objektivierter Forschung; gearbeitet werde an einer gemeinsamen Sprache von Musikern und Technikern, gefördert durch eine neue Art zu denken, die ausgelöst wurde durch ein bislang unbekanntes Material. Die digitale (per Computer besorgte) Klang-Synthese bewirkt ein nahtloses Klangfarben-Kontinuum, zumindest in der Theorie;in der Praxis wird man auswählen, den Bedingungen des menschlichen Aufnahmevermögens gemäß. Max Mathews, eine Vaterfigur der Klangforschung mittels Computer, gab Kenntnis von einem neuen Programm, mit leiser Ironie „Dirigenten-Programm“ genannt: der Musiker soll den Synthesizer „dirigieren“ können wie eben der Dirigent das Orchester r- nur „merkt“ sich dieses Orchester schlechthin alles, was der Dirigent ihm eingibt, denn zwischen demMusiker und dem Klang-gerzeuger steht ein digitales Gehirn mit immensem Gedächtnis.

Freilich spiegeln solche Arbeitsberichte die Situation in den USA und in dem von der französischen Regierung großzügig unterstützten Pariser Forschungszentrum IRCAM. Hans Peter Haller vom Freiburger Experimental-studio der Heinrich-Strobel-Stiftung stößt bei seinen elektronisch erzielten Richtungseffekten und Raumveränderungen auf eine begrenzte Aufnahmetechnik, die der Live-Elektronik noch nicht gewachsen sei (auch der „Kunstkopf' leiste nur in begrenztem Rahmen Hilfe). Sein Studio ist für Komponisten, Studenten und ganze Schulklassen offen; die Kinder dürfen mit den Geräten „spielen“ und erfahren so über die Technik einen Zugang zur Neuen Musik. Geträumt werden darf, daß eine nachwachsende Generation spielend damit groß wird - und diesen Vorzug hatten die akademisch ausgebildetenRundfunkleute nicht...

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