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Rute fur Moralisten ?

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Wieso benützen Sie Aids, um auf die Fehler und Mängel der Leute hinzuweisen? Es ist mir unverständlich, weil Sie einleitend so treffend feststellen, daß Aids gern als Panikmacher mißbraucht wird. Und obwohl Sie Aids nicht als Strafe Gottes betrachten, hat es den Anschein, als ob Sie im Sog dieser Panikmacher mittreiben…

Aids scheint in Ihr Konzept zu passen: erhobener Zeigefinger, Tadel, Bekehrung der ach so schlechten Menschheit. Sie verstehen sich als Prophet Gottes; vergessen Sie nicht, daß auch Sie, wie wir alle, nicht über den Dingen stehen. Moralpredigten mußten die Menschen schon zu oft über sich ergehen lassen.

7. Klasse. Leibnitz

Darauf zu antworten ist für einen Redakteur eine harte Nuß. Er lebt von der Auseinandersetzung mit Zeitproblemen, die er schriftlich äußert. Für den Leser werde ich nur schwer als ganzer Mensch mit Fehlem, Schwächen, Bemü-

hungen und gutem Willen erfahrbar. Was als „erhobener Zeigefinger“ erscheint, ist eine Ermahnung, von der ich mich selbst nicht ausnehme. Ich stehe nicht am anderen Ufer: Hier der sündenlose Gaspari und dort die sündige Menschheit.

Genau deswegen weiß ich, wie sehr ich darauf angewiesen bin, daß mich andere darauf auf merksam machen, wenn ich in die falsche Richtung unterwegs bin.

Wenn Du mit dem Auto von Graz nach Leibnitz willst, wirst Du noch dankbar sein, wenn Dich jemand in Frohnleiten darauf aufmerksam macht, daß Du falsch unterwegs bist Wirst Du ihn deswegen als Moralapostel hin-

stellen, von erhobenem Zeigefinder sprechen und von Tadel?

Sie rufen zur Umkehr, zur Abwendung von Kondomen, Abtreibungen und (angeblicher) Unzucht. Der Mensch soll sich endlich wenden, und zwar zu Gott oder besser zur katholischen Kirche, zu Moral, Ethik, Ordnung und tiefstem unkritischen Glauben. Alte Hüte!

Und als Anstoß nehmen Sie, wie pietätvoll, die „Schwulenseuche“ oder den „Hurentod“ . Aids soll die Menschen wieder formen. Wenn Sie wirklich glauben, daß Aids eine Folge der andauernden Gottlosigkeit ist, muß ich Ihren Verstand anzweifeln. Das gleiche könnte man nämlich bei der Kinderlähmung behaupten. Doch Aids trifft ja, Gott sei Dank, die Unchristlichen…

Denen gebührt ja die Strafe. Sie sind ja froh über Aids, denn Sie berührt das ja nicht, Sie sind moralisch und enthaltsam. Aber diese unchristlichen Schweine sollen verrecken …8. Klasse, Graz

Du hast meinen Artikel bestenfalls überflogen. Da war weder von Moral noch von unkritischem Glauben, Ordnung und Ethik die Rede. Auch daß Aids Gott nützen und die Menschen formen werde, ist Deine freie Erfindung. Statt auf meine Aussagen einzugehen, machst Du mich zum hartherzigen Pharisäer. So werden wir nur schwer ins Gespräch kommen.

Du hast recht: Aids trifft vor allem jene, die mit ihrem Körper, insbesondere mit ihrer Sexualität bedenkenlos umgehen. Daher ist Dein Vergleich mit der Kinderlähmung nicht zielführend. Denn Aids ist — zumindest derzeit — eine Folge der Promiskuität.

Man weiß also, wie man Aids relativ leicht vermeiden kann. Es genügt, sorgfältig mit seiner Sexualität umzugehen. Diese Sorgfalt legt uns Gott aus anderen Gründen nahe. Sie haben mit dem Wesen des Menschen zu tun, über das Gott als unser Schöpfer besser Bescheid weiß als wir selbst.

In der sexuellen Beziehung werden wir „ein Fleisch“ , also eine Einheit. Da geht es um mehr als ein flüchtiges Lusterlebnis. Gott will uns mit diesem Hinweis nicht den Spaß verderben, sondern im Gegenteil die wahre Freude an der sexuellen Beziehung schenken. Wer von einem Bett zum anderen wechselt, dem geht es wie einem Säufer: Einer kurzen Euphorie folgt der Kater. Lies einschlägige Berichte: Je lockerer das Sexualverhalten, umso mehr Frigidität, Impotenz, Selbstmordgedanken — und die Anfälligkeit für Perversionen, um das fad werdende Geschehen zu „würzen“ , wächst. Aids ist somit nur ein Zeichen unter vielen.

Es ist traurig, daß viele Menschen, ob männlich oder weiblich, einfach nicht die richtige Einstellung zu einem Partner entwickeln können. Maße werden angelegt, wie „Sage mir, mit wie vielen Jungen du schon geschlafen hast, und ich sage Dir, wer Du bist.“

Miteinander zu schlafen sollte im Idealfall eine Mischung aus Liebe und körperlicher Liebe sein. Viele Jugendliche sehen das nicht so. Sie treiben es fast mit je- dem(r) Dahergelaufenen … Das hat mit Gott nichts zu tun. Im Ge- genteü, es ist etwas ganz Persönliches, zu erkennen, daß körperliche und geistige Liebe dicht nebeneinanderliegen. „_

8. Klasse, Graz

Ich möchte bei Deinem letzten Gedanken anknüpfen. Viele werden ihm zustimmen. Aber wird nicht jeder unter Liebe etwas anderes verstehen? Wie oft wird sie mit Verliebtheit oder mit einer Gefühlsaufwallung verwechselt.

Da bedarf es einer Klarstellung: Liebe in ihrer schönsten Form ist das unbedingte Ja zu einem anderen Menschen, zu seiner Geschichte, zur Art, wie er heute ist, und zu seiner Zukunft. Jemanden lieben heißt: ,Jch stehe zu Dir, was auch sein mag.“ Es bedeutet, dem anderen bei mir Heimat zu geben, ihn erfahren zu lassen: ,JEs ist gut, daß es Dich gibt, was immer auch sein wird.“

In der sexuellen Begegnung sagen Mann und Frau einander das zu. Klingt abgedroschen, ist aber eine tiefe Wahrheit. Weil Liebe das unbedingte Ja zum anderen bedeutet, ist der Ort der körperlichen Liebe, der dem Menschen angemessen ist, die Ehe. Übrigens meine ich durchaus, daß Gott etwas mit Liebe zu tun hat. In der ganzen Heiligen Schrift wird bezeugt, daß Gott der große Liebende ist. Wo immer geliebt wird, ist Gott anwesend, wird seine Gegenwart in der Liebe lebendig.

Darf ich es wiederholen? Gott ist kein Spaßverderber. Er will, daß wir auch sexuelle Freude erleben. Weil Er die Liebe ist, weiß er auch, wie Sexualität erfüllt gelebt wird.

Daß in so vielen Ehen all das nicht erfahrbar wird, ist ein Vorwurf an uns Erwachsene. Euch Jugendlichen wird dadurch der Blick verstellt auf ein erfülltes Leben als Mann und Frau.

In die Seuche, die Armut der Dritten Welt, das Waldsterben oder die Abtreibungen Gottlosigkeit hineinprojizieren zu wollen, ist lachhaft. Jede Frau soll das Recht haben, ein Kind, das sie nicht will, abzutreiben.

Auf eine lustvolle Zukunft

7. Klasse, Leibnitz

Das klingt nach ,J3ravo“ oder ,JBasta“ ,aber nicht nach ernsthafter Auseinandersetzung. Die Parole: Was Spaß macht, kann nicht schlecht sein, ist ein tödliches Rezept. Wie willst Du damit einem Tierquäler erklären, er dürfe Katzen nicht den Schwanz abhak- ken? Wie einem Sadisten, er dürfe seine Kinder nicht zu Krüppeln schlagen?

Wo der Spaß dominiert, hört sich menschliches Zusammenleben auf. Und daher hat auch keine Frau ein Recht, ein ungewolltes Kind abzutreiben. Weißt Du, daß dabei jedesmal ein Mensch getötet, in kleine Stücke geschnitten wird? Er leidet Schmerzen wie Du, erlebt Todesangst. Wer es nicht glaubt, muß sich nur den Film ,JDer stumme Schrei“ anschauen.

Seit ich Ihren Artikel gelesen habe, frage ich mich, was Gott mit Aids zu tun haben soll. Der Umstand, daß Aids durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, unterstützt die Kirche in ihrem unermüdlichen Trachten, den Sexualverkehr auf die Ehe zu beschränken. Warum mischt sich die Kirche immer wieder in die Intimsphäre der Menschen ein?

Wann, wo, mit wem und unter welchen Umständen jemand Geschlechtsverkehr hat, ist allein seine Entscheidung… Ich rate Ihnen Ihren Verstand zu benützen und die Dinge zu sehen, wie sie heute wirklich sind.

7. Klasse, Leibnitz

Gott hat mit allem zu tun. Du würdest nicht leben und könntest nicht geistreiche Leserbriefe schreiben, wenn Dich Gott nicht geheimnisvoll am Leben hielte. Dir ist das noch nicht bewußt. Dennoch ist es die Grundwahrheit Deines Lebens. Und Gott hat keinen sehnlicheren Wunsch als den, daß Dein Leben gelingen möge.

Wenn die Kirche im Namen Gottes auf diese Tatsache hinweist, mischt sie sich zu Recht in Deine Intimsphäre ein. Denn das, was Du als Intimsphäre bezeichnest, ist gar nicht Deine Privatangelegenheit. Das zeigt ja gerade die Aids-Problematik.

Wenn Du demnächst bei einer Bettgeschichte mit Aids angesteckt wirst, war das dann die Privatsache Deines Partners? Und wenn dabei ein Kind gezeugt wird, das mit Aids zur Welt kommt: War das dann Eure Privatsache? Es betrifft uns alle — und sei es nur dadurch, daß unsere Versicherungsbeiträge Eure Behandlung finanzieren.

Wir sind nun einmal keine Privatmenschen. Alles, was Du tust und denkst und unterläßt, hat Folgen für andere Menschen. Weil wir alle voneinander abhängen, und zwar in einer Art, die wir nicht durchschauen, weist uns Gott den Weg, wie wir miteinander umgehen sollen: liebevoll. Und bei Aids müßte sogar der Verstockteste begreifen, daß es ein Signal für lieblosen, tödlich lieblosen Umgang miteinander

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