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Sachverständigen — Hoffnung

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Ist der langerwartete Aufschwung in der BRD nunmehr in greifbare Nähe gerückt? Der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, eine Einrichtung noch aus der Zeit von Professor Erhard, als niemand an der „Machbarkeit“ der Konjunktur zweifelte, scheint zumindest dieser Meinung zu sein. Er hat seinem eben veröffentlichten Gutachten den Titel „Vor dem Aufschwung“ gegeben. Ein optimistischer Titel allein besagt allerdings wenig.

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Ist der langerwartete Aufschwung in der BRD nunmehr in greifbare Nähe gerückt? Der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, eine Einrichtung noch aus der Zeit von Professor Erhard, als niemand an der „Machbarkeit“ der Konjunktur zweifelte, scheint zumindest dieser Meinung zu sein. Er hat seinem eben veröffentlichten Gutachten den Titel „Vor dem Aufschwung“ gegeben. Ein optimistischer Titel allein besagt allerdings wenig.

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Nannte doch derselbe Sachverständigenrat sein im November 1974 veröffentlichtes Gutachten für das Jahr

1975 „Vollbeschäftigung für Morgen“, und nicht einmal im Sommer 1975 fiel die Zahl der Arbeitslosen in der BRD unter die Millionengrenze (August 1975: 1,03 Mill.). Auch in dem neuen, auf Optimismus abgestellten Gutachten ist zu lesen, daß

1976 die Zahl der Arbeitslosen so hoch wie 1975 sein wird, ja vielleicht sogar noch etwas ansteigen kann. Daraus ersieht man, wie sehr sich die Gutachten des deutschen Sachverständigenrates von Prognosen zu Zielvorstellungen und Programmen entwickelt haben.

Der Kern des neuen Gutachtens ist eine zuversichtliche Beurteilung der Weltkonjunktur, aus der verbesserte Aussichten für die deutsche Exportentwicklung abgeleitet werden. Gerade deshalb ist die Prognose der Entwicklung für 1976 mit hohen Risiken behaftet. Die Wirtschaftspolitik der deutschen Bundesregierung hat zwar die Voraussetzungen für einen möglicherweise kräftigen Aufschwung geschaffen, aber niemand kann den Aufschwung garantieren.

Aus dieser Unsicherheit heraus hat der Sachverständigenrat diesmal auch gleich drei Prognosevarianten veröffentlicht. Nach diesen schwankt die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts (BSP) 1976 von plus 3 Prozent bis plus 6 Prozent, wobei die mittlere Variante mit einem Wachstum von plus 4,5 Prozent für am wahrscheinlichsten gehalten wird.

Da gleichzeitig der Rückgang des realen BSP für 1975 mit minus

3.5 Prozent angenommen wird, und die BRD im Jahre 1974 nur eine minimale Wachstumsrate (plus 0,4 Prozent) zu verzeichnen hatte, wird also, beim Eintreffen dieser optimistir sehen mittleren Variante, das reale BSP Ende 1976 gerade das reale BSP des Jahres 1973 knapp übersteigen. Bis Ende 1976 hat dann eine gigantische Zunahme der Verschuldung der öffentlichen Haushalte in der BRD — von 1973 bis Ende 1976 in der Größenordnung von voraussichtlich 150 Mrd. D-Mark — bestenfalls ein Nullwachstum der deutschen Wirtschaft herbeigeführt.

Sind die 4,5 Prozent Wachstum überhaupt sicher? Noch Anfang November 1975 prognostizierte das OECD-Sekretariat für die BRD eine reale Wachstumsrate von nur plus

1.6 Prozent, und die OECD-Prognosen waren in der jüngsten Vergangenheit etwas verläßlicher als die des Sachverständigenrates. Bei seiner letzten Prognose vom November 1974 für 1975 sagte er noch ein reales Wachstum von plus 2 Prozent voraus, während jetzt minus 3,5 Prozent, also eine Schrumpfung, wahrscheinlich sind.

Was ist aus diesem Gutachten für die österreichische Wirtschaft für 1976 abzuleiten? 1975 war der deutsche Außenhandel durch eine sehr schwach ansteigende Einfuhr und eine um rund 5 Prozent zurückgehende Ausfuhr geprägt. Die BRD verhielt' sich vom Standpunkt des Welthandels aus als fairer Partner, der trotz Rezession seine Importe auf hohem Niveau stabilisierte. Zum Teil mag dies auch eine Folge der bis Juni 1975 terminisierten Investitionszulage gewesen sein, die bis Mitte 1975 zu einem starken Anstieg der Investitionsgüternachfrage führte. Auch Österreich hat davon sicher profitiert. So stiegen die österreichischen Exporte in die BRD von Jänner bis September 1975 um 6,7 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, während die gesamten österreichischen Exporte im gleichen Zeitraum um 3,5 Prozent abnahmen. Österreichs Marktanteil an den gesamten deutschen Importen stieg von 1,93 Prozent (Jänner bis September 1974) auf 2,04 Prozent (Jänner bis September 1975). Nominell waren die deutschen Importe in den ersten drei Quartalen 1975 nur um knapp 1 Prozent gestiegen. Im November 1974 hatte der Sachverständigenrat noch einen Anstieg der Importe in Höhe von 13,5 Prozent für 1975 vorausgesagt. Für 1976 prognostiziert er in seinem jüngsten Gutachten nun 9 Prozent, hoffentlich liegt diese Prognose besser als die für 1975!

Entscheidend für Österreichs wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr wird auch die Entwicklung des deutschen Reiseverkehrs (71 Prozent Anteil an den Ausländer-Übernachtungen) nach Österreich sein. 1975 waren die deutschen Arbeitslosen — dank einer großzügigen Arbeitslosenversicherung — noch imstande, ihren Lebensstandard zu halten, und trotz oder wegen der Arbeitslosigkeit ihren Urlaub in Österreich zu verbringen. 1976 werden hunderttausende Deutsche mehr als 12 Monate arbeitslos sein und damit empfindliche Kürzungen der Arbeitslosenunterstützung erleiden. Wie negativ sich dies auf den österreichischen Fremdenverkehr auswirken wird, kann man frühestens Im Sommer 1976 beurteilen, denn der Winterfremdenverkehr, verstärkt durch den Sog der Olympiade, baut auf ganz anderen sozialen Schichten auf als der Sommerreiseverkehr.

Die Prognose des Sachverständigenrates, die ein nominelles Ansteigen der Bruttoeinkommen aus un-' selbständiger Arbeit um 7 Prozent vorhersagt, läßt für eine reale Einkommenssteigerung der Arbeitnehmer in der BRD nicht viel Spielraum, wenn man einen wahrscheinlichen Preisanstieg von 5 Prozent und eine Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 2 auf 3 Prozent berücksichtigt. Aus der deutschen Einkommensentwicklung ist also kein zusätzlicher Nachfragestoß für den österreichischen Fremdenverkehr zu erhoffen.

Alles in allem sind von der deutschen Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1976 noch keine Wünderwir-kungen auf die österreichische Wirtschaft zu erwarten.

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