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Säuberungen als Antwort

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Der Nazi-Sturm auf Österreich führte schon 1933 zur Spaltung des Cartell-verbandes (CV): Die österreichischen Verbindungen trotzten der nationalsozialistischen Versuchung.

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Der Nazi-Sturm auf Österreich führte schon 1933 zur Spaltung des Cartell-verbandes (CV): Die österreichischen Verbindungen trotzten der nationalsozialistischen Versuchung.

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Die Verbindungen zur Christlichsozialen Partei und deren wachsende Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bestimmten auch das Verhältnis der österreichischen CV-Verbindungen zur nationalsozialistischen Bewegung.

Mit zunehmender Bindung an die Altherrenschaft und die Christlichsoziale Partei schwenkten die Verbindungen immer mehr auf eine ablehnende Haltung ein, nachdem bis Anfang der dreißiger Jahre noch keine klare Haltung erkennbar war.

Zwei Faktoren, die eine scharfe Ablehnung des Nationalsozialismus nicht zuließen, waren die keineswegs strikte Ablehnung durch Bundeskanzler Ignaz Seipel und die Nähe zur Heimwehr und damit faschistischer Ideologie.

1931 beschloß der Wiener Car-tellverband (WCV) zwar die Unvereinbarkeit mit der Mitgliedschaft bei nationalsozialistischen Parteiorganisationen, 1932 wurde die Unvereinbarkeit jedoch wieder diskutiert.

Daß trotz der Uneinsichtigkeit in unüberwindliche ideologische Differenzen die österreichischen Verbindungen weitgehend immun gegen nationalsozialistische

Unterwanderung waren, hatte politische Gründe. Zwar war die Christlichsoziale Partei bis zum Anwachsen der Nationalsozialistischen Partei kein profilierter Gegner des Nationalsozialismus, nationalsozialistische Unterwanderung der Partei gab es aber nicht.

Die Nähe der Verbindungen zur Partei bestimmte auch in der Stellung zu den Nationalsozialisten die Haltung der Verbindungen. Die Abhängigkeit von der Partei bildete den Schutzschild gegenüber der Infiltration von Nationalsozialisten, das Bewußtsein ideologischer Unvereinbarkeit entwickelte sich zu spät, teilweise auch unvollkommen, um als Mittel der Immunisierung zu dienen.

1933 änderte sich die Haltung der österreichischen Verbindungen zum Nationalsozialismus schlagartig. Die Gründe dafür waren aber hauptsächlich realpolitischer, nicht weltanschaulicher Natur.

Der Prozeß, der zur Abtrennung des österreichischen Verbandsteiles führte, hatte seinen Ursprung in der immer weitergehenden Unterwanderung des deutschen Verbandsteiles durch die Nationalsozialisten.

Der Antrag vom 8. Mai 1933, der den Ausschluß von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und Minister Carl Vaugoin forderte, hatte zur Folge, daß sich sämtliche Ortsverbände hinter beide Exponenten des österreichischen Verbandsteiles stellten. Eine Anzahl Verbindungen verlieh Dollfuß aus Protest die Ehrenmitgliedschaft, aus der Altherrenschaft bekam Dollfuß diverse Unterstützungserklärungen.

Als die Vorsitzende Verbindung Aenania am 10. Juli 1933 bekanntgab, daß der auf statutenwidrige

Weise zum neuen Führer des CV ernannte Edmund Forschbach, gleichzeitig nationalsozialistischer Landtagsabgeordneter, Dollfuß und alle der österreichischen Bundesregierung angehörenden Cartellmitglieder aus dem Verband ausgeschlossen hatte, nahm der österreichische Verbandsteil von diesem Vorgang kaum mehr Notiz. Defacto war die Entscheidung über die Abspaltung in Österreich schon gefallen.

Von wesentlicher Bedeutung bei der Separation der österreichischen Verbindungen von den deutschen war die Abstimmung über die Wiederaufnahme von Nationalsozialisten in die Verbindungen, die eine Folge der Haltungsänderung der deutschen Bischöfe war.

Gegen den am 25. Mai 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten gestellten Antrag traten die österreichischen Verbindungen fast geschlossen auf, während annähernd sämtliche deutsche Verbindungen dafür stimmten.

Das Abstimmungsergebnis und die Beschlüsse in vielen österreichischen Verbindungen im Mai und Juni 1933, keine Nationalsozialisten aufzunehmen, im Gegenteil sogar noch Säuberungen vorzunehmen, wurde von den deutschen Verbindungen als Affront aufgefaßt.

In einer Erklärung, die bis zum 10. Juni 1933 von den österreichischen Verbindungen verlangt wurde, sollten die Verbindungen auch unterschreiben: „Da eine Stellungnahme von kirchlicher Seite zum Nationalsozialismus nicht vorliegt, lehnt es die Verbindung ab, auf ihre Mitglieder in dieser Frage Einfluß zu nehmen."

Da keine österreichische Verbindung die Erklärung, die eine nationalsozialistische Unterwanderung der Verbindungen ermöglicht hätte, unterschrieb, kam es zur Trennung der Verbandsteile.

Aus: CV IN OSTERREICH 1864-1938. Organisation. Binnenstruktur und politische Funktion. Von Gerhard Popp. Schriften des Karl von Vogelsang-Institutes, Verlag Bühlau, Wien-Graz-Köln, 1984. 383 Seiten, 13 Seiten Abb. und Dokumente, geb., öS 696,—.

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