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Säule der Mutter

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Hier ist der Fluß gestaut. Unter der Uferböschung, vor dem eisernen Landungssteg scheint er stillzustehen oder gar rückzufluten. Erst weiter draußen kann an einem treibenden Blatt, einem schwimmenden Hölzchen, an der flachen flüchtigen Muschelung, die ein schnappendes Fischmaul hinterläßt, die stärkere Strömung abgelesen werden. Sie ist zügiger als vermutet. Auch Schleusen saugen an.

Jenseits des Flusses steht der steile laubüberwölkte Hang unter fleckigem Abendhimmel und den gelben Mauern der bayerischen

Neuburg. Der Turm — abgedeckt und eingerüstet. Am Hauptbau ist auch jetzt b’ei sinkender Dämmerung der gemalte Kruzifixus auszumachen. Wie schon so manches Mal wundere ich mich, daß das Fresko an der wetteroffenen Wand noch nicht zerstört ist. Es muß haltbar gemalt worden sein.

Hier auf der österreichischen Seite ist ein anderes Kunstwerk zu sehen. Es steht inmitten einer kleinen Wiesenbucht und unmittelbar am Ufer; dahinter ein altersgrauer burgartiger Rest, in ihn ist ein kleines Nonnenkloster eingebaut. Die Nonnen führen einen Kindergarten. Besucher können die Kleinen zwischen Kloster und Burgfried tagsüber spielen und auf ihren Schaukeln hutschen sehen.

Hier aber, in der Wiesenbücht, was ich soeben Kunstwerk nannte: eine Mariensäule, die gleiche, die Am Hof in Wien steht, fast die gleiche; diese hier, im dörflichen Wernstein das Original, dort die Kopie. Dieser Umstand macht sie mir merkwürdig.

Mir wurde erzählt: Als sich die Türken Wien näherten, flüchtete man, wohl mit anderen zahllosen Schätzen, auch die Säule stromaufwärts. Man brachte sie zu Schiff nach Passau, bog dann aber von Passau noch einmal innauf- wärts ein. Vor einer neuen Engstelle des Flusses löschte man die Fracht: Postament, Säule, Putten und die Figur der Jungfrau. Vielleicht lag das alles eine Weile stückweise am Ufer. Eines Tages setzte man das Werk zusammen. Nun steht es da, an die dreihundert Jahre.

Daß die Wiener, inzwischen längst entsetzt und gerettet, die Säule entbehrten, kümmerte hier wenig. Man behielt das Heiligtum. Eines Tages hörte man davon, in Wien habe man eine Ersatzsäule aufgestellt, umso besser! Umso sicherer war man, die Säule hier behalten zu können, Maria Jungfrau, Mutter, Königin, so hieß es im Lied, und in der. Lauretani- schen Litanei: Du Arche des Bundes, du Morgenstern, du Heil der Kranken…

Ich schaue die Säule mit nüchternen Augen an. Hab ich sie eben ein Kunstwerk genannt… ? Ein großes Kunstwerk ist sie nicht. Die behelmten gepanzerten Putten: dicke Bengel, die mit Krummschwertern auf imaginäre Feinde einhauen. Von Maria ist nicht viel mehr auszumachen als ein fließendes Gewand und, daß sie die Hände erhoben hält. Am besten gefällt mir die Säule, sie ist schlank, zart, der Schaft von leichtem Rankenwerk umsponnen. Diese Säule hat kein grober Steinmetz, sie hat sublimer Formsinn entworfen. An ihr zeigen sich Kraft und Geist.

Wieder einmal suche ich mir auszumalen, wie es zuging, als man die Säule in Wien abbrach und verschiffte. Warum? Vielleicht hielt man sie für wundertätig, vielleicht wollte man sie deshalb nicht der Gefahr aussetzen, in die Hände des östlichen Feindes zu fallen, eines Feindes, von dem es in Schaudermären hieß, er verachte die himmlische Königin, ja, er verachte wohl jede Frau, da er ihr ewige Seele und Unsterblichkeit absprach?

Auch wir haben es nicht mehr so leicht mit Maria, der Mutter Jesu. Die Älteren von uns haben es noch erlebt, daß sie die Zentralfigur des Kultes war. Natürlich sollte sie, laut Katechismus und Lehre, immer nur als das reinste und beste Geschöpf verehrt und angerufen werden, begnadet, doch weder allmächtig noch allwissend. Dennoch blendete sie der Glanz, den man so reichlich über sie ausgoß, in den Glanz Gottes hinein. Was sie von Gott erbat, wurde allzeit gewährt, und niemand konnte sich vorstellen, daß vor ihr, der Himmelskönigin irgend etwas verborgen bleiben konnte. So war sie doch so gut wie allmächtig und allwissend? Ja, so gut wie: nahezu göttlich.

Die Theologen warnten und schüttelten die Köpfe. Aber das Heer der einfachen Pfarrer, Kooperatoren, die Armeen der geistlichen Schwestern, der Sodalinnen und Marienkinder ließen sich nichts nehmen von ihrer süßesten Jungfrau. Alle sich bietenden Gelegenheiten, Maiandacht, Begräbnisse, Wallfahrten, Prozessionen, vereinigten das Volk im großen Mariengebet, im Rosenkranz.

Es ist merkwürdig, wenn in einer großen alten wohlfundierten Lehre die Gewichtungen vom Zentrum abwandern, um sich in Außenbezirken niederzulassen. Das abendländische Christentum hat das alles schon einmal erlebt: im Spätmittelalter wanderten die religiösen Energien zentrifugal über Maria in Richtung eines vielköpfigen Areopags Heiliger und Seliger ab. Hier blühten die Legenden und drohten das Evangelium zu ersticken.

Luther, doch nicht Luther allein, hat dem ein Ende gemacht. Man hatte plötzlich genug von dem Gewimmel der Nothelfer, Bekenner, Märtyrer. Man stürmte gegen die Bilder, verbrannte die Altäre. Man verbrannte zugleich die in tausend Gestalten blühende Phantasie. Man wollte von nun an wieder streng und zentripetal auf Gott und Christus gerichtet sein.

Die Gegenreformation führte Maria und eine Schar Heiliger wieder zurück auf die Altäre. Freilich wachte die Lehre jetzt strenger als zuvor darüber, daß die Legende nicht hemmungslos in Märchen und Aberglauben auswucherte. Das Bild der Gottesmutter war dogmatisch streng Umrissen. Nicht einmal der Schub der Aufklärung brachte es um seine maßstabsetzende Kraft. Klassik und Romantik zehrten davon. „Willst du genau erfahren, was sich ziemt, / so frage nur bei edlen Frauen an!” Das Weibliche zog hinan, so wollte es eine bürgerlich eingefriedete Kultur; jede irdische Mutter gewann von der Aura der göttlichen. „Wenn du noch eine Mutter hast, so danke Gott und sei zufrieden!” Die weiß- und blaßblaue Schöne Dame der Bernadette wurde zum vielumrätsel- ten Mysterium des 19. Jahrhunderts.

Jetzt ist wieder alles anders. Mutterwürde- gar Mutterheiligkeit: niemand will noch etwas davon wissen. Mütter sind zwar immer noch unentbehrlich. Aber als absolute, nicht hinterfragbare Lebensmacht sind sie entthront. Mutter ist man heutzutage auf Zeit- und Karenzurlaub. Das Kind steckt noch in den Windeln, da strecken schon Staat und Gesellschaft ihre Hände danach aus; es wartet die Krippe, später die Ganztagsschule, noch später steht das System der Versicherungen bereit, Schutzmantelfunktionen auszuüben. Die Säule Mutter ist in unserer Zeit gestürzt, der Eckstein Mutter ist ausgegraben. Auch die Mutter ist hinterfragt.

Wir Österreicher haben uns -r es ist noch gar nicht so lange her—etwas darauf zugute getan, ein frommes Volk zu sein. Da hieß es etwa: Tirol- regnum sanctissimi cordis; oder die Muttergottes von Zell: Magna mater Austriae. Die se Epitheta wagt heute niemand mehr anders als mit Bitterkeit auszusprechen. Man hat sich anderen Schutzmächten verschrieben, handfesteren, (scheinbar) berechenbaren. Zwar fällt niemandem ein, der Maria von Zell das seidene Kleid oder einen Stein in der Krone streitig zu machen. Demnächst wird sogar ein Papst vor ihr knien. Aber was soll ihre Landesmutterschaft, solange in der Hauptstadt und an anderen Orten täglich und stündlich so viele kleine Kinder durch die Abwasserkanäle hinuntertreiben?

So werden Prägungen zu Fratzen, Weihen zu Traumata.

Die Angleichung an den Jahrhundertstil schreitet fort. Wir schwimmen mit dem Strom. Wer wagt es noch, flußaufwärts zu rudern? Gibt es noch Leute, die das Bild zu retten versuchen? Bis zu den Quellen, bis zu den Ursprüngen kann heute wohl niemand mehr zurück. Sollen wir uns damit zufriedengeben, wieder einmal eine schmale Wiesenbucht zu entdecken, einen Ort der Wiederherstellung und belebender Bleibe, im Dämmerlicht unserer Zeit?

Hoffen wir doch, daß uns dort die Mutter erwartet, dem Gekreuzigten gegenüber.

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