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Saftige Revanche an Ronald Reagan

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Selten wurde das Buch eines Ex-Politikers mit soviel Getue angekündigt wie das von Reagan's Schützling David Stockman. Sein Werk zerriß den Schleier über Amerikas Mächtige.

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Selten wurde das Buch eines Ex-Politikers mit soviel Getue angekündigt wie das von Reagan's Schützling David Stockman. Sein Werk zerriß den Schleier über Amerikas Mächtige.

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Er war ein 34jähriger, unbekannter Hinterbänkler im Repräsentantenhaus, als ihn Präsident Ronald Reagan im Jahr 1981 auf einen der wichtigsten Posten in seinem Kabinett berief und ihn zum Budgetdirektor — eine Funktion, die in den USA aus dem Finanzministerium ausgegliedert* ist — machte. In den folgenden viereinhalb Jahren machte er sich mehr Feinde als Freunde, was in Washington offenbar noch viel leichter ist als anderswo.

Vor neun Monaten warf er schließlich das Handtuch und

übersiedelte in die Wall Street zur angesehenen Broker-Firma Salo-mon Brothers, wo er ein Vielfaches seines bisherigen Einkommens verdient: David Stockman, ein Mann von brillantem Intellekt, ehrgeizig und kompetent, aber ein Tolpatsch auf dem spiegelglatten Parkett der Politik.

Schon seit vielen Jahren, vielleicht seit Jahrzehnten, wurde

kein Buch mit so viel Getue und Geheimniskrämerei auf der? Markt gebracht wie David Stock-man's Erstlingswerk. Kein Wunder, gilt es doch, die Erstausgabe von 325.000 Exemplaren an den Mann zu bringen, um die gigantischen Kosten zu decken, die der Verlag auf sich genommen hat.

• Acht Tage vor dem Erscheinungs-Datum druckte das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ den ersten Teil eines Auszuges ab. Die Exklusivrechte hatte das Magazin für eine Viertelmillion Dollar erworben.

• Der Verlag sorgte dafür, daß bekannt wird, daß Herr Stockman einen Honorar-Vorschuß in Höhe von 35 Millionen Schilling erhielt.

• Sechs Tage vor dem Stichtag brachte die Fernsehstation ABC in einer weitverbreiteten Sendung ein vorher auf Band aufgenommenes Stockman-Interview, über dessen Inhalt bis zum Sen-de-Termin strengstes Stillschweigen bewahrt werden mußte.

• Drei Tage vor dem Startschuß folgte ein anderes TV-Interview mit dem Autor.

• Einen Tag vor dem großen Ereignis erschien die zweite Folge des Vorabdruckes in „Newsweek“, und dann folgte schließlich eine Pressekonferenz, veranstaltet vom Verlag, die den Auftakt für einen dreiwöchigen Werbefeldzug bildete.

Was für ein Buch ist „The Triumph of Politics“? Sind es Memoiren? Oder ist es eine Einführung in die Finanz- und Wirtschaftspolitik? Es ist weder das eine noch das andere. Es ist ein Konglomerat: Eine mit Anekdoten gespickte Abrechnung mit den Gegnern des Autors und der Versuch einer Rechtfertigung eines Gescheiterten oder zumindest ei-

nes Frustrierten, befrachtet mit einer gehörigen Portion Schuldzuweisung an seine Widersacher und mit einem gerüttelten Maß an Selbstbeschuldigung. Es ist ein Buch, das nicht etwa wegen seines literarischen Wertes — sein Stil ist eher trocken, nur manche Anekdoten sind saftig —, sondern in Hinblick auf die Person des Autors interessant ist.

Nach Ansicht von David Stockman hatte sich die sogenannte Reagan-Revolution zum Ziel gesetzt, „den amerikanischen Wohlfahrtsstaat frontal anzugreifen und die Regierungsfunktionen zu reduzieren...,. Diese Revolution wollte mit dem Flickwerk von Abhängigkeiten, staatlichen Schutzmaßnahmen und Umverteilungsprozessen aufräumen.

das die Politiker seit Jahrzehnten hegten und pflegten.“

Die 30prozentige Kürzung der Einkommensteuer sollte die Staatseinnahmen drastisch verringern, um so den Abbau des Wohlfahrtsstaates auf fiskalischem Weg zu erzwingen.

Nach Ansicht Stockman's ist diese Revolution gescheitert, und zwar aus verschiedenen Gründen. Vor allem deswegen, weü sie gegen

„zu mächtige Kräfte, Interessen und Impulse der amerikanischen Politik“ gerichtet war. Aber sie war auch deswegen zum Scheitern verurteilt, weil es ein „Fehler war, Präsident Reagan in das falsche Lager zu locken ... Die Ökonomen hätten damals erkennen sollen, daß der Präsident ein Konsens-Politiker und kein Ideologe ist... Es war niemals seine Sache, eine Revolution herbeizuführen, denn das liegt ihm nicht, er ist einfach kein Revolutionär.“

Auch die Rechnung mit dem Austrocknen der Staatseinkünfte ging nicht auf: Was geschah, war nicht der Abbau des Wohlfahrtsstaates, sondern das kolossale

Anschwellen der Budgetdefizite, die seit dem Amtsantritt des Präsidenten von rund 1000 Milliarden Dollar auf mehr als das Doppelte hinaufschnellten.

Die Frage, ob der Autor mit diesen und anderen Behauptungen recht hat, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Die erste Frage ist, ob die Prämisse, daß die sogenannten Reagan-Revolution gescheitert ist, stimmt. Es gibt da recht unterschiedliche Standpunkte. Man kann — und das werden die Opposition und die Gegner Reagan's sicher tun — die Ansicht des Autors teilen. Man kann aber auch ganz anders argumentieren: Die massive Steuersenkung hat den privaten Konsum stimuliert, die Wirtschaft angekurbelt, zu tief reduzierten Infla-

tionsraten und zu sinkenden Zinsen geführt und den USA einen Aufschwung gebracht, der jetzt schon dreieinhalb Jahre lang andauert und dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

Sicherlich hat Stockman recht, wenn er behauptet, daß Reagan letzten Endes doch nicht bereit war, den Sozialstaat abzubauen. Das zeigte sich am deutlichsten, als es darum ging, das staatliche Pensiqnssystem (Social Security System) zu reformieren, sprich: die Pensionen zu kürzen.

Aber auch in einem anderen Punkt muß man Stockman recht geben. Nämlich, daß die viel zu hohen Budgetdefizite auf die Dauer untragbar sind. „Wenn hier keine Lösung gefunden wird, werden die Probleme, die die (amerikanische) Wirtschaft in den letzten fünf Jahren plagten, nämlich zu geringe Sparquote, zu hohe Abhängigkeit von einströmendem Auslandskapital, ein zu hohes Handelsbilanzdefizit, zu viel Arbeitslosigkeit und zu geringer Produktivitäts-Zuwachs aller Wahrscheinlichkeit nach weiter wirksam bleiben.“

Energisch widersprechen muß man hingegen dem Autor, wenn er meint, die USA befänden sich auf einem verhängnisvollen wirt-

schaftspolitischen Kurs. Das stimmt einfach nicht. Wenn man das empfindlichste Wirtschaftsbarometer, nämlich die Börse, betrachtet und sich die sonstigen, sehr kräftigen Lebenszeichen der amerikanischen Wirtschaft, vor allem die sinkenden Zinsen und den hohen Beschäftigungsstand vor Augen hält, ist Stockman's Behauptung unhaltbar.

Trotz aller Einwände, die gegen den „Triumph der Politik“ sicherlich vorgebracht werden dürften, nämlich mißlungener Buchtitel, mäßiger Stil, fragwürdige Enthüllungen etc., ist das Buch doch viel mehr als-eine Abrechnung.

Es zerreißt einen bisher wohlgehüteten Schleier, der über die Art, wie in Amerika Politik gemacht wird, gebreitet ist. Dadurch wird es zum Leckerbissen für das politische Establishment Washingtons, aber auch für alle sonstigen Insider. Für den österreichischen Leser ist es insofern interessant, als es einen exzellenten Einblick in die Welt der Regierenden bietet und als es zeigt, daß die sogenannten „Mächtigen“ viel weniger Macht haben, als der Durchschnittsbürger glaubt. Stockman weist nach, daß sie viel öfter reagieren als agieren und daß sie viel mehr Getriebene als Treibende sind.

Der Autor ist Leiter der Repräsentanz der Genossenschaftlichen Zentralbank AG, New York.

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