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Sakrale Bauten — warum so steril ?

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Der Autor, aus einer Lemberger Familie stammend, war bis vor kurzem Professor an der Technischen Universität in Warschau. Seit 1981 lebt und lehrt er in der Bundesrepublik Deutschland.

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Der Autor, aus einer Lemberger Familie stammend, war bis vor kurzem Professor an der Technischen Universität in Warschau. Seit 1981 lebt und lehrt er in der Bundesrepublik Deutschland.

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„Schau, was ist das? Ist es ein Feuerwehrhaus oder ein Rathaus oder vielleicht eine Kirche?" Solche und ähnliche Fragen kommen auf bei der Wahrnehmung der meisten Bauten der gegenwärtigen sakralen Architektur.

Es ist gleich, ob wir über die Moderne oder Post-Moderne sprechen — eine klare Darstellung der Art des Gebäudes ist immer noch ein nicht umstrittenes fundamentales Prinzip der gegenwärtigen Architektur. Anders gesagt: eine Kirche soll wie ein Kirche aussehen, ein Wohnhaus wie ein Wohnhaus und eine Feuerwehr wie eine Feuerwehr.

Die zweite Frage lautet, ob und in welchem Grad die moderne sakrale Architektur die geistigen und geistlichen Bedürfnisse des Menschen deckt. Hat der Gläubige sein Kirchengebäude gern? Fühlt er sich in dessen Innenraum wohl?

Seit der Zeit des Funktionalismus in der Architektur wird den physischen Bedürfnissen des Menschen, des Nutzers der Architektur, immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Diese Bedürfnisse werden immer perfekter befriedigt. Jedoch ist die ganze, sehr breite und komplizierte Sphäre der geistigen Bedürfnisse des Menschen ständig unterschätzt und zu wenig in der architektonischen Aussage berücksichtigt.

Wir haben es zur Zeit mit einer Belastung und Bedrohung auch der psychischen Umwelt des Menschen zu tun. In dieser Belastung spielt die Architektur, wie sie gegenwärtig ausgeführt ist, oft eine destruktive Rolle. Sie kann verschiedenartige Gegensätze und Streßeinwirkungen auf den Menschen mitverursachen; Chaos in der Zeichengebung und Desinformation sowie Bombardieren des Menschen mit nicht gewünschten Informationen, akustischer Uberdruck, Mangel an Intimität an Wohn- und Arbeitsplätzen, Neurosen als Folge der Nutzung der nicht genügend menschenfreundlichen Architektur.

Die Architektur der letzten Jahrzehnte hat vor allem das Gefühl der räumlichen Ordnung des Menschen befriedigt. Sie hat auch Informationen überliefert: über den Charakter und die Bestimmung des Gebäudes und manchmal auch „Ehrlichkeits"-Infor-mation über die Konstruktion des Objektes, über Baumaterialien, über deren Funktion, usw. Die Architektur wirkte auch auf das ästhetische Gefühl, jedoch nur mit Hilfe abstrakter Elemente: abstraktem Baukörper und dessen Einteilung, Oberflächengestaltung, Details.

Rationalismus und Spiel der sterilen abstrakten Form haben aber die psychischen Bedürfnisse des Menschen nur zu einem geringen Teil befriedigt. Ganze Bereiche der menschlichen Empfindr lichkeit wurden mißachtet.

Der Mensch, auch der gegenwärtige hochzivilisierte Mensch, hat viele, oft unbewußte, scheinbar „unrationelle" Bedürfnisse. Es sind subjektive Wünsche, oft unbewußte Träume, Gewohnheiten, Hoffnungen, Ängste, atavistische Reaktionen, weiter das Streben nach einer Sublimierung des menschlichen Lebens: Religion, Ideologie, Liebe — Bedürfnis nach Poetischem, des Sacrum. Wie kann man diese Bedürfnisse der menschlichen Seele mit architektonischen Mitteln befriedigen?

In den meisten großen Städten hat man mit einer gewissen Mischung von ethnischen Gruppen, Nationalitäten und mit verschiedenartigen soziologischen Phänomenen zu tun. Für diese Gruppen ist das Bedürfnis des Sacrum, des Poetischen besonders stark: als Hilfe gegen Ängste in einer Lage, in der die alten Wertsysteme nicht mehr gültig sind und man sich mit den neuen noch nicht identifizieren kann. Wie steht es mit der gegenwärtigen sakralen Architektur? Sind in den heute ausgeführten Kirchen und Kapellen die geistigen und geistlichen Bedürfnisse des Menschen berücksichtigt?

Was sucht der Mensch in der Kirche von heute? Sucht er einen sterilen abstrakten Raum, in dem er sich versammelt wie zum Beispiel in einem großen Konferenzsaal seines Arbeitgebers oder in Räumlichkeiten, wo Konzerte und andere Aufführungen stattfinden?

Warum will man oft die Grenzen zwischen dem Kirchenbau und anderen Arten von öffentlichen Gebäuden verwischen?

Während meiner Professorentätigkeit an der Technischen Hochschule Darmstadt habe ich den Hörern ein Thema als Aufgabe gestellt: eine kleine Andachtskapelle für Frankfurt, mit der Zielsetzung, eine intensive poetische Ausstrahlung zu erreichen. Diese Lehraufgabe habe ich mit einem meiner Kollegen, einem sehr bekannten Kirchenbauer der protestantischen Kirche, besprochen. Und charakteristisch war seine Bemerkung und Furcht, daß eine solche Aufgabenstellung zu sehr ins „Sentimentale" gehen würde.

Aber wenn im Menschen eine gewisse Sentimentalität vorhanden ist, warum soll sie als etwas Abwertendes gelten? Warum kann der heute zu rationalistischer Haltung gezwungene Mensch nicht irgendwo einen Platz finden, wo seine sentimentalen, poetischen, romantischen, mystischen, sogar mysteriösen Sehnsüchte ihre Erfüllung finden? Warum muß der gegenwärtige Mensch immer so stark sein, um mit einer kalten, sterilen, rationellen Architektur fertig zu werden?

Warum schwächt sich die gegenwärtige Kirche, indem sie auf die breite Wirkung ihrer sakralen Architektur oft verzichtet?

Wundern wir uns, daß die Zahl der Kirchenbesucher sinkt? Natürlich liegt das nicht nur an der Wirkung der sakralen Architektur, aber daß wir in einer modernen Kirche fast nie einsam betende Personen finden (im Gegensatz zu historischen Kirchen), ist nur auf die Beschaffenheit der sakralen Architektur zurückzuführen.

Die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Menschen bedeutet nicht, daß wir auf die Gestaltung eines künstlerisch anspruchsvollen Bauwerks verzichten müssen. Nein, im Gegenteil. Während meiner langen Tätigkeit als Architekt war es immer so: Wenn ich mich von verschiedenen Beratern und genehmigenden Stellen überzeugen ließ, daß meine Architektur vielleicht vom einfachen Menschen nicht verstanden wird, war die Ausführung ein Mißerfolg -eben bei den einfachen Menschen. Und in den Fällen, wo ich die Kühnheit der architektonischen Lösung gerettet habe, wurde die architektonische Lösung von, den Menschen voll angenommen.

Dank Herrn Kardinal Volk, Bischof von Mainz, und dessen Baudezernent habe ich zur Zeit die Möglichkeit, eine kleine Kirche in Leeheim, in der Umgebung Darmstadts zu entwerfen. Leeheim ist ein kleiner Ort, der mit gesichtlosen Einfamilienhäusern bebaut ist. Da die Kirche klein sein soll, kann sie sich von der Wohnbebauung nicht durch ihre Größe und die traditionelle Wirkung einer Silhouette des kirchlichen Gebäudes, sondern nur durch ihre intensiv sakrale Form von der Umgebung unterscheiden.

Es ist eine Marienkirche, und ich habe mir Mühe gegeben, in der Form des Gebäudes das Mütterlich-Weibliche und sogar das Kö-

nigliche in einem gewissen Maß zum Ausdruck zu bringen.

Architektur ist eine visuelle Kunst, die man nicht mit zuviel Worten beschreiben soll. Da ich noch dabei bin, mich mit dem Problem des Entwurfs auseinanderzusetzen, werde ich jeden Leserbrief als Hilfe in meiner schöpferischen Arbeit sehr begrüßen.

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