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Salamisdieibe Kambodscha

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Nachdem Vietnam und die anderen südostasiatischen Kriegsschauplätze längere Zeit von der Titelseite amerikanischer Blätter verschwunden waren, herrscht zur Zeit in Washington wieder Krisenstimmung. Diesmal über die Zukunft Kambodschas. Schwere amerikanische Bomber vom Typ B 52 versuchen, die die Hauptstadt Phnom Penh umkreisenden Truppen verschiedener kommunistischer Couleur zu stoppen oder zumindest den Zugang über den Mekong offenzuhalten.

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Nachdem Vietnam und die anderen südostasiatischen Kriegsschauplätze längere Zeit von der Titelseite amerikanischer Blätter verschwunden waren, herrscht zur Zeit in Washington wieder Krisenstimmung. Diesmal über die Zukunft Kambodschas. Schwere amerikanische Bomber vom Typ B 52 versuchen, die die Hauptstadt Phnom Penh umkreisenden Truppen verschiedener kommunistischer Couleur zu stoppen oder zumindest den Zugang über den Mekong offenzuhalten.

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General Haig, einer der militärischen Berater Nixons für Südostasien und Stellvertreter Kissingers bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit Hanoi, wurde auf eine Erkundungskommission in mehrere Hauptstädte des Raumes entsandt, um, wie ein Regierungssprecher offen erklärte, die Situation realistisch zu beurteilen und zugleich Nixons „schwindende Geduld“ mit Hanoi zum Ausdruck zu bringen. Der Präsident hatte ja schon mehrere Male mit Vergeltungsschlägen gedroht, wenn weitere militärische Interventionen der Kommunisten das labile Waffenstillstandsgebäude bedrohen sollten. Kambodscha, das, im Gegensatz zu Laos, in keinerlei Waffenstillstandsabkommen einbezogen werden konnte, ist aber für Saigon von lebenswichtiger strategischer Bedeutung, da ein kommunistisches Regime in Phnom Penh Südvietnam völlig einkreisen würde. Schon im jetzigen Zustand bildet die von Kommunisten beherrschte Ostflanke des Landes einen gefährlichen Aufmarschraum, der die Hauptstadt Saigon latent bedroht.

Während aber in Laos die verschiedenen politischen Fraktionen wenigstens auf dem Papier ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet haben, ist ein solches in Kambodscha kaum zu erreichen. Der prowestlichen Regierung unter Mar-

schall Lon Nol, die, wie die meisten ähnlich orientierten Regierungen, in Kongreßkreisen Washingtons der Korruption und Unterdrückung bezichtigt wird, stehen mindestens zwei, wenn nicht drei kommunistische Gruppen gegenüber. Die eine wünscht den abgesetzten Staatschef Sihanouk aus dem Pekinger Exil zurück, die andere Gruppe, vermutlich unter sowjetischem Einfluß, will nichts vom rotchinesischen Prinzen wissen — und schließlich kämpft in Kambodscha noch ein schlagkräftiges Kontingent nordvietnamesischer „Regulärer“, welches die Brücke zu den Vietkongpositionen in Südvietnam bildet. Alle drei kommunistischen Fraktionen sind geeint in dem Bestreben, das prowestliche Regime Lon Nol zu stürzen, egal, ob dieser nun — offenbar auf amerikanisches Drängen — seine politische Basis durch Einbeziehung einiger dissidenter Politiker zu erweitern versucht oder nicht. Wohl hatte Hanoi in Paris Kissinger zugesagt, es werde sein Gewicht für eine Einstellung der Kampfhandlungen in Kambodscha einsetzen. Aber inzwischen wissen auch die wenigen Gutgläubigen, daß Hanoi bloß eine Art von Frieden kennt, den Frieden nämlich, der einem militärischen Sieg folgt und ein vereintes kommunistisches Südostasien zum Ziel hat. Diese Erkenntnis hat sich auch in der amerikanischen Regierung durchgesetzt,

nachdem in den kommunistischen Aufmarschgebieten Südvietnams Truppen und Waffen in einem Ausmaß zusammengezogen worden waren, das ausreichen würde, eine Offensive vom Typ jener des Vorjahres zu starten. Neue Waffen, vor allem modernste Raketen sowjetischen Ursprungs, bereiten der amerikanischen Luftwaffe Kopfzerbrechen, und die täglichen militärischen Zusammenstöße haben bereits Dimensionen erreicht, die dem Zustand vor dem Waffenstillstand gleichkommen.

In Kongreßkreisen Washingtons hat sich daher auch die Anti-Saigon-Stimmung etwas gelegt. Präsident Thieu hat bei seinem Besuch in 3er Hauptstadt nicht nur bei .Parlamentariern, sondern auch bei der Presse einen durchaus kompetenten md soliden Eindruck hinterlassen —

obgleich Vertreter der Formel „Demokratie um jeden Preis“ weiterhin knurren. Zugleich hat der Abschuß zweier Hubschrauber der Waffenstillstandskommission durch Viet-kongguerilleros, wobei Kommunisten und Neutrale ums Leben kamen, das Gefühl aufkommen lassen, daß man

mit Fanatikern dieser Art einfach nicht zusammenarbeiten könne. In dieses Bild fügt sich auch harmonisch die Nachricht, daß die Viet-kongs die Überreste der abgeschossenen Maschinen um etwa 20 Meilen „verlegen“ ließen, um die Version zu bekräftigen, die Maschinen seien vom vereinbarten Kurs abgewichen.

Von einer Wiederaufbauhilfe an Hanoi wird heute in Washington kaum noch geredet. Für dieses Projekt eine Mehrheit im Kongreß mobilisieren zu können, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sehr

übrigens die Stimmung im Lande umgeschlagen hat, beweist eine Rede des „verunglückten“ Kandidaten der Demokraten für den Posten des Vizepräsidenten, des Senators Eagleton. Er beschwor wehmütig die Zeit der großen Protestdemonstrationen, der Studentenaufmärsche und Protesttelegramme und führte darüber Klage, daß seit der Heimkehr der Truppen und Kriegsgefangenen jegliches moralische Interesse an Vietnam im Lande erloschen sei.

Trotz aller alarmierenden Nachrichten wurde nach der Rückkehr General Haigs im Weißen Haus die Parole ausgegeben, die Dinge vorerst nicht zu dramatisieren. Die ersten Schiffe sind nach Phnom Penh durchgebrochen, und wenn es dort wirklich zu einer ernsten Verknappung käme, würden amerikanische Transportmaschinen die Versorgung aufrechterhalten.

Auch innenpolitisch kann Nixon momentan keine neue Südostasienkrise brauchen. Die Erhöhung des Preisniveaus und die abstruse Geschichte der politischen Spionage gegen Demokratische Kandidaten im Wahlkampf — zusammengefaßt unter dem Stichwort Watergate — zehren an seiner Popularität. Der Besuch Breschnjews in der amerikanischen Hauptstadt steht vor der Tür, und Nixon hofft offensichtlich, Moskau neuerlich zu einer Intervention in Hanoi veranlassen zu können. Moskau hat der Befriedigung seiner Westflanke und einer Abkürzung des Weges zu besseren und billigeren Konsumartikeln für seine Bevölkerung hohe Priorität eingeräumt.

Es scheint daher, daß eine Wiederaufnahme der Bombardierung Nordvietnams bloß als Antwort auf eine massive Offensive Hanois parat gehalten wird — die wiederum nicht wahrscheinlich ist, solange Hanoi durch Salamitaktik sein Ziel zu erreichen scheint.

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