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Salz in die offene Wunde

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Das Abtreibungsmittel RU 486 (FURCHE 16 und 37/1990) wird in absehbarer Zeit nicht in Österreich zur Anwendung kommen, mag auch Gesundheitsminister Harald Ettl darauf drängen und just dem auf Abtreibungen spezialisierten Am- bulatorium für Schwangerenhilfe auf dem Wiener Fleischmarkt durch eine Ausnahmeregelung die Ein- fuhr dieses Präparates genehmigen.

Eine Klarstellung der Firma Hoechst, der Mehrheitseigentü- merin der französischen Herstel- lerfirma von RU 486, Roussel Uc- laf, besagt, daß RU 486 bis auf wei- teres nur unter strengsten Kontrol- len in französischen Spezialzentren eingesetzt wird: „DieBehörden und Roussel Uclaf überwachen den Vertrieb. Klinikärzte und Klinik- apotheker müssen die Verordnung des Präparates exakt in jedem Ein- zelfall dokumentieren."

Hoechst-Pressesprecherin Irm- gard Bayer betonte gegenüber der FURCHE, daß ein Einsatz von RU 486 nur in Ländern in Frage kommt, wo erstens ähnlich scharfe Abga- bekontrollen gesichert sind (der Giftverschleiß im Pavillon V des Krankenhauses Wien-Lainz dürfte das Vertrauen gegenüber Österreich kaum erhöht haben) und zweitens die Abtreibung gesellschaftlich akzeptiert ist, also für die klare Mehrheit der Bevölkerung außer Streit steht. In Frankreich war für die Zulassung auch ein gewisser Druck des Staates, der damals grö- ßere Anteile an Roussel Uclaf besaß als jetzt, maßgeblich, nun sollen in Großbritannien und Schweden Anträge auf Zulassung des Mittels gestellt werden.

Das Argument Minister Ettls, daß RU 486 auch zu therapeutischen Zwecken (zum Beispiel bei Brust- krebs) und nicht nur zur Abtrei- bung eingesetzt wird, ist einem Artikel von Roussel-Mitarbeitern zufolge (siehe Seite 4) bestenfalls Wichtigtuerei. RU 486 ist derzeit ausschließlich als Abtreibungs- mittel zugelassen. Aber während wirklichlebenserhaltende Mittel oft erst nach Jahren der klinischen Er- probung genehmigt werden, kann sich Österreichs „Gesundheitsmi- nister" gar nicht genug beeilen, einem lebensvernichtenden Präpa- rat grünes Licht zu geben.

Es liegt auf der Hand, daß sich der sonst färb- und erfolglose Mini- ster Harald Ettl in dieser Frage be- sonders profilieren und die SPÖ sich als alleiniger Garant für die Beibehaltung der Straffreiheit der geltenden Fristenregelung präsen- tieren möchte. Das ist schon des- halb mißlungen, weil sich auch die führenden ÖVP-Politiker - ob es einem paßt oder nicht - strikt ge- gen eine Rückkehr zur Bestrafung der Frauen ausgesprochen haben.

Und wenn laut „Kurier"-Schlag-

zeile der Wiener Weihbischof Flo- rian Kuntner namens der Kirche ein „neues Gesetz" fordert, so geht es dabei, wie Kuntner der FURCHE versicherte, nicht um Strafe, son- dern um wirksameren Schutz für das Leben - zum Beispiel durch in- tensivere Beratung, Trennung von beratendem und abtreibendem Arzt, statistische Erhebungen, mehr Hilfe für Mütter in Notsituationen. Kuntner wollte damit ÖVP-Gene- ralsekretär Helmut Kukacka kor- rigieren, der in der ORF-Presse- stunde gesagt hatte, auch die Kir- che habe sich mit der Fristenrege- lung abgefunden.

Daß dieses Gesetz die Tötung unzähliger ungeborener Kinder bis zur zwölften Schwangerschaftswo- che ermöglicht hat und ermöglicht, wird aber nach wie vor von vielen mit Recht als „offene Wunde" be- zeichnet, zumal alle flankierenden Maßnahmen ausgeblieben sind, zumal das Gesetz im Bewußtsein der Menschen die Wertmaßstäbe verschoben hat. Dazu kam, daß jene, die auf den Unterschied zwi- schen Moral und Gesetz hinwiesen, die Abtreibung nie als „Kavaliers- delikt" hinnahmen und sie weiter mit dem altmodischen Wort „Sün- de" brandmarkten, als diejenigen ins Out gedrängt wurden, die „an- deren ein schlechtes Gewissen ma- chen wollen".

Natürlich tut die Fristenregelung jedem, der sich nicht nur für die Kröten in der Hainburger Au, son- dern für den umfassenden Schutz des Lebens von der Empfängnis an (siehe Seite 7) einsetzt, weh, gibt manchen sogar das Gefühl, am Tod der ungeborenen Kinder mit- schuldig zu sein, wenn sie nicht lautstark dagegen opponieren. Aber ihre Einführung war immerhin mit dem Bekenntnis aller politischen Gruppen verbunden, daß Abtrei- bung keine erwünschte Form der Geburtenkontrolleunddaherdurch flankierende Maßnahmen immer mehr zurückzudrängen sei.

Es ist nur logisch, daß sich der grundsätzliche moralische Konflikt verschärft, je weiter sich die Praxis vom erklärten Willen des Gesetz- gebers entfernt, je mehr für den Schwangerschaftsabbruch gewor- ben, je mehr er kommerzialisiert und industrialisiert wird. Hier wird Salz in die offene Wunde gestreut.

Der wahre Skandal ist, daß heute manche Politiker die Fristenre- gelung anscheinend als Auftrag ansehen, den Schwangerschafts- abbruch zu fördern. Wie anders sollte man die ständigen Versuche von sozialistischer Seite, die Ab- treibung „auf Krankenschein" durchzusetzen, bewerten oder jetzt den Einsatz von Gesundheitsmini- ster Harald Ettl für die Zulassung des Abtreibungsmittels RU 486.

Wenn die Diskussion um RU 486 bisher eines gezeigt hat, dann vor allem, wie Politiker aus einer Fra- ge, in der es um Leben und Tod geht, billiges politisches Kapital schlagen wollen.

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